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    The Canyons
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Canyons
    Von Michael Meyns

    Als „post-theatrical cinema“ bezeichnet Paul Schrader (Autor von „Taxi Driver“) seinen neuen Film „The Canyons“, als Werk für die seit einigen Jahren beginnende Ära, in der sich Film zunehmend von den traditionellen Lichtspielhäusern löst. Mit Bildern solcher Kinos, deren Fassade verfallen und in denen längst obsolete Filmspulen verstauben, beginnt dann auch sein Film, in dem Skandalnudel Lindsay Lohan und Pornostar James Deen ein Hollywood-Pärchen spielen, dessen Beziehung sich irgendwo zwischen Liebe, Macht, Sex und der Filmindustrie bewegt. Geschrieben von Kult-Autor Bret Easton Ellis („American Psycho“), gedreht für angeblich nur 250.000 Dollar, ist „The Canyons“ eine phasenweise brillante, schonungslose Dekonstruktion des schönen Scheins von Hollywood, des Starseins und der Versprechen von Internet und Online-Dating.

    Zwei Paare beim Abendessen: Christian (Pornostar James Deen) ist ein schwer reicher Filmproduzent, seine Freundin Tara (Problemfall Lindsay Lohan) hat ihre Schauspielambitionen längst aufgegeben und ist nur noch schönes Anhängsel, das sich bloß für Shoppen und Sex interessiert. Ihnen gegenüber sitzen Gina (Amanda Brooks), die für Christian einen Film produziert, in dem ihr Freund Ryan (Nolan Funk) die Hauptrolle spielt. Der hat den Part nicht zuletzt dank der Fürsprache Taras, die einst eine Beziehung mit Ryan hatte und seit ein paar Monaten wieder mit ihm schläft. Daneben verkehrt sie auch mit anderen Männern und Paaren, die Christian per Internet in seine mondäne Villa in den Hügeln Hollywoods einlädt, wo das Paar seine scheinbare sexuelle Freiheit auslebt. Doch als Christian von Taras Affäre mit Ryan erfährt, reagiert er zunehmend eifersüchtig und beginnt den nach Erfolg und Geld strebenden Nebenbuhler seine Macht spüren zu lassen.

    Sowohl Regisseur Paul Schrader als auch Autor Bret Easton Ellis haben im Laufe ihrer Karrieren immer wieder die dunklen Aspekte der amerikanischen Kultur thematisiert, die Oberflächlichkeit des amerikanischen Traums seziert und höchst unsympathische, ambivalente Figuren geschaffen, die aber gerade deswegen so faszinierend und authentisch waren. Ihre Zusammenarbeit bei „The Canyons“ könnte man dann auch als Mischung aus Schraders Meisterwerk „American Gigolo – Ein Mann für gewisse Stunden“ und einem frühen Ellis-Roman wie „Less than Zero“ bezeichnen. Dazu eine Prise „American Psycho“, nicht zuletzt aber zwei Hauptdarsteller, deren Besetzung man fast als Guerilla-Casting bezeichnen muss.

    Dass mit Pornostar James Deen und der längst fast nur noch in Klatschspalten präsenten Lindsay Lohan zwei notorisch öffentliche Figuren die Hauptrollen spielen, garantierte der Low-Budget-Produktion ein enormes Maß an Publicity. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie gewagt gerade Lohans Darstellung ist. Während Deen seine zur Arroganz neigende Selbstverliebtheit zur Schau stellt, spielt der gefallene Ex-Kinderstar eine Variation seiner selbst: Eine Frau, die in Hollywood überleben will, die für Geld, ein schönes Haus und unbegrenzten Kreditkartenzugang bereit ist, fast alles zu tun. Es sind also typische Ellis-Figuren: schön, glatt, oberflächlich und leer. Es sind zudem solche Figuren, die – zumindest Ellis und Schraders Sichtweise folgend – weite Teile der Filmindustrie bestimmen.

    Die schwierigen Erfahrungen, die sowohl Schrader als auch Ellis in Hollywood gemacht haben, sind in „The Canyons“ allgegenwärtig. Diese mischen sich auf der einen Seite mit einem pessimistischen Blick auf das Medium Kino an sich, zum anderen mit einem der Lieblingsthemen des Romanautors: Sex in Zeiten der totalen Öffentlichkeit, der absoluten Verfügbarkeit jeglicher Spielarten durch Internet und Online-Dating. Mehr als auf ihr Gegenüber scheinen die Figuren in „The Canyons“ auf ihre Handys zu blicken, kommunizieren eher per WhatsApp als persönlich und bestellen sich auch so Sexpartner direkt ins Haus.

    Einen Softporno sollte man dennoch nicht erwarten: Jede Googlesuche nach Lindsay Lohan fördert mehr nackte Tatsachen zu Tage, als sie hier zu sehen sind. Statt auf plakative Oberflächenreize, setzt Schrader auf Einstellungen, die den Reichtum Hollywoods in gestochen scharfe Breitwandbilder tauchen - bzw. auf breite Fernsehbilder, denn im Kino wird „The Canyons“ kaum zu sehen sein.  Ganz konsequent dem „post-theatrical cinema“-Mantra folgend, wurde der Film in den USA nur in einem einzigen Kino gezeigt und im Übrigen über Video-On-Demand verfügbar gemacht. Ob Filme wie „The Canyons“ tatsächlich die Zukunft des Kinos sind, bleibt allerdings abzuwarten: Nur wenige Projekte werden schließlich solch einen kostenlosen Rummel entfachen wie die Zusammenarbeit von Schrader-Ellis-Lohan-Deen.

    Doch diese Frage ist für den Moment zweitrangig. „The Canyons“ existiert in seiner eigenen Welt, jenseits des Kinos, ist aber trotzdem durch und durch Kino, stilistisch und inhaltlich. Auf Grund seiner Form, der zahllosen Gerüchte um seine Herstellung, seiner notorischen Hauptdarsteller und wohl auch seiner konsequenten Kälte ist es leicht, „The Canyons“ nicht ernst zu nehmen und zu verreißen. Wer sich jedoch auf die von Paul Schraders und Bret Easton Ellis entworfene Welt einlässt, wird mit einem extrem zeitgemäßen, aber gleichzeitig zeitlos stilisierten Film belohnt, der zum bemerkenswertesten gehört, was man momentan sehen kann. – egal ob im Kino oder zu Hause.

    Fazit: Paul Schrader und Bret Easton Ellis sezieren in „The Canyons“ den schönen Schein der modernen Welt und blicken dank ihrer sich schonungslos offenbarenden Darsteller tief in die Abgründe der (Alb-)Traumfabrik Hollywood.

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