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    Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt
    Von Asokan Nirmalarajah

    Das Alter macht auch vor Drag Queens nicht Halt. Während jüngere Travestiekünstler wie die österreichische Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst heute so souverän wie selbstverständlich die Aufmerksamkeit der Medien steuern, können Travestie-Darsteller aus früheren, weniger toleranten Jahrzehnten noch von ganzen anderen Einstellungen und Umgangsformen mit Transsexuellen und Transvestiten berichten. In der intensiv bebilderten Theaterdokumentation „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ lässt der deutsch-kanadische Regisseur Thomas Wallner eben eine solche Gruppe von stolzen bis schüchternen Drag Queens in ihren 60er und 70er Lebensjahren zu Wort kommen und perspektiviert so historisch die heutige Toleranzwelle und den meist unreflektierten Exotik Kult um Transvestiten. Den Anlass hierfür bietet die letzte Vorstellung einer unkonventionellen, in Form und Umsetzung hypnotischen Travestie-Show des Theaterkünstlers Alain Platel.

    Der belgische Bühnenchoreograf Alain Platel rief und alle kamen. 2010 schickte sich der Theaterstar an, ein modernes Tanzstück unter dem Titel „Gardenia“ auf die Bühne zu bringen. Als Grundlage diente ihm dabei die Idee seiner Landesgenossin Vanessa Van Durme für eine Tanzshow mit sehr alten Drag Queens in den Hauptrollen, nachdem sie über eine ähnliche Show in Barcelona gehört hatte. Das Stück mit homosexuellen und transsexuellen Rentnern mit Cabaret-Erfahrung wurde wider Erwarten zu einem internationalen Erfolg und mit derselben Besetzung über 200mal in 25 verschiedenen Ländern aufgeführt. Für die letzte Vorstellung von „Gardenia“ kehrte das Ensemble nun nach zwei Jahren zurück in die Premierenstadt Gent. Zwischen Ausschnitten aus dem Stück werden die Männer zwischen 59 und 67 Jahren vorgestellt und äußern sich über ihre lebendige Vergangenheit als Travestie-Künstler, ihr Schwierigkeiten mit dem Älterwerden und ihre alltägliche Einsamkeit.

    Über anderthalb ruhige bis meditative Stunden porträtiert Thomas Wallner in seiner unaufgeregten Dokumentation ausgewählte Protagonisten der Travestieshow „Gardenia“. Damit präsentiert er auf dem ersten Blick eine Art Hinter-die-Kulissen-Dokumentation über die Menschen hinter dem berühmten Theatererfolg. Doch erst im Laufe des Films stellt sich heraus, das die Produktion des Stücks selbst so gut wie keine Rolle spielt in den eingehenden Gesprächen mit diesen unterschiedlich animierten, aber sehr gesprächigen Männern. Eher geht es um die Vergangenheit jedes Einzelnen, die anhand von heraus gekramten Erinnerungsstücken visualisiert werden. Nur leider gestalten sich diese von den Rednern mal melancholisch, mal humorvoll ausgestalteten Geschichten über verlorene Lieben, bitteren Enttäuschungen und großen seelischen Schmerzen als weit weniger faszinierend als das eigentliche Stück, zu dem der Regisseur zwischen den Interviews mehrfach wechselt.

    Zwar vermag es die grandios kontrastreiche, stimmungsvolle Kameraarbeit von Axel Schneppat, die Übergänge zwischen den Interviewaufnahmen, den Aufnahmen des Theaterstücks aus nächster Nähe und Nachtaufnahmen der Altstadt von Gent ansprechend zu verquicken, aber da Schnitt zwischen den verschiedenen Charakteren und den Theaterszenen reißt einen immer wieder aus den einzelnen Geschichten und der gesamten Show. Was man von dem Gardenia-Stück mitbekommt, ist eine hypnotisch inszenierte, präzise choreografierte Verbindung aus Bewegungstheater, Balletttanz und eindringlich dargestellten Musikpassagen (von Maurice Ravels Komposition „Bolero“ bis zu Judy Garlands „Somewhere over the Rainbow“ aus dem „Zauberer von Oz“, 1939). Choreograf Alain Platel und Bühnenregisseur Frank Van Laecke haben wahrlich Maßstäbe gesetzt mit ihrem Stück. Die eher fahrige Montage und der nicht so interessante Fokus der Doku lenken hier aber leider zu stark weg von der wirklichen interessanten Geschichte hinter „Gardenia“, die lediglich zur Rahmung der porträtierten Travestie-Künstler reicht.

    Fazit: Stark gefilmte und sehr interessante Dokumentation, bei der es der teilweise willkürlich wirkende Schnitt aber erschwert, auch das Theaterstück zu erleben.

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