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    Sternenkind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sternenkind
    Von Nicole Kühn

    Bollywood erobert sich derzeit mit überschwänglichen Liebesdramen ein Stück des Weltmarktes. Nun hat es zum ersten Mal einen Ausflug in das Genre der Science-Fiction gewagt. Mangels eigener Traditionen auf diesem Gebiet klaut „Koi... Mil Gaya“ frech bei europäischen und US-amerikanischen Vorbildern. Alles wird in eine Story gepackt, in der ein geistig zurückgebliebener Sohn eines Weltraumforschers, eine selbstbewusste Schönheit, rivalisierende Gangs und natürlich ein einsamer Außerirdischer mitspielen und jeder mal singen und tanzen darf. Too much? Nicht für einen indischen Film, der seine üblichen fast drei Stunden Länge grundsätzlich mit allem füllt, was das Leben so bereithält und ohne Musik nicht vorstellbar wäre.

    In einer kleinen indischen Stadt führt der Mittzwanziger Rohit ein glückliches Leben in geregelten Bahnen. Seine Mutter Sonia kümmert sich liebevoll um ihn – und das hat er auch bitter nötig, ist er doch aufgrund eines Autounfalls seiner damals hochschwangeren Mutter in deren Leib so schwer verletzt worden, dass seine geistige Entwicklung irreparabel auf halber Strecke schlapp gemacht hat. So kommt er nicht über die 7. Klasse hinaus, was ihn durchaus ärgert. Mit seinen viel jüngeren Mitschülern versteht er sich dagegen prächtig, schließlich sieht auch er die Welt noch mit Kinderaugen. Gehänselt wird er dafür umso mehr von Raj einem schnöseligen Sohn von Beruf und Anführer einer coolen Motorradgang. Ein besonders spitzer Dorn im Auge ist Raj die beginnende Freundschaft zwischen Rohit und der bezaubernden Nisha. Die wollte er eigentlich selbst vor den Traualtar führen, und nun verbringt sie ihre Zeit mit dem tölpeligen Kindskopf, den sie nach anfänglichen Missverständnissen einfach so nimmt, wie er ist.

    Gemeinsam mit ihm entdeckt sie die Welt neu. Bei ihren Streifzügen stoßen die beiden auf ein seltsam antiquiertes computerähnliches Gerät, das sie neugierig und unbedacht wie kleine Kinder ausprobieren. Dass sie damit Kontakt zu Außerirdischen aufnehmen, ist für Mutter Sonia schon schlimm genug, immerhin hat sie ihren Mann frühzeitig an dieses Faible verloren. Als aber ein Raumschiff landet und ein Außerirdischer allein auf der Erde zurückbleibt, ist das Chaos perfekt: Die ganze Stadt sucht nach dem Wesen, um es zu erforschen, der kleine Blaue vom anderen Stern hat überirdische Kräfte und Rohit ist plötzlich zum hochintelligenten Adonis geworden. Bis er zum wirklichen Mann gereift ist, muss er allerdings noch einige Hürden nehmen.

    In seiner Heimat ist Rakesh Roshan ein alter und wohl bekannter Hase im Filmgeschäft. Er selbst begann als Schauspieler (auch hier gönnt er sich einen kurzen Auftritt als Rohits Vater) und produziert nun als Regisseur große Kassenerfolge. Dass seine Familie nicht nur einen Hang zum Film, sondern vor allem auch zur Musik hat, zeigt sich in „Koi... Mil Gaya“ ganz wunderbar. Zwar sind auch hier, wie in Bollywood üblich, die Songs Teil der Texte und dienen vor allem als Medium zum Ausdruck von Gefühlen. Entsprechend pathetisch sind sie meist gehalten. Roshan geht jedoch hebt die Musik über diesen „Dienstleister“-Status hinaus und inszeniert ein regelrechtes Musical mit witzigen Choreographien. Damit befreit er die Darsteller zumindest in vielen Sequenzen vom schicksalsschwangeren Blick in die Kamera, der dem Zuschauer bedeuten soll, dass es hier gerade um nichts weniger als das Lebensglück geht. Ganz ohne geht es natürlich trotzdem nicht, schließlich hat der Zuschauer Erwartungen, die erfüllt werden wollen. Dieser Doppelstrategie bleibt der Regisseur auch mit der Anlage seiner Story treu. Mit der Behinderung der Hauptperson und der auf viele Widerstände stoßenden Liebe sind zwei Motive vorhanden, die ausreichend Raum für Gefühlsüberschwang geben, wie es das Bollywood-Kino offenbar braucht. In vielen kleinen Szenen erlaubt sich Roshan jedoch eine gute Portion Ironie, die das besondere inhaltliche und ästhetische Format indischer Filme augenzwinkernd hervorhebt. Das gibt dem Film eine Frische und den nötigen Witz, um auch in unseren Gefilden gut unterhalten zu können. Nebenbei ist der Raubbau an cineastischen und musikalischen Vorlagen derart unverhohlen und unkonventionell in die Story eingebaut, dass man ein Schmunzeln kaum unterdrücken kann.

    Gewöhnungsbedürftig bleibt das mimik- und gestenreiche Spiel indischer Darsteller. Wäre Bollywood nicht unweigerlich zum Schreien bunt, man würde sich glatt in die Zeit des Stummfilms versetzt fühlen. Die kesse Preity Zinta macht neben dem würdevollen indischen Star Rekha vor der Kamera noch den natürlichsten Eindruck. Hierzulande war machte sie erstmals in „Indian Love Story“ und im vergangenen Jahr durch „Veer-Zaara“ auf sich und ihre bezaubernden Grübchen aufmerksam. Hrithik Roshan hat sichtlich Mühe, den geistig Zurückgebliebenen darzustellen, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Meist schießt er über das Ziel hinaus und wirkt mehr stark behindert als kindlich naiv. In seiner Heimat kann er damit punkten und wurde mit dem Filmfare Award als „Best Actor“ ausgezeichnet. Bei uns hat man ihn durchaus schon sensibler agieren sehen: Seine Darstellung in „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ fand auch hierzulande Beachtung und macht ihn in seiner Heimat zum größten Gegenspieler des Superstars Shah Rukh Khan. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass eine Figur angenehm zurückhaltend ihren Part übernimmt: Indravadan J. Purohit alias der Außerirdische Jadoo spricht selten, aber weise und beeindruckt durch wenige, pointiert gesetzte Aktionen. Man muss ihn einfach mögen, so wie seinerzeit E.T.

    Gleiches gilt wohl auch für den Bollywood-Film insgesamt: Man hasst ihn oder man liebt ihn, unseren Sehgewohnheiten bietet er in jedem Fall etwas Neues. „Koi... Mil Gaya“ bietet sich als Einsteigerfilm gut an, weil er Vertrautes vorzuweisen hat, sich selbst nicht immer ernst nimmt und mit seiner eingängigen Musik einfach zu den Feel-Good-Movies zählt.

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