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    Tatort: Väterchen Frost
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Väterchen Frost

    (K)Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk

    Von Lars-Christian Daniels

    Die ARD beschert den Millionen Fans der humorvollen „Tatort“-Folgen aus Münster in diesem Jahr ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: Obwohl mit dem „Tatort: Spieglein, Spieglein“ und dem „Tatort: Lakritz“ bereits wie gewohnt je ein Krimi im Frühjahr und ein Krimi im Herbst ausgestrahlt wurde, wird 2019 noch ein dritter Fall mit den beliebten Hauptdarstellern Jan Josef Liefers und Axel Prahl gezeigt. Der federführende WDR hat bei der Produktion aber nicht etwa eine Schippe draufgelegt, weil das beliebteste aller „Tatort“-Duos so prächtige Einschaltquoten einfährt, sondern holt schlichtweg Versäumtes nach: Aufgrund der Babypause von Nebendarstellerin Friederike Kempter war 2018 mit dem „Tatort: Schlangengrube“ lediglich eine neue Folge aus Westfalen gesendet worden.

    Mit Torsten C. FischersTatort: Väterchen Frost“ geht nun am 4. Advent noch ein russisch angehauchter Weihnachtskrimi auf Sendung, der qualitativ an (ebenfalls für die Weihnachtszeit produzierte) missglückte Vorgänger wie den Konstanzer „Tatort: Côte d'Azur“ oder den Saarbrücker „Tatort: Weihnachtsgeld“ anknüpft: Nach einem stimmungsvollen Auftakt will in der winterlichen Kreuzung aus klassischem Whodunit und dünner Entführungsstory kaum Spannung aufkommen und auch die besten Pointen werden alle schon in der ersten Filmhälfte verschossen.

    Selbst ein Ausflug auf den Friedhof lässt diesmal keine Spannung aufkommen ...

    Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) hält gerade ihr Schlussplädoyer, um den wegen Totschlags angeklagten Kirill Gromow (Oleg Tikhomirov) hinter Gitter zu bringen, als ihr der arg erkältungsgeschwächte Richter einen Strich durch die Rechnung macht: Die Verhandlung muss wegen seiner Erkrankung vertagt werden. Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) hatten den homosexuellen Gromow überführt, seinen Freund im Affekt erwürgt zu haben. Das sieht der Russe Artjom Gregorowitsch (Sascha Alexander Geršak) allerdings anders: Er ist von Gromows Unschuld überzeugt und fordert eine erneute Untersuchung. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, maskiert er sich als Weihnachtsmann und entführt Thiels Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter). Thiel und Boerne rollen den Fall wohl oder übel kurz vor Heiligabend neu auf…

    Zu einem echten Weihnachtskrimi gehören neben dem passenden Soundtrack (hier unter anderem „Let It Snow“ und „Jingle-Bell Rock“) auch eine Stippvisite auf dem Weihnachtsmarkt, geschmückte Tannenbäume als Kulisse und natürlich Weihnachtsmänner – und die begegnen den Ermittlern in „Väterchen Frost“ gleich im Dutzend. Die eingespielten Drehbuchautoren Jan Hinter und Stephan Cantz, die als Erfinder der populären „Tatort“-Folgen aus Münster gelten, lassen ihre Figuren einleitend am Glühwein nippen und haben auch sonst eine ebenso stimmungs- wie humorvolle Krimikomödie mit dekoriertem Polizeipräsidium und reichlich Weihnachtsatmosphäre geschaffen. Wer den Film also einschaltet, um sich zwei Tage vor Heiligabend in Stimmung zu bringen und berieseln zu lassen, macht mit diesem „Tatort“ garantiert nichts verkehrt.

