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    The Mermaid
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Mermaid
    Von Christoph Petersen

    Der chinesische Martial-Arts-Künstler, Schauspieler, Ex-Kinderfernsehmoderator und Regisseur Stephen Chow ist der populärste Vertreter des sogenannten Mo lei tau, einer kantonesischen Form des Nonsens-Humors. In seinen immens populären Fantasy-Komödien wie „Shaolin Kickers“ oder „Kung Fu Hustle“ bringt Chow Slapstick-Einlagen, Wortspiele und Popkultur-Parodien auf eine absolut unverkennbare Weise zusammen. Die oft staubtrockenen Pointen ergeben sich bei ihm in der Regel aus einem vermeintlich unbedarften Nebeneinander von tonal völlig gegensätzlichen Elementen: Wenn jemandem auf der Leinwand etwas ganz Schreckliches widerfährt, kann man bei einem Chow-Film sein Geld darauf verwetten, dass gleich eine unbeteiligte Figur aus dem Hintergrund einen vollkommen unpassenden Gag reißen wird. Obwohl viele Wortspiele durch Untertitelung oder Synchronisation verloren gehen, wird es bei Chows neuer CGI-Sause „The Mermaid“ einmal mehr auch den westlichen Zuschauern kaum gelingen, nicht mindestens eine Handvoll Male laut loszuprusten. Nicht zufällig ist das Fantasy-Märchen im Februar 2016 innerhalb nur weniger Tage zum erfolgreichsten chinesischen Film aller Zeiten aufgestiegen (ein Rekord, den er vor kurzem allerdings wieder an den Propaganda-Actioner „Wolf Warrior 2“ abgeben musste).

    Als der selbstverliebte Milliardär und Playboy Liu Xuan (Chao Deng) für eigentlich viel zu viel Geld ein Grundstück am Meer ersteigert, machen sich all seine reichen, teilweise per Jetpack einfliegenden Kumpels über ihn lustig. Schließlich ist das Gelände von einem Naturschutzgebiet umgeben und dürfte sich deshalb kaum gewinnbringend bebauen lassen. Aber Liu Xuan hat einen Plan: Seine Forschungsabteilung hat spezielle Unterwassersonare entwickelt, die alle Delfine aus der Gegend vertreiben sollen (wobei eine Demonstration der Geräte eher darauf hindeutet, dass die Meeresbewohner gar nicht verschwinden, sondern regelrecht zerplatzen). Um den rücksichtslosen Immobilienmogul doch noch aufzuhalten, entschließen sich die ansässigen Meerjungfrauen, eine von ihnen an Land zu schicken. Nachdem sie ihre Schwanzflosse teilweise durchtrennt hat, passen die beiden Seiten jeweils in einen kleinen gelben Gummischuh – und so watschelt Meerjungfrau Shan (Lin Yun) los, um sich an Liu Xuan ranzuschmeißen und ihn dann mit tödlichen Seeigeln aus dem Weg zu räumen…

    Der Begriff Mo lei tau ist entstanden, weil die Zuschauer nach den Filmen immer „Mo lei tau gau?“ gefragt haben sollen, was auf Deutsch so viel wie „Was soll das?“ bedeutet. Und tatsächlich: Auch bei „The Mermaid“ würde man nun am liebsten jeder zweiten Szene ein ganz gepflegtes „WTF?“ entgegenschleudern – aber dazu kommt man vor lauter Lachen überhaupt nicht. Schon die ersten unbedarften Mordversuche der wie ein Seehund lachenden Shan erweisen sich als ein geradezu rauschhaftes Slapstick-Fest – kaum zu glauben, dass das die erste Kinorolle von Lin Yun ist, die hier gleichzeitig völlig überdrehten Gaga-Humor zelebriert und nebenbei auch noch als romantische Hauptfigur überzeugt (fast so, als wäre sie Will Ferrell und Julia Roberts in einer Person). Aber bei aller brüllend komischen Absurdität haben die Filme von Chow oft auch einen verstörenden Kern, schließlich leben sie ja von ihren möglichst krassen Gegensätzen. Und so folgt direkt auf einen harmlos-amüsanten RomCom-Moment auch schon mal eine Szene, in der eine Spezialeinheit einen Haufen Meerjungfrauen vollkommen humorfrei mit Maschinengewehren niedermetzelt (ähnlich wie in den gleich zu Beginn gezeigten YouTube-Videos von realen Delfinschlachtungen).

    Stephen Chow hat mit seinen Filmen rein technisch noch nie neue Maßstäbe gesetzt – trotzdem versetzen uns die CGI-Effekte in „Shaolin Kickers“, „Kung Fu Hustle“ oder „The Mermaid“ viel eher ins Staunen als die objektiv deutlich brillanteren Computeranimationen etwa im neuesten „Transformers“-Film: In der Tradition solcher – zumindest in westlichen Augen völlig abgehobenen - Animes wie „Kickers“ oder „Dragonball“ hat Chow seiner eigenen Kreativität und Fantasie noch nie irgendwelche Grenzen gesetzt: Ist doch scheißegal, dass er nun eben zufällig keine Zeichentrickserien, sondern Kino-Realfilme realisiert! Den Vogel schießt dabei eine Szene ab, in der ein als Koch verkleideter Oktopus mit menschlichem Oberkörper (Show Luo) seine eigenen Krakenarme zu Sashimi verarbeiten muss, um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Wir haben lange nicht mehr so laut gelacht wie in dem Moment, als einer der Arme durch den Fleischwolf gedreht wird: eine grausam lustige Szene und damit wieder einer dieser Gegensätze, die Stephen-Chow-Filme immer zu einem Ereignis machen.

    Fazit: Stephen Chow treibt die Skurrilität auch in seinem neuesten Nonsens-Fantasy-Märchen nicht nur auf die Spitze, sondern weit darüber hinaus.

    Wir haben „The Mermaid“ auf dem Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er im offiziellen Programm gezeigt wird.

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