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    Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück
    Von Andreas Staben

    In seinem vorigen Spielfilm erzählte Regisseur Florian Gallenberger davon, wie sich der deutsche Geschäftsmann John Rabe während des Massakers von Nanking 1937/38 für die Zivilbevölkerung einsetzte – obwohl Nazi-Deutschland mit den japanischen Besatzern Chinas verbündet war. Im Film „John Rabe“ wurde aus der Titelfigur ein vielleicht etwas zu strahlender Held, aber bei aller Zuspitzung und Vereinfachung entstand ein diskussionswürdiges und durchaus sehenswertes Geschichtsdrama, das immerhin mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Nun nimmt sich Galllenberger erneut eines brisanten historischen Stoffes an und zeigt dabei ein weiteres Mal, dass er sich gut auf die äußere Rekonstruktion einer vergangenen Epoche versteht: Ähnlich wie in „John Rabe“ sind auch in seinem neuen Werk „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ die Kulissen und die Kostüme überzeugend gelungen. Doch die akkurate Ausstattung und die kompetente handwerkliche Umsetzung sind auch schon die wesentlichen Pluspunkte des fiktiven Liebesdramas vor zeitgeschichtlichem Hintergrund, denn die chilenische Militärdiktatur Pinochets sowie die Schreckensherrschaft des mit dem Regime kollaborierenden Sektenführers Paul Schäfer in seinem eigenen abgeriegelten Reich in der berüchtigten Colonia Dignidad werden hier nur reißerisch für eine von oberflächlichen und leblosen Figuren bevölkerte kolportagehafte Handlung ausgebeutet.

    Am 11. September 1973 stürzt General Augusto Pinochet den sozialistischen chilenischen Präsidenten Salvador Allende und übernimmt die Macht. Noch am gleichen Tag verhaftet der Geheimdienst in der Hauptstadt Santiago tausende Personen. Auch der deutsche Fotograf Daniel (Daniel Brühl) und seine Freundin, die Flugbegleiterin Lena (Emma Watson), werden in Gewahrsam genommen und ins Nationalstadion verfrachtet. Bei einer Gegenüberstellung identifiziert ein Kollaborateur Daniel als Unterstützer von Allende. Er wird weggebracht, während Lena am nächsten Tag freigelassen wird. Sie findet bald heraus, dass ihr Geliebter in der Colonia Dignidad gefangen gehalten wird, einer vom deutschen Prediger Paul Schäfer (Michael Nyqvist) gegründeten sektenartigen Gemeinschaft. Lena ist auf sich allein gestellt und beschließt, sich um die Aufnahme in der abgeschotteten Colonia zu bewerben: Sie behauptet, ein neues, einfaches und gottgefälliges Leben beginnen zu wollen. Das Manöver gelingt, aber Frauen und Männer werden dort strikt getrennt – von Daniel gibt es zunächst keine Spur …

    Getarnt als gemeinnütziger landwirtschaftlicher Betrieb und deutsches Musterstädtchen war Colonia Dignidad in Wirklichkeit ein Ort des Schreckens. Frauen und Kindern wurden strikt von den Männern getrennt, die Alltagsregeln und die Bewachung waren so streng, dass der Gedanke an Konzentrationslager nicht allzu fern liegt. Für all das hatte der Sektenführer Paul Schäfer offenbar pseudo-religiöse Begründungen parat, doch im Film wird kaum klar, wie seine Herrschaft funktioniert. Er erscheint als Sadist und Pädophiler im Outfit eines Biedermanns, er hat in Michael Nyqvists blasser Darstellung weder das Charisma eines Verführers noch die Unberechenbarkeit eines Psychopathen. Dieser Schäfer ist die Karikatur eines Bösewichts und seine Schergen sind sowieso nur Stichwortgeber. So bleibt das Innenleben der Gemeinschaft trotz offenkundig sorgfältig recherchierter Einzelheiten weitgehend ein Rätsel, hier kommt es vom perversen Auspeitschen bis zu den zähnefletschenden Hunden letztlich nur auf die Hindernisse an, die dem Liebespaar Daniel und Lena in den Weg gelegt werden. Auch Schäfers Zusammenarbeit mit Pinochets Geheimdienst und seine Waffengeschäfte sind unterbelichtet, genauso wie die dubiose Rolle der deutschen Botschaft in Chile. Schon für einen rein fiktiven Genrefilm wären die Hintergründe etwas dünn, dem realen Leid Tausender Menschen wird diese grob zusammengezimmerte Erzählung schon gar nicht gerecht.

    Obwohl hier vieles im Unklaren bleibt oder an den Haaren herbeigezogen wirkt, gelingen Gallenberger einzelne spannende Szenen. So ist eine in Berlin gedrehte Flucht durch einen überfluteten Tunnel einigermaßen nervenaufreibend und das Finale am Flughafen von Santiago erinnert ein wenig an eine vergleichbare Sequenz in „Argo“. Doch der Vergleich mit Ben Afflecks Oscargewinner, der zu den erklärten Vorbildern der Filmemacher gehörte, zeigt auch eindeutig die zahlreichen Schwächen von „Colonia Dignidad“ auf. Denn hier fehlen nicht nur die schlüssigen Einordnungen in historische und politische Zusammenhänge, sondern auch eine den Namen verdienende Figurenzeichnung selbst bei den Hauptrollen. Wir erfahren so gut wie nichts über das bisherige Leben von Lena und Daniel, denn nach ein wenig schön fotografiertem Liebesgeplänkel (für das Zeitkolorit sorgt die Songauswahl) schlagen Pinochets Schergen auch schon zu. Wofür Daniel kämpft und warum Lena ihr Leben riskiert, das mag man sich irgendwie denken können, aber emotionale Prägnanz bekommt es nie, obwohl sich Daniel Brühl („Rush“) und Emma Watson (der „Harry Potter“-Star konnte sich zuletzt in „Noah“ und in „Regression“ weitaus stärker profilieren) sichtlich mühen. Ihre große Liebe ist genauso Behauptung wie der vermeintliche Hirnschaden, den Daniel durch die Folter mit Elektroschocks davonträgt. Der harmlose Fotograf entpuppt sich als Superheld mit den Fähigkeiten eines James Bond und was ein seriöser Thriller sein sollte wird zu grobschlächtigem Exploitationkino.

    Fazit: Florian Gallenbergers „Colonia Dignidad“ fühlt sich trotz des dramatischen realen Hintergrunds vollkommen unecht an und wird seinem historischen Thema nicht gerecht.

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