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    So wie du mich willst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    So wie du mich willst

    Liebe in Zeiten des Internets

    Von Michael Meyns

    Liebe in Zeiten des Internets!“ Das wäre ein durchaus passender Alternativtitel für das Social-Media-Melodram „So wie du mich willst“, einer Verfilmung des Romans „Celle Que Vous Croyez“ von Camille Laurens, die mit ihren semi-autobiographischen Büchern inzwischen zu den renommiertesten feministischen Autorinnen Frankreichs zählt. Das mit Safy Nebbou ausgerechnet ein Mann bei diesem Film über weibliche Begierde Regie führt, verleiht der ohnehin verwickelten, manchmal auch etwas konfusen Erzählung einen besonderen Reiz. So kreuzen sich andauernd die männlichen und weiblichen Blicke in diesem Star-Vehikel, in dem Juliette Binoche zwar praktisch in jeder Szene zu sehen ist, dabei aber dennoch lange undurchschaubar bleibt.

    Claire (Juliette Binoche), eine Literaturdozentin um die 50, lebt seit der Scheidung von ihrem Mann allein mit ihren beiden Söhnen. Allerdings hat sie einen sehr viel jüngeren Liebhaber, den Architekten Ludo (Guillaume Gouix). Als dieser sie plötzlich und ohne Vorwarnung links liegen lässt, schreibt Claire aus einer Laune heraus auf Facebook Ludos Mitbewohner Alex (François Civil) an. Aber nicht unter ihrem eigenen Namen, sondern unter dem Pseudonym Clara Antunes. Und nicht nur das: Claire tut als Clara auch so, als wäre sie 24 Jahre alt, eine professionelle Tänzerin und sehr, sehr sexy. Es beginnt ein heftiger Flirt, erst nur online, später auch per Telefon, aber zu einem Treffen in der Realität kann es mit Clara ja aus naheliegenden Gründen nicht kommen. Aber auch so, nur durch Chats und Telefonate, entwickelt sich schon bald auf beiden Seiten eine ungeahnte emotionale Intensität. Doch dann fordert das immer dichter werdende Lügengeflecht einen fatalen Preis…

    In einem ihrer Seminare thematisiert Claire „Gefährliche Liebschaften“, den berühmten Briefroman von Choderlos de Laclos, der von einer Liebe erzählt, die als Lüge begann und im Unglück endet. Eine offensichtliche Parallele zu Claires eigener Geschichte, bei der man aber auch an den zeitgenössischen „Catfish“ denken könnte: In dem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010 geht es um einen jungen Mann, der sich online in eine Frau verliebt, die sich als Fake herausstellt. Inzwischen wird das Annehmen von falschen Online-Identitäten sogar offiziell nach dem Film als Catfishing genannt.

    Speziell durch die sozialen Medien ist es eben noch viel einfacher geworden, eine Illusion des schönen Scheins zu errichten. Waren es früher langsame Briefe, die die Phantasie anregen sollten, ist es heutzutage dank der vollständigen Entblößung auf Facebook und Instagram viel einfacher, vermeintlich sehr schnell sehr viel über eine Person zu wissen, ohne sie auch nur im Ansatz zu kennen. Auf Facebook geht es schließlich nicht um die Essenz eines Menschen, sondern um die Fassade, die Selbstdarstellung und damit eben automatisch auch um eine Illusion.

    Um diese Fragen kreist nach dem Roman nun auch die Verfilmung von Safy Nebbou, dem es nicht immer gelingt, die literarische Vorlage zwingend auf einen 100-minütigen Film zu komprimieren. Manche Drehbuchvolte wirkt aufgesetzt, manches muss man einfach schlucken – warum Alex etwa so lange dabei mitmacht, mit Clara nur online beziehungsweise am Telefon Kontakt zu haben. Gerade in der zweiten Hälfte droht „So wie du mich willst“ zudem manches Mal ins Absurde abzudriften (die GPS-App, mit der Alex Claire beinahe aufspürt, ist zum Beispiel grober Unfug). Doch im Kern verhandelt Nebbou relevante, zeitgemäße Themen, für die er die ideale Hauptdarstellerin gefunden hat. Mit Mitte 50 wäre Juliette Binoche in Hollywood womöglich schon längst zu Großmutterrollen abgeschoben worden.

    In ihrer Heimat darf sie hingegen noch immer eine erotische Frau spielen, deren Lust auf Nähe und Sex nicht erloschen ist. Die aber gleichzeitig schon alt genug ist, um in ihrem Gesicht Spuren des Lebens zu tragen, Spuren von Enttäuschungen und vergangenen Lieben. „Ich liebe es, begehrt zu werden“, sagt Claire einmal, und man meint dort im doppelten Sinne Binoche sprechen zu hören. Der Drang, jung zu bleiben, einen makellosen Körper zu haben, von attraktiven Männern umworben zu werden, ist es, der Claire antreibt, der sie dazu bringt, sich den Illusionen der anonymen sozialen Medien hinzugeben. So extreme Folgen wie auf der Kinoleinwand mag das in der Realität zwar nur selten haben, der Faszination der virtuellen Welt zu erliegen erscheint dennoch als eine allzu reale Gefahr.

    Fazit: Syfy Nebbou geht es in seinem Melodram „So wie du mich willst“ um virtuelles Begehren und die Illusionen der sozialen Medien, bei dem es dank der großartigen Juliette Binoche gelingt, so manche Drehbuchschwäche zu überspielen.

    Wir haben „So wie du mich willst“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er als Berlinale Special gezeigt wurde.

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