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    Wiener Dog
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Wiener Dog
    Von Christoph Petersen

    Als Remi (Keaton Nigel Cooke) seine Mutter Dina (Julie Delpy) fragt, warum sein neuer Hund denn unbedingt sterilisiert werden müsse, erzählt diese ihm – sich in ihrer Überforderung um Kopf und Kragen redend - eine warnende Geschichte von früher: Ihre Hündin Croissant sei damals in Frankreich nach dem Missbrauch durch einen wilden Hund namens Mohammed schwanger geworden und bei der Geburt der Welpen gestorben. Mohammed hingegen vergewaltigte munter weiter (notfalls auch Eichhörnchen), bevor ihn schließlich jemand erschoss. Eine pädagogisch mehr als fragwürdige Anekdote, die aber stellvertretend für den tiefschwarzen Humor von Todd Solondz‘ „Wiener Dog“ steht: In der Indie-Satire des „Willkommen im Tollhaus“-Regisseurs spendet der titelgebende Dachshund seinen wechselnden Besitzern über vier Episoden hinweg ein klein wenig Trost, während er ihnen mit seinen treuen Augen dabei zusieht, wie ihr amerikanischer Traum wortwörtlich vor die Hunde geht…

    Egal ob er sich der wohlhabenden Familie von Remi, den verlorenen Tweens Dawn (Greta Gerwig) und Brandon (Kieran Culkin), dem abgehalfterten Filmprofessor Dave Schmerz (Danny DeVito) oder einer krebskranken Großmutter (Ellen Burstyn) widmet: Todd Solondz seziert die Leben seiner Außenseiter-Protagonisten allesamt mit einem gleichermaßen unerbittlichen wie warmherzigen Blick – eine nur im ersten Moment widersprüchliche Kombination, denn der Filmemacher besitzt die seltene Gabe, selbst die finstersten Abgründe der amerikanischen Mittelschicht schonungslos offenzulegen, ohne seine Figuren deshalb gleich als Karikaturen der Lächerlichkeit preiszugeben. So drücken wir etwa dem desillusionierten, von seinem Agenten wie von seinen Studenten untergebutterten Dave Schmerz (was für ein treffender sprechender Name!) alle Daumen - selbst wenn sein Befreiungsschlag darin besteht, seinen Hund zu einer vierbeinigen Bombe umzubauen.

    Solondz hat einen vollkommen eigenwilligen patriotischen Blick auf die USA – und so entdeckt er das Wertvolle auch immer wieder an den ungewöhnlichsten Orten: Sogar als er mit der Kamera nach einer gutgemeinten, aber kaum artgerechten Müslifütterung schmerzhaft ausführlich und in Zeitlupe an einer Dachshund-Diarrhö-Spur entlangfährt, meint man, hinter der ganzen blutig-schleimigen Scheiße auch ein Stück weit die Schönheit von Solondz‘ ganz persönlichem Amerika zu erkennen. Noch viel deutlicher wird diese nie geheuchelte, aber sehr spezielle USA-Liebe während der Intermission: Da streift der Dachshund vor einem Greenscreen zum extra komponierten Western-Song „Ballade Of Wiener Dog“ wie ein Sheriff durch die amerikanische Prärie und später auch durch ein schwarzes Ghetto.

    „Wiener Dog“ ist bizarr, herausfordernd, kompromisslos, aber in seiner politischen Unkorrektheit auch unglaublich empathisch: Als der drogenabhängige Brandon (Kieran Culkin) den Hund einem jungen Pärchen mit Down-Syndrom überlässt, das in einem schönen Haus mit großem Garten und weißem Zaun lebt, begründet er das damit, dass sie gut zusammenpassen werden – immerhin seien sie alle sterilisiert. Aber Solondz wäre nicht Solondz, wenn er solche unvermuteten Hoffnungsoasen einfach ohne jeden zumindest angedeuteten Bruch stehen lassen würde – und so hört man die voller Freude auf den Hund zulaufende Frau des Pärchens zum Abschluss beinahe schon aus dem Off sagen: „Oh ja, so eine Leine habe ich mir schon immer gewünscht.“

    Fazit: Extrem nihilistisch und zutiefst berührend, niederschmetternd und zum Brüllen komisch – Todd Solondz knüpft mit seiner Episoden-Satire „Wiener Dog“ nahtlos an seine früheren ähnlich provokanten Filme wie „Happiness“ oder „Life During Wartime“ an: Auch hier bleibt einem das Lachen immer wieder im Halse stecken.

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