    Kidnapping light

    Wer hingegen auf einen kniffligen Whodunit und eine steile Spannungskurve hofft, guckt über weite Strecken in die Röhre: Die Täterfrage beim wiederaufgerollten Totschlagsfall wird durch den Auftritt des durchtriebenen Jörn Weig (David Bennent) nur pro forma gestellt und die Identität des Kidnappers schon nach wenigen Minuten gelüftet. Durch die Entführung von Nadeshda Krusenstern ändert sich auch wenig am seichten Erzählton, bei dem sich pfiffiger Dialogwitz und miese „Lars Krismes“-Gags weitestgehend die Waage halten. So richtig Sorgen macht sich um Thiels Kollegin mit den russischen Wurzeln, die die Feiertage bei ihrer Familie an der Wolga verbringen wollte, eigentlich niemand: Weder Thiel und Boerne, deren Nachforschungen sich auf den vermeintlich gelösten Totschlagsfall konzentrieren, noch sie selbst – und der Zuschauer, der im Gegensatz zu den Ermittlern live im Unterschlupf der Entführten dabei sein darf, erst recht nicht.

    Während Krusenstern mit ihrem überraschend sanftmütigen und ebenfalls aus Russland stammenden Kidnapper schnell zum „Du“ übergeht und reichlich Weihnachtsplätzchen vertilgt, scheinen Thiel und Boerne mit ihren Gedanken überall zu sein, nur nicht bei ihrer entführten Kollegin, die direkt auf dem Parkplatz vor Boernes Mehrfamilienhaus verschleppt wurde. Staatsanwältin Klemm, diesmal durch ihr einleitendes Plädoyer etwas mehr im Blickpunkt als in den letzten „Tatort“-Jahren, wird gar nicht erst eingeweiht. Und wirklich einleuchten will das Manöver des Kidnappers ohnehin nicht: Wenn dem Russen doch so daran gelegen ist, den Fall Gromow neu aufrollen zu lassen – ist es dann nicht eher kontraproduktiv, ausgerechnet eine mit dem Fall betraute Kommissarin vom Spielfeld zu nehmen und ihren dezimierten Kollegen so zusätzliche Arbeit zu bescheren?

    ... und nach dem Auftritt von David Bennent bleiben ohnehin kaum noch Fragen offen.

    Mit der Logik und der Realitätsnähe war es im „Tatort“ aus Münster noch nie weit her, und das ist diesmal nicht anders – frühere Fälle wie der großartige „Tatort: Wolfsstunde“ von 2008 haben aber bewiesen, dass der Thrill-Faktor trotz der hohen Pointendichte nicht zwangsweise niedrig ausfallen muss. An Spannung fehlt es dem Krimi – sieht man vom ansprechend inszenierten Showdown in einer nächtlichen Mehlstaubwolke einmal ab – aber fast komplett. Besonders der zähe Mittelteil, in dem sich die gelungenen Gags zunehmend ausdünnen, hat eine fast entschleunigende Wirkung. Einziges Highlight ist hier die bildgewaltig inszenierte Parallelmontage zu den dramatischen Klängen von Fyodor Shalyapins „Otschi Tschornije“, mit der Regisseur Torsten C. Fischer („Romy“) so manchen Zuschauer aus seinem Nickerchen am 4. Adventsabend reißen dürfte.

    Auch der Krimititel „Väterchen Frost“ unterstreicht, dass der 1113. „Tatort“ insgesamt sehr russisch geprägt ist, was aber kaum über Klischees hinausgeht: Die aus der slawischen Mythologie stammende Märchenfigur begegnet Thiel in trashig inszenierten Alptraumsequenzen, während Nadeshda und ihr Entführer – natürlich – eine Flasche Wodka leeren. Die Repressalien gegen den inhaftierten Gromow („Schwul sein in Russland? Alle behandeln dich wie eine Krankheit!“) böten den Filmemachern zwar Gelegenheit, mal klare Kante gegen Homophobie zu zeigen – ein solches Statement kommt im Film aber niemandem über die Lippen. Stattdessen hängt lediglich eine „Stop Homophobia“-Postkarte mit einem geschminkten Wladimir Putin in der Wohnung des Opfers. Münster liefert nun mal Krimis zum Wohlfühlen – da werden ernste Themen lieber elegant umschifft.

    Fazit: Weihnachtskrimi mit hohem Wohlfühl-Faktor, wenig Logik und noch weniger Spannung.

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