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    Tatort: Dunkle Zeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Dunkle Zeit
    Von Lars-Christian Daniels

    Propagandafernsehen! Öffentlich-rechtliche Volkserziehung! Gehirnwäsche!“ – Wer in den vergangenen Monaten nach einem politisch angehauchten „Tatort“ mal einen Blick in die sozialen Netzwerke warf, stieß vor allem in der Zeit vor der Bundestagswahl mit hoher Wahrscheinlichkeit auf deftige Hasskommentare gegen die ARD und die beteiligten Filmemacher. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Online-Sturm der Entrüstung im Januar 2017 nach dem „Tatort: Land in dieser Zeit“, in dem die Frankfurter Kommissare rechte Gewalttäter zur Strecke brachten und sich Verdächtige mit Migrationshintergrund als unschuldig entpuppten – ein gefundenes Fressen für rechtsorientierte Internethetzer, die dem vielkritisierten Sonntagskrimi eine bewusste Verleumdung der Realität in diesem Land und die gezielte Manipulation des TV-Publikums attestierten. Auch Niki Steins „Tatort: Dunkle Zeit“, der beim Filmfest Hamburg 2017 seine Vorpremiere feierte, wird es bei einigen Zuschauern wieder sehr schwer haben: Der Filmemacher thematisiert in seinem spannenden Krimi den Bombenanschlag auf die Fraktionschefin einer rechtspopulistischen Partei und liefert damit jede Menge Sprengstoff für Diskussionen im Anschluss an die Ausstrahlung.

    Kurz vor der Bundestagswahl häufen sich die Anfeindungen gegen die Fraktionsvorsitzende der „Neuen Patrioten“: In einem Online-Video, das vermutlich aus der linksautonomen Szene stammt, wird sogar zum Mord an Nina Schramm (Anja Kling) aufgerufen. Die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) werden von ihrer Chefin Luisa Salvoldi (Clelia Sarto) zum Schutz der Rechtspopulistin abgestellt – was vor allem Falke nicht in den Kram passt, denn sein tolerantes Weltbild lässt sich so gar nicht mit dem der erfolgreichen Politikerin vereinbaren. Die Ermittler können nicht verhindern, dass kurz darauf ein Mensch zu Tode kommt: Der Bombenanschlag eines Attentäters trifft Schramms Ehemann Richard (Udo Schenk). Ein Überwachungsvideo der rechten Online-Plattform „Stolz und Vorurteil“ von Peter Roman (Wilfried Hochholdinger) zeigt zwei Vermummte, die eine Bombe am Wagen des Gatten der Politikerin deponieren. Doch ist das Video echt und galt das Attentat wirklich ihm? Ins Visier der Ermittler geraten neben Schramms Wahlkampfmanager und Liebhaber Benjamin Reinders (Ben Braun) auch die linksradikale Paula (Sophie Pfenningstorf) und ihr jüngerer Lover Vincent (Jordan Dwyer)...

    Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein („Rommel“), der zuletzt den mutigen Stuttgarter „Tatort: HAL“ inszenierte, wagt sich bei seinem 14. „Tatort“ an ein politisch verdammt heißes Eisen: Schon in der ersten Filmminute sehen wir Aufnahmen von US-Präsident Donald Trump, Adolf Hitler und Wladimir Putin. Die Nähe der rechtspopulistischen Nebenfiguren zu bekannten Köpfen der AfD ist ebenfalls nicht zu übersehen, während das einleitende Aufeinandertreffen von Polizisten und linksautonomen Gewalttätern sofort an den diesjährigen G20-Gipfel erinnert (zu dessen Zeitpunkt der ebenfalls in Hamburg spielende Film allerdings bereits abgedreht war). Irgendwo zwischen diesen politischen Extremen bewegen sich die Ermittler und werden so für das Gros der Zuschauer zur Projektionsfläche: Da ist zum einen der liberale und aufbrausende Falke, der auf sein glückliches Aufwachsen im Hamburger Multi-Kulti-Stadtteil Billstedt verweist und von der rhetorisch gewieften Politikerin Schramm bei einem Streitgespräch mühelos ausgekontert wird („Da wo sie aufgewachsen sind, hab ich mit meiner Partei 13 Prozent geholt.“). Grosz hingegen verhält sich deutlich besonnener, weiß Schramms Provokationen bezüglich einer dringend notwendigen Aufstockung des Polizeiapparats (auch eine bekannte AfD-Forderung) aber ebenso wenig zu kontern.

