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    Rebel - In den Fängen des Terrors
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Rebel - In den Fängen des Terrors

    Die Schrecken des IS mit den Mitteln des Populärkinos greifbar gemacht

    Von Michael Meyns

    495.000 Menschen sind im Syrienkrieg gestorben, darunter 25.000 Kinder. So informiert eine Texttafel am Ende des Kriegs-Krachers „Rebel“. Und schließlich steht da noch: „Der Krieg in Syrien dauert an.“ Das könnte man in diesen Tagen fast vergessen, da der Ukrainekrieg die Schlagzeilen bestimmt und im Westen Themen vom Klimawandel bis zur Inflation mehr Beachtung finden als Folter und Zwangsrekrutierung von Kindern. Diesem Ungleichgewicht will das belgische Regie-Duo Adil El Arbi und Bilall Fallah, das zuletzt mit dem Will-Smith-Kracher „Bad Boys For Life“ einen sehr erfolgreichen Hollywood-Einstand gegeben hat, nun etwas entgegensetzen – und zwar mit hammerharter Wucht! Aus dezidiert muslimischer Perspektive erzählen sie von falschen Propheten, verführerischen Hasspredigern und folgenschweren Entscheidungen. Sie setzten dabei die Mittel des Actionkinos wie des Musikvideos ein, sind reißerisch und plakativ, aber auch mitreißend und humanistisch.

    Kamal (Aboubakr Bensaihi) und sein jüngerer Bruder Nassim (Amir El Arbi) sind im sogenannten Problemviertel Brüssel-Molenbeek aufgewachsen. Kamal ist schon vor einigen Monaten nach Syrien gegangen, um sich dort dem Kampf gegen Assad anzuschließen. Stattdessen ist nun aber ein Video aufgetaucht, das Kamal zeigt, wie er gemeinsam mit anderen IS-Schergen eine Gruppe Gefangener exekutiert. Nassim kann nicht glauben, dass sein Bruder zum Terroristen geworden ist und lässt sich von einem radikalen Muslim verführen, der Kamal nicht wie die anderen als Mörder abstempelt, sondern zum Helden des Jihad verklärt. Während seine Mutter Leila (Lubna Azabal) alles versucht, um nicht auch noch ihren zweiten Sohn zu verlieren, kämpft Kamal in der IS-Hochburg Raqqa um sein Leben…

    Kamal (Aboubakr Bensaihi) versucht, vor dem IS zu fliehen - mit fatalen Folgen...

    Kaum ein Konflikt ist mit einfachem Schwarz-Weiß-Denken wirklich zu durchdringen. Selbst wenn auf einer Seite ein übler Diktator steht, kann der Kampf für die andere Seite bedeuten, sich auf einmal auf Seiten des Islamischen Staates (IS) wiederzufinden. Ebenso gilt: Nicht jeder Muslim, der aus Europa nach Syrien in den Kampf gezogen ist, muss deshalb gleich ein radikaler Islamist sein. Die Auslöser für eine solche Entscheidung können vielfältig und die Folge von Naivität und falschen Versprechungen sein. Oft sind es Geschichten voller Ambivalenzen und Widersprüche. Von dieser Komplexität erzählt nun auch das actionerprobte Regie-Duo Arbi & Bilall – und zwar trotz Cannes-Premiere (in der Mitternachtskino-Sektion) nicht auf eine betont intellektuelle, sondern auf eine wuchtige, sich explizit an ein Mainstream-Publikum richtende Weise.

    Mit „Rebel“ lassen sie den Zuschauer nun tief in muslimische Welten eintauchen. Die einzigen weißen Personen, die hier auftauchen, sind bezeichnenderweise Polizisten, ansonsten sind sowohl das belgischen Molenbeek und später das syrische Raqqa muslimisch geprägt. Hier wird den westlichen Medien – zum Teil ja auch aus verständlichen Gründen, etwa bei der zurückhaltenden Berichterstattung über zivile Opfer der amerikanischen Streitkräfte – nicht getraut. Dafür herrscht großes Mitgefühl für das Leid der arabischen Bevölkerung in Syrien (und anderen Kriegsgebieten). „Rebel“ stellt klar, dass an dem Wunsch, etwas zu tun, nichts verkehrt ist – zugleich aber immer auch die Gefahr besteht, von falschen Predigern (zur Gewalt) verführt zu werden.

