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    7500
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    7500

    Deutsches Genre-Kino mit Hollywood-Star

    Von Lars-Christian Daniels

    Was wurden im Hollywood-Kino der vergangenen Jahrzehnte nicht schon für Schlachten an Bord eines Flugzeugs geschlagen! In Wolfgang Petersens Box-Office-Hit „Air Force One“ war es zum Beispiel der US-amerikanische Präsident (Harrison Ford) höchstpersönlich, der es mit russischen Terroristen aufnahm, in Simon Wests Action-Reißer „Con Air“ legte sich ein zu Unrecht verurteilter Sträfling (Nicolas Cage) mit einem halben Dutzend Schwerverbrecher an und im Trash-Spektakel „Snakes On A Plane“ musste ein tapferer FBI-Agent (Samuel L. Jackson) sogar mit wildgewordenen Schlangen fertig werden.

    Der deutsch-österreichische Actionthriller „7500“ fällt da – trotz der ebenfalls prominenten Besetzung der Hauptrolle – erwartungsgemäß eine Nummer kleiner aus: Im spannenden Langfilmdebüt von Filmemacher Patrick Vollrath, der 2015 für seinen Abschlussfilm „Alles wird gut“ mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnet wurde, ist ein junger Co-Pilot bei einer Flugzeugentführung auf sich allein gestellt und bietet drei radikalen Islamisten vom Cockpit aus Paroli. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der von SWR, BR und arte co-produzierte Film liefert einmal mehr den Beweis, dass deutsches Genrekino besser sein kann als sein Ruf.

    "7500" spielt an Bord eines Flugzeugs.

    Zunächst sieht alles nach einem normalen Arbeitsalltag aus: Der junge Co-Pilot Tobias Ellis (Joseph Gordon-Levitt) nimmt auf dem Rollfeld des Berliner Flughafens seinen Platz im Cockpit eines Airbus A319 ein. Gemeinsam mit Kapitän Michael Lutzmann (Carlo Kitzlinger) soll er die Passagiere und die Besatzung sicher nach Paris bringen – darunter auch seine Freundin Gökce (Aylin Tezel), mit der er ein zweijähriges Kind hat und die an Bord als Flugbegleiterin arbeitet. Als die Maschine abhebt und nach kleineren wetterbedingten Turbulenzen ihre Flughöhe erreicht, bricht plötzlich Geschrei in der Kabine aus: Die Terroristen Kenan (Murathan Muslu), Daniel (Paul Wollin) und Vedat (Omid Memar) haben sich Waffen aus Glasflaschen gebaut und versuchen, gewaltsam ins Cockpit einzudringen…

    Es ist ein beunruhigendes Szenario, das Regisseur Patrick Vollrath, der gemeinsam mit dem bosnisch-österreichischen Autor, Dramaturg und Produzenten Senad Halilbašic auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat, in seinem ersten Langfilm entwirft. Ist es wirklich so einfach, die Kabine eines Passagierflugzeugs nur mithilfe von Spirituosenflaschen und Gaffa Tape in seine Gewalt zu bringen? Das muss wohl jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden – in der Realität vorstellbar ist die prekäre Ausgangssituation für den packenden Actionthriller aber durchaus.

    Fast dokumentarische Bilder

    Überhaupt hat „7500“, dessen Filmtitel den Notfallcode für eine Flugzeugentführung aufgreift, vor allem im ersten Drittel fast etwas Dokumentarisches: Die einleitenden Bilder der Überwachungskameras, die die Terroristen bei der Sicherheitskontrolle im Flughafen und beim Einkauf im Duty-Free-Shop zeigen, skizzieren kurz die Vorgeschichte und auch die Routinearbeiten im Cockpit der Maschine werden authentisch illustriert und mit entsprechenden Fachbegriffen unterfüttert. Weil die Filmemacher fortan ausschließlich auf wackelige Handkamerabilder setzen und zudem auf den spannungsverstärkenden Einsatz von Musik verzichten, hat man von Beginn an das Gefühl, man wäre tatsächlich live bei einem Nachtflug nach Paris dabei.

    „7500“ läuft nahezu in Echtzeit ab – lediglich allzu lang andauernde Tätigkeiten wie das Boarding der Maschine werden elegant verknappt, ohne dass der dokumentarische Anstrich darunter leiden würde. Mit dem brutalen Angriff auf die Besatzung entsteht dann schnell eine vielversprechende Pattsituation, die allerdings etwas konstruiert wirkt: Während ein Attentäter überwältigt werden kann und fortan bewusstlos im Cockpit liegt, hat der Rest der Geiselnehmer nicht nur die Passagiere, sondern auch ausgerechnet Tobias‘ Freundin Gökce in der Gewalt – und es liegt an dem jungen Co-Piloten, in dieser Extremsituation die richtigen Entscheidungen zu treffen.

    Tobias steht vor schwierigen Entscheidungen.

    Der Zuschauer nimmt dabei über die gesamte Spieldauer allein seine Perspektive ein, denn was genau in der Kabine geschieht, bleibt ihm ebenso verborgen wie Tobias. Über die Cockpit-Kamera der Piloten ist lediglich der Bereich vor der verbarrikadierten Tür einsehbar, der durch einen Vorhang vom Rest des Flugzeuginneren abgetrennt ist. Nennenswerte Verschnaufpausen gönnen die Filmemacher dem Publikum in dieser klaustrophobischen Atmosphäre nicht: Die knappe Spielzeit von gerade mal 92 Minuten ist der Spannungskurve absolut dienlich – die Zeit vergeht buchstäblich wie im Flug.

    Dramaturgisch wandelt Vollraths Actionthriller auf relativ ausgetretenen Pfaden, was aber nicht heißt, dass der mitreißende Film unter großer Vorhersehbarkeit litte: Durch einige originelle Drehbuchkniffe – beispielsweise eine versteckte „Waffe“ im Cockpit – entstehen immer wieder gelungene Wendungen, weil nicht jede Trumpfkarte gleich ausgespielt wird. Erst auf der Zielgeraden, auf der sich der Kreis der noch handlungsfähigen Personen innerhalb des engen Mikrokosmos ausdünnt, verliert die Geschichte spürbar an Fahrt, zumal sie hier etwas orientierungslos wirkt: Die Absichten der Terroristen werden nur oberflächlich umrissen und müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt neu ausgerichtet werden.

    Die Schlüsselrolle im Finale der deutsch-österreichischen Co-Produktion kommt dabei neben Co-Pilot Tobias – bärenstark und facettenreich gespielt von Hollywood-Star Joseph Gordon-Levitt („Snowden“, „The Dark Knight Rises“) – dem erst 18-jährigen Terroristen Vedat zu, der aber manche Antwort schuldig bleibt, weil er sie selbst gar nicht kennt. So unberechenbar und reizvoll die Figur bis zu diesem Zeitpunkt daherkommt, erzählt sie am Ende kaum mehr als die altbekannte Geschichte vom naiven Jungislamisten, dessen Radikalisierung auf tönernen Füßen gebaut wurde.

    Fazit: Patrick Vollraths Langfilmdebüt „7500“ ist ein stark gespielter und spannend inszenierter Actionthriller, dessen kleinere Drehbuchschwächen den Unterhaltungswert kaum schmälern.

    Wir haben „7500“ auf dem Filmfest Hamburg 2019 gesehen.

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