    Während Stein bei Schramms Parteifreunden gelegentlich etwas dick aufträgt (bei Reinders dudelt beispielsweise Rechtsrock im Autoradio), nähert er sich der Parteichefin deutlich differenzierter an und lockt den Zuschauer damit auf gefährliches Terrain: Einige Argumente der Politikerin würde man glatt unterschreiben, wüsste man nicht, dass sie die geschickte Verkürzung der Wahrheit zur Methode macht und ihre Partei nur allzu gern in der Opferrolle sieht. Zudem begeht Stein nicht den Fehler, die charismatische Rechtspopulistin zu überzeichnen oder gar zu dämonisieren, sondern verleiht ihr menschliche Züge: In einer der stärksten Szenen des Films verliert Schramm einen Augenblick lang die Fassung, weil sie dem Druck der anstehenden Wahlen und der drohenden Gefahr für Leib und Leben nicht mehr standhalten kann. Wie sehr auch die Bundespolizei bei ihren Ermittlungen unter Beobachtung steht, zeigt hingegen eine Hausdurchsuchung beim potenziellen Bombenbauer Vincent: Grosz hält sich hier zu Falkes Erstaunen nicht an die Vorschriften, um nur ja nicht mit leeren Händen ins Präsidium zurückzukehren und den Kritikern der vermeintlich unfähigen deutschen Polizisten weiteres Wasser auf ihre Mühlen zu liefern („Sind wir mal wieder auf dem linken Auge blind, ja?“).

    Die politische Debatte und der temporeich erzählte Kriminalfall, bei dem die Mördersuche angesichts der verschärften Sicherheitslage um die Parteispitze oft in den Hintergrund tritt, fallen damit unter dem Strich sehr überzeugend aus, doch im Hinblick auf die Besetzung der kleineren Nebenrollen schwächelt der Krimi erheblich: Gleich mehrere Schauspieler bringen kein gehobenes Primetime-Niveau mit und fallen im Vergleich zu den überzeugenden Hauptdarstellern deutlich ab. Anja Kling („Angst“) liefert in der Rolle der erfolgshungrigen, aber durchaus nahbaren Politikerin eine starke Performance ab und auch Wotan Wilke Möhring („Happy Burnout“) und Franziska Weisz („Kreuzweg“) harmonieren besser als bei ihrem erst drei Wochen vor „Dunkle Zeit“ gesendeten „Tatort: Böser Boden“. Darüber hinaus birgt der 1039. „Tatort“ im Hinblick auf die Figurenentwicklung ein paar interessante Details für das Stammpublikum: Die sensible Grosz verweigert dem um Lockerheit bemühten Falke zum Beispiel überraschend das Du und zeigt sich nach einem seiner aufbrausenden Kommentare verletzter als der es für möglich gehalten hätte. Nach Feierabend dürfen wir die Afghanistan-Rückkehrerin aber auch weiterhin nicht erleben – anders als den alleinerziehenden Falke, der den politischen Diskurs mit seinem verbitterten Sohn Torben (Levin Liam) direkt auf der Fernsehcouch weiterführt.

    Fazit: Filmemacher Niki Stein legt den Finger auf den Puls der Zeit und liefert mit seinem „Tatort: Dunkle Zeit“ einen spannenden und relevanten Krimi mit reichlich politischem Sprengstoff.

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