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    Die Wahrheit der Lüge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Wahrheit der Lüge
    Von Tim Slagman

    Die Filme der kleinen Independent-Produktionsfirma wtp verlangen den Kritikern einiges ab. Sie sind, wie der skandalumwitterte „Engel mit schmutzigen Flügeln", sinnlich und philosophisch, abstrakt und konkret, an einer Stelle faszinierend und an anderer womöglich geradezu hirnrissig. Zu „Die Wahrheit der Lüge", der wie immer ohne Fördermittel entstand, sagt Roland Reber, der Hausregisseur des Münchner Kollektivs: „Es ging mir nie um die reale Darstellung von zwei gefangenen Frauen, sondern um die Metapher der Gefangenschaft, die wir Leben nennen." Das sitzt. Das weckt Ängste vor einem grandiosen Scheitern, vor einer Verkopftheit, die den ganzen Film unter ihrer bleiernen Schwere zusammenbrechen lässt. Aber es ist auch erfrischend, wie jemand diesen Anspruch einfach geradeheraus formuliert, ohne sich dafür im nächsten Satz entschuldigen zu wollen. Rebers Psychothriller, der, auch das ist Methode bei wtp, in einem arbeitsteilig demokratischen Prozess erdacht und produziert wurde, ist nicht grandios gescheitert, vielmehr ist er so beklemmend wie faszinierend. Und manchmal geradezu hirnrissig.

    Ein junger Mann (Christoph Baumann) hält zwei Frauen gefangen, die Mutige (Marina Anna Eich) nennt er die eine, die Zögerliche (Julia Jaschke) die andere. Es scheint sich um ein Experiment zu handeln, zu dem die beiden ihre Einwilligung gaben – gegen Entlohnung. An die „Grenze" will der Mann sie bringen, und bedient sich dabei Demütigung und Folter. Die beiden ertragen es, weil ein tickender Countdown ihnen am Ende die Freiheit verspricht. Der Mann droht zu scheitern, die Grenze ist in weiter Ferne – also sucht er Rat bei einer mysteriösen Motorradfahrerin (Antje Mönning )...

    „Ich hab ‘ne Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner", singen ein paar Typen und eine Tussi auf einer Couch in der Kneipe, ohne Bezug zum Rest der Handlung oder zum Gespräch, mit dem diese Szene eingeleitet wurde. In Momenten wie diesem schöpft Reber die Freiheit, die er für sich reklamiert, voll aus, ein tieferer Sinn wird allerdings nicht ersichtlich und witzig oder gar surreal ist das Ganze auch nicht. Wer so viel Wert legt auf die kreative Unabhängigkeit von angeblich korrumpierenden Einflüssen wie die wtp-Leute, der muss aufpassen, dass sein legitimes Autonomiestreben nicht in eine Art autistische Esoterik kippt. Die Einsprengsel gewollten Unsinns bleiben aber die Ausnahme und immer wenn Reber und sein Team ihre Geschichte auf die klaustrophobische Versuchsanordnung reduzieren, dann ist „Die Wahrheit der Lüge" außerordentlich stark.

    Das minimalistische Rollenspiel von Täter und Opfer wird effektvoll durchexerziert: Die Kamera fährt an den Wänden entlang in die kahlen, unterirdischen Verliese und die weichen, kontrapunktischen Songs von Wolfgang Edelmayer verflüssigen diese beängstigende Bewegung noch weiter. Die Figuren sind drei reine Funktionsträger, drei Menschen ohne Vergangenheit und ohne Zukunft: ein austauschbarer Täter und zwei austauschbare Opfer. Warum sie (und wir mit ihnen) leiden ist unbekannt. Was wir alle aushalten können auch.

    Doch für die hier angedeutete reine Abstraktion ist der Film dann doch nicht radikal genug. Reber öffnet ihn der Außenwelt, der Individualpsychologie und lässt damit zu, dass sich tausend kritische Fragen nach Logik und Plausibilität mit durch die Öffnung zwängen. Allen voran diese: All dieser Aufwand, nur weil der junge Mann ein Autor ist, der ein Buch über Grenzerfahrungen schreiben möchte? In der Konfrontation des zunehmend zweifelnden Autors mit der Bikerin, die sich als seine Verlegerin entpuppt, reibt sich dann auch die Phantom-Vorstellung von herkömmlich motivierten, runden Figuren mit dem Entwurf eines diabolischen Spielleiters, einer Projektionsfläche ohne Eigenschaften, die Mönning angemessen unnatürlich und absichtlich hölzern gibt.

    Doch im Arrangement seiner Foltertableaus erzählt der Film noch eine ganz andere Geschichte, eine, die sich womöglich ganz unabsichtlich in die Bilder schiebt. Der nackte weibliche Körper prallt auf Holz, Stein und Metall, er liegt zusammengekauert in einem runden schwebenden Käfig aus Eisenstäben, wird in winzige kastenförmige Behältnisse gequetscht oder gleich ans Kreuz gehängt. Doch es will dem Autor, dem Täter, nicht gelingen, ihm sein Mysterium zu entlocken, sein Wesen, seine Faszination. Es ist diese Grenze, die der Film am eindrücklichsten deutlich macht.

    Fazit: Dem Team um Roland Reber ist ein sehr atmosphärischer und über weite Strecken dicht erzählter Thriller gelungen, irgendwo zwischen dem wilden Charme der deutschen Autorenfilmerlegende Klaus Lemke („Berlin für Helden") und der düsteren Sinnlichkeit des französischen Horror-Grenzgangs „Martyrs".

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