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    The Climb
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Climb

    Ein Freund, ein guter Freund...

    Von Oliver Kube

    Im Januar 2018 war der sensationell-lustige One-Shot-Kurzfilm „The Climb“, den ihr euch hier anschauen könnt, beim Sundance Filmfestival plötzlich in aller Munde. Im Anschluss erhielten der Regisseur/Autor Michael Angelo Covino und der Produzent/Autor Kyle Marvin, die im Film auch selbst die Hauptrollen spielen, diverse Anfragen und Angebote, ob sie aus dem Stoff nicht einen abendfüllenden Spielfilm machen wollen. Die beiden setzten sich also hin und schrieben ein Drehbuch – laut eigener Aussage in nur wenigen Wochen. Schließlich hatte das Duo einen entscheidenden Vorteil: Es musste sich keine abgefahrenen Szenarien ausdenken. Man schöpfte einfach aus dem eigenen Leben, schmückte selbst erlebte Momente ein wenig aus und – presto!

    Herausgekommen ist dabei die liebenswert-realistische Tragikomödie „The Climb“, die neben der immer noch grandiosen eröffnenden One-Shot-Geständnis-Szene während des Anstiegs bei einer Fahrradtour mit reihenweise witzigen Pointen aufwartet, aber auch auf kluge Weise nachdenklich stimmt. Wenn sich der junge Woody Allen („Zelig“) und der mittlere Robert Altman („Short Cuts“) gemeinsam an einem Buddy-Movie versucht hätten, wäre wahrscheinlich ein Film wie „The Climb“ dabei herausgekommen.

    Natürlich sind es die Fahrradszenen, über die nach dem Kinobesuch jeder spricht …

    Nach der steilen Eröffnungssequenz, während der Mike (Michael Angelo Covino) seinem besten Kumpel Kyle (Kyle Marvin) gesteht, dass er mit seiner Verlobten geschlafen hat, folgt „The Climb“ über viele Jahre hinweg der von Aufs und Abs geprägten Freundschaft. Einen Plot im eigentlichen Sinne gibt es nicht, vielmehr fühlt sich das Publikum, als würden wir hin und wieder mal reinschauen in die sich laufend ändernde Beziehung der beiden. Dabei wechseln sich dramatisch-traurige, sympathisch-harmonische und absurd-lustige Erlebnisse ab…

    Wer aufgrund des Titels, des Posters oder des Kurzfilms eine Story über Radfahrer erwartet, liegt falsch. „The Climb“ ist die Geschichte einer Freundschaft, einer ziemlich seltsamen und vielleicht gerade deshalb ganz normalen Männerfreundschaft. Erzählt wird sie in acht Kapiteln, zwischen denen manchmal nur ein paar Tage, teilweise einige Jahre vergehen. Die durch kurze musikalische Einlagen voneinander getrennten Segmente zeigen die beiden Kerle und ihre Beziehung im Laufe der Zeit in oft grundverschiedenen Situationen – bei Familienfeiern, im Skiurlaub, mitten in einer Hochzeitszeremonie, im Streit, in Harmonie, in Gefahr. Dabei gibt es eine Menge zu lachen und ein paar Tränchen dürfen auch verdrückt werden. Es gibt aber auch Parts, die zum Nachdenken über das eigene Leben und die Beziehung zu Freunden anregen.

    Wie Freunde eben so sind

    So grundsätzlich verschieden Mike und Kyle auch sein mögen, ihre Freundschaft steht von Anfang an außer Frage. Sie lieben sich, sie hassen sich, sie sind eifersüchtig auf- und großzügig zueinander. Sie zeigen Mitgefühl, freuen sich für den anderen, gehen sich danach aber auch mal ganz tierisch auf den Wecker und sabotieren das Glück des anderen mit voller Absicht.

    Genauso, wie es echte Freunde tun, die sich seit Ewigkeiten und somit fast schon besser kennen als sich selbst. Freunde, die wissen, auf welche Art sie dem anderen am besten helfen oder ihm am stärksten wehtun können. Freunde, die einander schon mal umbringen wollen, sich am Ende aber doch verzeihen und wieder in den Arm nehmen.

    … aber auch im Skiurlaub läuft zwischen den Freunden nicht alles glatt.

    Die den Film bildenden Vignetten sind merklich von den genannten US-Regieveteranen Woody Allen und Robert Altman beeinflusst. Gleichberechtigt standen aber wohl auch die Filme solcher französischen Meister wie Eric RohmerClaude Sautet und sogar Jacques Tati Pate. Covinos Frankophilie geht soweit, dass er die Eröffnungsszene (ein verlängertes „Remake“ des Kurzfilms) an der Côte d'Azur drehte, er seine Figur heulend den Midlife-Krisen-Klassiker „Wahre Liebe rostet nicht“ im Kino schauen lässt und diverse Chansons von Gilbert Bécaud und anderen Old-School-Größen des Genres in den Soundtrack eingebaut hat.

    Das passt alles ganz hervorragend zur Stimmung und wirkt dabei niemals aufgesetzt oder hineingezwängt. Vielmehr reihen sich solche Momente perfekt zwischen anderen kleinen Abseitigkeiten und Absurditäten – wie plötzlich Gospel singende Friedhofsgärtner oder ein Skiballett in Zeitlupe – ein. Nicht nur die Eröffnungssequenz, sondern fast sämtliche Szenen wurden dabei in einem Take ohne Schnitt inszeniert: Die Kamera von Zach Kuperstein („The Eyes Of My Mother“) ist dabei manchmal statisch an einer Stelle verankert, während sie im nächsten Kapitel in ständiger Bewegung bleibt und den Darstellern rasant durch die Kulissen folgt.

    Ins Leben hineingeschaut

    Oder die Kamera bleibt, wie bei der Thanksgiving-Party von Kyles Eltern (Talia Balsam und „Cheers“-Veteran George Wendt), einfach mal draußen. Lange Zeit sehen und hören wir den sich vom fröhlichen Zusammensein zu einer mittleren Katastrophe entwickelnden Abend immer nur von außerhalb des Hauses. Die Kamera schwebt an den Fenstern entlang von Raum zu Raum, ohne selbst hineingehen zu dürfen. Fast so, als würden wir eine echte Familie beobachten, ohne dass sie es bemerkt. Was natürlich ganz wunderbar dazu passt, dass der ganze Film wie aus dem Leben gegriffen wirkt. Covino und Marvin sind in der Realität schließlich auch beste Kumpels.

    Das schimmert auch auf der Leinwand immer durch. Gerade in den amüsant-berührenden Segmenten auf Rennrädern, mit denen „The Climb“ eröffnet und schließt. Speziell diese Sequenzen werden einem noch sehr lange im Gedächtnis bleiben.

    Fazit: Liebenswert schräg, berührend authentisch und oft umwerfend komisch.

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