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    Carol
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Carol
    Von Carsten Baumgardt

    Es ist ein langer Weg, den Regisseur Todd Haynes („I’m Not There“) und die produzierenden Weinstein-Brüder nun vor sich haben: Denn ihr im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes uraufgeführter Film „Carol“ ist ein so superbes Liebesdrama von unwiderstehlicher Eleganz, dass nach der Premiere im Mai 2015 sicher auch noch die im Herbst beginnende amerikanische Preisverleihungs-Saison bis zur Oscar-Zeremonie im Februar 2016 zu absolvieren sein wird. Und dort dürfte die Verfilmung des Patricia-Highsmith-Romans „Salz und sein Preis“ nicht nur mit einigen Nominierungen bedacht werden.

    New York, 1952: Um die Ehe des Upper-Class-Paares Harge (Kyle Chandler) und Carol Aird (Cate Blanchett) steht es schlecht - obwohl Harge verbissen um die Verbindung kämpft, ist die Trennung wohl nur noch eine Frage der Zeit. Im Weihnachtsgeschäft trifft Carol in einem Warenhaus auf die unerfahrene Verkäuferin Therese Belivet (Rooney Mara). Beim Kauf eines Geschenks lässt sie mit Absicht ihre Handschuhe liegen, um mit Therese in Kontakt kommen zu können. Und tatsächlich freunden sich die beiden so unterschiedlichen Frauen schnell an und kommen sich auch anderweitig näher - sehr zum Unwillen von Carols Mann, der immer noch geschockt ist von einer früheren Affäre seiner Frau mit ihrer besten Freundin Abby (Sarah Paulson). Zudem stellt er ihre Fähigkeiten als Mutter in Frage…

    „Carol“ ist ein exquisiter Film. Die Ausstattung stimmt bis ins kleinste Detail, die Atmosphäre wirkt authentisch und ist dabei von erhabener Eleganz und Exklusivität. Trotzdem legt Todd Haynes hier keinen gediegen-spröden Historienfilm vor – denn unter der perfekten Oberfläche brodelt es gewaltig, auch wenn das Tempo gedrosselt ist und sich der zentrale Konflikt erst nach und nach abzeichnet: Die Alphafrau Carol ist eine gnadenlose Jägerin, die das unschuldige Reh Therese unbedingt erlegen will. Doch in der prüden Gesellschaft der 50er Jahre ist die gleichgeschlechtliche Liebe ein Tabu, weshalb Carol subtil vorgehen muss. Und so belauern sich die beiden Frauen den halben Film über, während die unterschwellige sexuelle Spannung und das gegenseitige Verlangen regelrecht greifbar sind, ohne dass Haynes das in irgendeiner Form noch plakativ ausstellen müsste.

    Irgendwann sind die Gefühle dann aber endgültig nicht mehr aufzuhalten. Dabei ist die sexuelle Beziehung der beiden Frauen einerseits wie eine entfesselnde Erlösung, schafft aber andererseits auch scheinbar unlösbare Probleme. Nachdem er mit der Liaison einer weißen Frau zu einem schwarzen Mann schon in „Dem Himmel so fern“ ein heißes gesellschaftliches Eisen der 1950er angepackt und dabei ein Statement für Akzeptanz gesetzt hat, porträtiert Haynes auch in „Carol“ nicht nur die beiden Frauen, die die Konvention ihrer Zeit ignorieren, sondern nebenbei auch das heuchlerische Amerika jener Epoche. Fern jeglicher Sensationshascherei spannt er die Liebenden dennoch nie vor den Propaganda-Karren und verzichtet darauf, sie zu Vorreiterinnen einer neuen Bewegung zu stilisieren. Es geht einfach nur um eine schwierige Liebe. Die Sexszenen zwischen Mara und Blanchett inszeniert Haynes im Sinne der Authentizität angemessen freizügig, ohne dabei je ins Voyeuristische abzugleiten – selbst wenn Mara einiges mehr an Haut zeigen muss als ihre verdientere Kollegin.

    Cate Blanchett hat auf den ersten Blick die dankbarere, weil aktivere und dominantere Rolle inne. Aber Rooney Mara („Verblendung“, „Side Effects“) behauptet sich couragiert, ohne dafür gleich auf die ganz großen Gesten zurückgreifen zu müssen. Viel spielt sich in nur winzigen Nuancen in ihrem Gesicht ab, das Haynes‘ Kameramann Ed Lachman („Erin Brockovich“, „Paradies“-Trilogie) gern in Großaufnahmen filmt. Ihre Therese ist eine vielschichtige Figur - keineswegs nur das kleine, dumme Opfer, sondern eine junge, intelligente Frau, die ihr Potenzial aber erst erkennen muss. Und gerade die Affäre zu der reiferen, kultivierten und manipulativen Macherin Carol fordert sie heraus und lässt sie wachsen. Damit sollte auch Mara zumindest eine Oscar-Nominierung sicher sein (allein ihre finale dialogfreie Szene ist schier atemberaubend). Die ebenfalls nomierungswürdige Blanchett hat auch diesmal wieder eine unglaubliche Präsenz, sie durchdringt ihre Rolle, nimmt sie völlig in Besitz. Carol ist modern, der Gesellschaft eigentlich voraus, strotzt vor Selbstbewusstsein und wirkt doch in ausgewählten Momenten so zerbrechlich, dass sich ihr gesamtes Auftreten jederzeit auch als bloße Fassade entpuppen könnte.

    Von den Nebendarstellern hat Kyle Chandler („Zero Dark Thirty“) die besten Augenblicke. Seine Figur repräsentiert zwar den konservativen gesellschaftlichen Geist der Zeit und ficht mit Carol ein hässliches Ehedrama aus, aber seine zwei bemerkenswertesten Szenen hat Chandler, wenn er als Harge eine solche intime Nähe zu Carol aufbaut, dass es einem regelrecht das Herz zu zerreißen droht, als diese seine aufrichtige Liebe abweist.

    Fazit: Todd Haynes macht aus „Carol“ keinen Skandalfilm, obwohl das möglich gewesen wäre. Stattdessen liefert der Regisseur eine meisterhaft gespielte und inszenierte lesbische Liebesromanze, die in gemächlichem Erzähltempo einen bald unwiderstehlichen Sog entwickelt.

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