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    Tatort: Wir kriegen euch alle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Wir kriegen euch alle

    Ja is’ denn heut schon Weihnachten?

    Von Lars-Christian Daniels

    Über die Programmplanung der ARD kann man sich im Herbst 2018 angesichts der derzeitig 22 verschiedenen „Tatort“-Teams nur noch wundern: Gerade einmal sechs Wochen nach der TV-Premiere des Münchner „Tatort: KI“ steht bereits der nächste Fall aus der bayrischen Landeshauptstadt auf dem Programm. Was den Sendetermin von Sven BohsesTatort: Wir kriegen euch alle“ gleich doppelt seltsam macht, ist sein weihnachtliches Thema, das doch viel besser zum Ausstrahlungstermin am 2. Feiertag gepasst und somit als Alternative zum ZDF-Quotengaranten „Das Traumschiff“ getaugt hätte: Im 80. Fall von Ivo Batic und Franz Leitmayr geht es um einen Mörder im Kostüm von Santa Claus, der keine Geschenke, sondern den Tod bringt. Weiße Weihnachten sucht man im Film allerdings vergebens: Die Geschichte spielt kurioserweise im Frühling und leidet auch ansonsten unter mancher Holprigkeit im Drehbuch.

    Den Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) bietet sich ein Bild des Grauens: In einer Münchner Villa wurden die Eltern der kleinen Lena Faber (Romy Seitz) brutal ermordet und verstümmelt. An die Wände hat der Täter mit Blut den Satz „Wir kriegen euch alle“ geschmiert, das Kind aber verschont. Vom chinesischen Au-Pair-Mädchen Chi Ling (Jing Xiang) erfahren die Kommissare, die bei ihren Ermittlungen von ihrem Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und dem Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) unterstützt werden, dass Lena am Tag vor dem Mord einen Weihnachtsmann erwähnt hatte – und als die Ermittler die Bilder einer Überwachungskamera auswerten, zeigen diese tatsächlich einen entsprechend kostümierten Mann im Garten. Lena hat ihm nachts die Tür geöffnet und die Alarmanlage deaktiviert. Hatte sich der Täter womöglich in Lenas Smartpuppe „Senta“ gehackt und sie darum gebeten? Weil einiges darauf hindeutet, dass Lena von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde, schleust sich Batic undercover bei den „Anonymen Überlebenden von Kindesmissbrauch“ ein. Dort trifft er auf den jungen Hasko (Leonard Carow), der sich äußerst verdächtig verhält…

    Im Jahr 1991 sorgte der auf realen Verbrechen basierende „Polizeiruf 110: Mit dem Anruf kommt der Tod“ für Aufsehen: Im Film bringt ein perfider anonymer Anrufer unschuldige Kinder am Telefon dazu, sich selbst und andere zu töten. Die Drehbuchautoren Michael Comtesse („Familie verpflichtet“) und Michael Proehl („Das weiße Kaninchen“) bedienen sich nun eines ähnlichen Motivs, verorten es aber im Zeitalter der Apps und digitalen Vernetzung: In ihrem „Tatort“ ist es die ferngesteuerte Smartpuppe Senta, über die sich der Täter Zugang zu den Kinderzimmern verschafft und so die Kinder und ihre Eltern per Fernsteuerung überwacht und manipuliert. Schon hier müssen wir im Hinblick auf die Logik aber beide Augen zudrücken: Ob ein kleines Kind wohl ausgerechnet einem gruseligen Spielzeug mit bedrohlich leuchtenden blauen Augen sein Herz ausschütten würde? Das erwachsene TV-Publikum soll sich schließlich gleichzeitig in bester „Chucky“- oder „Annabelle“-Manier vor der finsteren Puppe gruseln – schwer vorstellbar, dass ein Kind das nicht täte. Auch anderswo klaffen Logiklöcher: Wer an den Weihnachtsmann glaubt, weiß schließlich auch um dessen Besuchstermin an Heiligabend – der Film aber spielt im Frühling, was Lena und die anderen Kinder nicht im Geringsten stört.

    Auch beim Blick auf die (etwas zu) zahlreichen Nebenfiguren offenbaren sich Schwächen: Während der stark aufspielende Leonard Carow („Who Am I – Kein System ist sicher“) in seiner Rolle als psychisch labiler und dringend tatverdächtiger Hasko reichlich Zeit vor der Kamera bekommt, verkörpert der unterforderte Jannik Schümann („Jugend ohne Gott“) mit dem partyfreudigen Abiturienten Louis die Karikatur eines gescheiterten Sohnes, der den hohen Ansprüchen seines strengen Vaters nie gerecht werden wird. Wirklich kennenlernen dürfen wir den mit Nerdbrille und Jogginganzug schon optisch stark überzeichneten Faulenzer nämlich nicht – seine Liebe zum undurchsichtigen asiatischen Au-Pair-Mädchen Maggie (Yun Huang) bleibt reine Behauptung und gipfelt in einem unfreiwillig komischen Finale, bei dem ein Regenschirm die entscheidende Rolle spielt. Das Thema Kindesmissbrauch fassen die Filmemacher ebenfalls mit der Kneifzange an: Statt Batic bei seiner Undercover-Mission eine Zeit lang in die anonyme Gesprächsrunde hineinschnuppern zu lassen und sich dem Schicksal der Missbrauchsopfer sensibel und differenziert anzunähern, gibt lediglich ein „Überlebender“ eine ausführliche Gewaltphantasie zum Besten, ehe die halbgare Aufarbeitung schließlich in einer Partie Schafskopf endet.

    Der 1073. „Tatort“ macht trotzdem Spaß, denn die Geschichte fällt zwar nicht sonderlich glaubwürdig aus, wartet aber mit einigen Überraschungen, sympathischen selbstironischen Zwischentönen und tollen Spannungsmomenten auf: Regisseur Sven Bohse („Ostfriesenkiller“) inszeniert eine kurzweilige Kreuzung aus einem düsteren Missbrauchsdrama mit Horror- und Sci-Fi-Anleihen und einem klassischen heiteren Krimi. Trotz des fesselnd in Szene gesetzten und für die Krimireihe bemerkenswert blutigen Auftaktmords kommt der Humor in München nämlich wieder nicht zu kurz: Zu den spaßigsten Momenten zählen eine spontane Räuberleiter im Hinterhof und Batic‘ verzweifelter Versuch, mit seinem Smartphone im Keller ein Mobilfunknetz zu finden, ehe ein Vierbeiner ihm jäh einen Strich durch die Rechnung macht. Auch die Suche nach der Auflösung gestaltet sich reizvoll: Der bemitleidenswerte Hasko ist einfach viel zu verdächtig, als dass er als (alleiniger) Mörder infrage käme – und nicht zuletzt, weil bereits der Krimititel einen Mittäter erahnen lässt, darf fleißig mitgerätselt werden, ob hier wohl noch jemand seine Finger im Spiel hat.

    Fazit: Sven Bohses „Tatort: Wir kriegen euch alle“ ist ein unterhaltsames Krimidrama mit Horror- und Sci-Fi-Anleihen – bei den Figuren tragen die Filmemacher aber zu dick auf und nicht jeder Drehbuchkniff ist glaubwürdig.

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