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    Cemetery Of Splendour
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cemetery Of Splendour
    Von Carsten Baumgardt

    Sie lassen ihn einfach nicht los, diese Geister, die er nicht gerufen hat. Stattdessen bleiben sie weiterhin ein zentraler Teil seines Werks. Mit dem Mystery-Drama „Cemetery Of Splendour“ kehrte Apichatpong Weerasethakul („Tropical Malady“) zurück an den Ort seines größten Triumphs, nämlich nach Cannes, wo der thailändische Auteur 2010 für „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ (5 Sterne von FILMSTARTS) hochverdient die Goldene Palme gewann. Allerdings lief „Cemetery Of Splendour“ nicht im offiziellen Wettbewerb, sondern „nur“ in der Nebenreihe Un Certain Regard, was wahrscheinlich einfach daran liegt, dass sein neuer Film viel ruhiger inszeniert und damit vordergründig weniger spektakulär ist als sein Vorgänger. Aber davon soll sich besser niemand täuschen lassen, denn Weerasethakul schwört in „Cemetery Of Splendour“ erneut eine unwiderstehliche mysteriöse Stimmung herauf, in der Dies- und Jenseits organisch ineinander übergehen. Zudem überzeugt das Drama als stille Allegorie auf die schwierige politische Situation in Thailand.

    „Cemetery Of Splendour“ ist womöglich Weerasethakuls persönlichster Film. Die Handlung um eine Gruppe von Soldaten, die an einer mysteriösen Schlafkrankheit leidet und in einem improvisierten Hospital in Khon Kaen von Schwestern und Ehrenamtlichen gepflegt wird, weist streckenweise deutliche Parallelen zu Weerasethakuls eigenem Werdegang auf: Die Eltern des Regisseurs leiteten einst genau solch ein Krankenhaus, das auch für den jungen Apichatpong zur Heimat wurde. Im Zentrum des Films steht dabei die Helferin Jen (Jenjira Pongpas Widner), die mit Hilfe des Mediums Keng (Jarinpattra Rueangram) in das Bewusstsein und in die Träume der komatösen Patienten eindringt. Besonders zu dem Soldat Itt (Banlop Lomnoi) baut sie eine tiefe Verbindung auf…

    Weerasethakuls Filme haben in der Regel keine stringente Handlung herkömmlicher Art, sondern stimulieren die Sinne des Publikums ganz unmittelbar. Auch „Cemetery Of Splendour“ ist da keine Ausnahme, obwohl er vergleichsweise klar nachvollziehbare erzählerische Strukturen besitzt. Die Welt der Geister ist dabei genauso präsent und in den Fluss der Handlung integriert wie die reale Welt, aus jeder Einstellung quillt zudem die bewegte Geschichte Thailands: Selbst in ihren Träumen müssen die dahindämmernden Kämpfer ihren Kriegsherren in früheren Leben dienen. Dabei ist es kein Zufall, dass ausschließlich Soldaten von der mysteriösen Krankheit befallen werden: Sie schlafen sinnbildlich, um der angespannten und unsicheren politischen Gemengelage in Thailand auf ehrenhafte Weise entkommen zu können - das ist zumindest eine naheliegende Lesart. Weerasethakul verzichtet auf offensichtliche Anti-Kriegs-Bilder von Blutvergießen, und rebelliert auf seine eigene Weise – die Geschichte seines Landes, so der Filmemacher, verlaufe in den immer gleichen Zyklen, die sich unaufhaltsam wiederholen.

    Als Schnittstelle zwischen den beiden Welten im Film dient die Telepathin Keng, die mit Itt gemeinsame Spaziergänge unternimmt oder versucht, Jens missgestaltetes Bein durch bizarres Aussaugen der Haut zu heilen: Weerasethakul kreiert eine Atmosphäre, die den Zuschauer mild umwabert, und arbeitet mit spektakulären Lichtinstallationen, die zur Heilung der Kranken eingesetzt werden. Zudem fährt er ganze Armeen von Zikaden auf, die zwar nie zu sehen sind, aber aus dem Off ihre Symphonien zirpen. Die berauschend-ruhig, oft in langen Einstellungen zelebrierten Kompositionen erzeugen eine besondere, ganz und gar sanfte Kinomagie, die der Regisseur dann aber immer wieder gezielt stört: Mal mit unerwartetem Humor, mal mit kleinen musikalischen Nadelstichen (ansonsten ist der Film nämlich ausschließlich mit natürlichen Geräuschen unterlegt). So begeben sich die Protagonisten im Krankenhaus und in ihren Träumen auf eine mystische Suche nach ihrem wahren Ich, um dem harschen Leben da draußen immer einen Schritt voraus zu sein.

    Fazit: Apichatpong Weerasethakul ist und bleibt eine der aufregendsten Stimmen im Weltkino. Sein „Cemetery Of Splendour“ ist eine melancholisch-poetische Meditation zwischen diesseitiger Realität und Geisterwelt.

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