Mein Konto
    Das Versprechen - Erste Liebe lebenslänglich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Versprechen - Erste Liebe lebenslänglich
    Von Gregor Torinus

    Fast jeder kennt sie, die kleinen Jugendsünden, über die man im Rückblick oftmals lächelt. Gerade die erste große Liebe kann einen zu mancherlei Unfug verleiten. Aber kaum jemand würde auf die Idee kommen, einen von seinem Schwarm begangenen bestialischen Doppelmord auf das eigene Konto zu nehmen. Erst recht nicht, wenn einem dafür die Todesstrafe droht. Doch genau dies hat der damals 18-jährige Deutsche Jens Söring für die Frau getan, die er liebt. Es gelang ihm zwar, dem elektrischen Stuhl zu entgehen, doch dafür sitzt er seit 30 Jahren in den USA hinter Gittern und hat kaum Aussicht auf eine Begnadigung. Diesen spektakulären Kriminalfall und die daran hängenden menschlichen Schicksale nehmen Marcus Vetter und Karin Steinberger in ihrer eindringlichen Dokumentation „Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich“ unter die Lupe.

    Die Tat geschah am 30. März 1985 in Virginia: An diesem Tag fällt das Ehepaar Nancy und Derek Haysom einem brutalen Doppelmord zum Opfer, hinter dem ausgerechnet ihre eigene Tochter Elizabeth steckt. Nach Aussage ihres damaligen deutschen Freunds Jens Söring hat diese das blutige Verbrechen im Drogenrausch verübt. Die beiden fliehen gemeinsam nach Asien und Europa und werden 1986 in England wegen Scheckbetrugs gefasst. Aus Liebe nimmt Jens in einer heroischen Geste die Schuld auf sich, während sich Elisabeth lediglich als Anstifterin der Tat bekennt. Dafür wurde sie zu 90 Jahren Haft verurteilt, Jens hingegen entging nur durch die Vermittlung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Todesstrafe. Er wurde 1990 in den USA zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Bis heute sitzen beide keine 60 Kilometer voneinander entfernt in Virginia im Gefängnis

    „Das Versprechen - Erste Liebe lebenslänglich“ ist nach „Hunger“ und „The Forecaster“ die dritte Zusammenarbeit der beiden Dokumentarfilmer Marcus Vetter und Karin Steinberger. Während Vetter zuvor schon viele andere Projekte als Filmemacher realisiert hatte, bringt Steinberger ihre Erfahrungen als langjährige Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung ein: Eine bereits zehnjährige Recherche bei der SZ bildet auch die Basis für den nun vorliegenden Film. „Das Versprechen“ ist die Geschichte eines haarsträubenden Justizskandals, denn völlig unabhängig von der bis heute ungeklärten Schuldfrage weist dieser Fall empörende Ungereimtheiten auf. Davon erzählen Vetter und Steinberger auf betont sachliche Weise und enthalten sich konsequent jeder persönlichen Stellungnahme. Sie lassen das umfangreiche Archivmaterial sowie zahlreiche Interviews mit den Protagonisten von heute und damals für sich sprechen.

    Der eigentliche Kommentator im Film ist der angebliche Täter selbst: Jens Söring schildert im Gespräch mit den Filmemachern in seinem Gefängnis in Virginia auf äußerst eloquente Weise, was ihn damals motiviert hat und wie er heute über den Fall denkt. Dabei war der Gerichtsprozess gegen den „german bastard“ der erste, der in den USA landesweit per TV übertragen wurde. Anfangs schrecken die alten krisseligen Fernsehaufnahmen in „Das Versprechen“ im Zusammenspiel mit der verworrenen Faktenlage noch ein wenig ab. Aber aus Ungewissheit und Unübersichtlichkeit lassen Marcus Vetter und Karin Steinberger die beunruhigende Spannung eines True-Crime-Gerichtsthrillers erwachsen, in dem sich die Puzzlestück nach und nach zu einem schockierenden Gesamtbild fügen.

    Dabei muss man immer wieder unwillig den Kopf schütteln angesichts der formalen Schnitzer und der schieren Willkür, die bei diesem Prozess - und auch noch danach - im Spiel waren: Da gibt es ein Söring entlastendes Täterprofil von einem FBI-Spezialisten, das offensichtlich einfach unter den Tisch gekehrt wurde und der Schuldspruch gegen den unliebsamen Deutschen hängt letztlich von der Analyse eines Sockenabdrucks ab, die von einem Experten für Reifenabdrücke durchgeführt wurde: All das wirft ein alles andere als schmeichelhaftes Licht auf das amerikanische Justizsystem. Da passt es dann auch, wenn der damalige demokratische Gouverneur von Virginia 2010 in einer seiner letzten Amtshandlungen der Haftüberstellung von Söring nach Deutschland zustimmt und sein republikanischer Nachfolger diese Entscheidung unmittelbar nach seinem Amtsantritt widerruft. Aus der leichtsinnigen Tat eines Verliebten ist längst ein Politikum geworden.

    Fazit: Der reale Fall des in Virginia inhaftierten Deutschen Jens Söring wird in der Dokumentation „Das Versprechen“ zu einem sehr spannenden und extrem aufwühlenden Justiz- und Politthriller.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top