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    Suite Française - Melodie der Liebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Suite Française - Melodie der Liebe
    Von Asokan Nirmalarajah

    Wie fühlt es sich an, mit einem Nazi am Tisch zu sitzen? Was ist, wenn der antisemitische Sitznachbar nicht weiß, dass man ein Sympathisant der Juden oder gar ein jüdischer Flüchtling ist? Um diese Fragen schlug Quentin Tarantinos in seinem gefeierten Anti-Nazi-Märchen „Inglourious Basterds“ vor einigen Jahren allerlei erzählerische Pirouetten. In Saul Dibbs hochkarätig besetztem, ansprechend bebilderten und edel ausgestatteten Historiendrama „Suite Française – Melodie der Liebe“ spielen ähnliche Fragen eine wichtige Rolle. Allerdings geht der britische Regisseur weniger eigenwillig und auch weniger mutig mit ihnen um als Tarantino. Er verfilmt das zweite Buch aus der unvollendeten, posthum veröffentlichten Romanserie des Holocaust-Opfers Irène Némirovsky als melodramatische Liebesgeschichte und reduziert seine historische, politische und moralische Komplexität erheblich. So wird die international co-produzierte Verfilmung des weltweiten Bestsellers von 2004 weitgehend zur verkitschten Seifenoper.

    Die junge Lucille (Michelle Williams) lebt 1940 in der Villa ihrer Schwiegermutter Madame Angellier (Kristin Scott Thomas) auf dem Lande vor Paris. Lucilles Mann Gaston ist in den Krieg gezogen und so obliegt es den beiden Frauen, Geld bei seinen Pächtern einzusammeln. Während Gastons Mutter mit skrupellosem Kalkül um die Finanzen ihres Sohnes besorgt ist, sträubt sich die sensible Lucille davor, die ärmlichen Bauern mit weiteren Schulden zu beladen. Die Ereignisse überschlagen sich, als Frankreich kapituliert und die Pariser Bevölkerung aufs Land flüchtet, gefolgt von der deutschen Besatzungsmacht. Auch die Familie Angellier wird angewiesen, einen Nazi-Offizier als Hausgast aufzunehmen: Offizier Bruno von Falk (Matthias Schoenaerts) zieht bei den zwei Frauen ein, wahrt aber im Unterschied zu seinen besitzergreifenden Kameraden vornehme Distanz zu seinen Gastgebern. Über ihre gemeinsame Liebe zur Musik finden die unglücklich verheiratete Lucille und der kultivierte Bruno immer mehr zueinander, zur Sorge von Madame Angellier, die durch die veränderten Machtstrukturen im Dorf um ihre gesellschaftliche Position bangt.

    Angesichts der Fülle an Nebenfiguren, Parallelhandlungen und vielen nicht weiter entwickelten Handlungselementen wirkt „Suite Francaise“ von „Die Herzogin“-Regisseur Saul Dibb nicht selten wie die auf 107 Minuten heruntergestutzte Kurzfassung eines Fernseh-Mehrteilers und gelegentlich auch wie der Pilotfilm zu einer nie realisierten Serie. Im Zentrum steht klar die Liebesgeschichte zwischen der vor Panik oder Erregung bibbernden Soldatenfrau und dem traumhaft galanten Nazi-Offizier, aber weder die hingebungsvolle Michelle Williams („Blue Valentine“), noch der charismatische Matthias Schoenarts („Der Geschmack von Rost und Knochen“) können den ungelenken Dialogen romantische oder erotische Spannung entlocken. Stattdessen gibt es ein penetrantes Voice-Over von Lucille, das die Gefühle erklärt, die der Film nicht vermittelt. Da ist es umso bedauerlicher, dass die reizvolleren Nebenhandlungen nicht mehr Raum bekommen.

    In der Nebenhandlung um den Bauern Benoît (Sam Riley), der sich einem deutschen Soldaten (Tom Schilling) widersetzt und von Lucille versteckt wird, oder im knapp skizzierten Schicksal des reichen Vicomte (Lambert Wilson), der versucht, die Gunst der Nazis zu erkaufen, ist nur noch zu erahnen, welche thematische Tiefe und erzählerische Bandbreite in der Vorlage stecken. So wirkt die namhafte internationale Besetzung, der unter anderem auch Heino Ferch („Vincent will Meer“) als Befehlshaber der Besatzungseinheit, Alexandra Maria Lara („Der Untergang“) als weiteres Opfer der Willkür der Nazis und Hollywood aktueller Shootingstar Margot Robbie („Focus“) als nicht wiederzuerkennendes, brünettes Bauernmädchen angehören, trotz oft vielversprechender Rollen unterfordert. Saul Dibbs unaufgeregte Inszenierung und die hübschen Bilder von Kameramann Eduard Grau („A Single Man“) verstärken letztlich noch den Eindruck eines gediegenen, aber wenig inspirierten Films.

    Fazit: „Suite Francaise“ ist eine elegant produzierte, aber oberflächliche Romanze, deren reichhaltiger zeitgeschichtlicher Hintergrund weitgehend verschenkt wird.

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