    Hinter den Bildern

    Man könnte sagen, dass „Rebel“ für zwei verschiedene Zielgruppen gemacht ist: Für ein weißes, nicht-muslimisches, bürgerliches Publikum, das mit einem Film wie diesem vielleicht zum ersten Mal mit islamischen Lebenswelten und vor allem Gedankenräumen konfrontiert wird. Aber auch für ein arabisches Publikum, das sich im allzu verständlichen Wunsch, sich von der weißen Mehrheitsgesellschaft, von der man ohnehin oft nicht recht akzeptiert wird, abzugrenzen, zum Teil in fragwürdige Ideologien flüchtet. Interessant ist hier, wie Arbi & Bilall anfangs in einer Shisha-Bar, später in den Ruinen Raqqas quasi Musikvideos inszenieren: Die Rekrutierungsvideos radikaler Islamisten sind dabei genauso überinszeniert und pathetisch wie die hippen Music-Clips.

    Sowieso ist die Inszenierung von „Wahrheit“ vielleicht das zentrale Thema des Films. Der vom IS zwangsrekrutierte Kamal übernimmt dort die Aufgabe, die Angriffe und Gräueltaten der IS-Soldaten möglichst pathetisch und spektakulär auf Video festzuhalten. Da sieht man dann, wie sein Befehlshaber ihm vor einem Angriff genau sagt, was er filmen soll und was nicht (zum Beispiel auf keinen Fall, wie sich die IS-Kämpfer vorab mit allerlei Pillen und Pulvern hochpuschen). Wenn (Massen-)Exekutionen gezeigt werden, kommen Kranfahrten, Drohnenaufnahmen und andere Stilmittel zum Einsatz, während die vor ihren Mördern knieenden Opfer darauf warten müssen, bis auch jede Einstellung stimmt, bevor sie kaltblütig erschossen werden.

    In seiner belgischen Heimat wird Kamal als mörderischer Terrorist gebrandmarkt - und genau das treibt seinen kleinen Bruder in die Hände des IS.

    Dass Arbi & Bilall mit den Stilmitteln des Actionkinos umgehen können, haben sie längst bewiesen – und sich so sogar den Hollywood-Job als Regisseure der Blockbuster-Fortsetzung „Bad Boys For Life“ gesichert. Und so lassen sie es auch hier krachen, inszenieren bemerkenswert ausufernde, große Actionszenen, aber auch brutale Momente, die Folter und Enthauptungen zeigen. Harte Bilder sind das oft, auch plakative, die zu einer Geschichte passen, die oft in groben Strichen gezeichnet wird, in der nicht alles Sinn ergibt, in der Handlungsstränge offen bleiben, die aber offensichtlich mit Herzblut erzählt ist. „Rebel“ zeigt eine andere, eine muslimische Perspektive auf den Krieg in Syrien, aber auch auf das Leben muslimischer Migrant*innen in westlichen Städten. Eine Perspektive, die man sich auch im deutschen Kino viel häufiger wünschen würde – genauso wie eine derart wuchtige, actionorientierte Inszenierung.

    Fazit: Aus dezidiert muslimischer Perspektive erzählt das belgische Regie-Duo Arbi & Bilall in „Rebel“ von falschen Propheten, radikalem Islamismus und dem Wunsch arabischer Brüder, im Krieg irgendwie zu helfen. Oft plakativ und reißerisch, aber auch mit viel Wucht und Herzblut erzählt.

    Wir haben „Rebel“ beim Filmfestival in Cannes 2022 gesehen, wo er als Midnight Screening gezeigt wurde.

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