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    Der Geschmack der kleinen Dinge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Der Geschmack der kleinen Dinge

    Es gibt mehr im Leben als nur sauer, salzig, bitter und süß

    Von Lars-Christian Daniels

    Sauer und salzig, bitter und süß: Das sind die vier Geschmacksrichtungen, die unser Gaumen nach allgemeinem Verständnis zu unterscheiden vermag. Doch da gibt es noch eine fünfte, derer sich hierzulande viele Menschen gar nicht bewusst sind und die etwa in Sojasauce, Tomaten oder grünem Tee vorkommt: Im Japanischen wird sie „umami“ genannt und auf unserer Zunge oft durch Glutamat ausgelöst.

    „Umami“ lautet nun auch der französische Originaltitel des zweite Kinofilms von Slony Sow, der diese geheimnisvolle Geschmacksrichtung darin intensiv beleuchtet. Die Idee zu seiner harmlosen, aber durchaus kurzweiligen Wohlfühlgeschichte kam dem Filmemacher bei einer Dinnerparty: In „Der Geschmack der kleinen Dinge“ fliegt ein alternder Sternekoch von Frankreich ins Land der aufgehenden Sonne, um dort der Rezeptur der Umami-Gerichte auf den Grund zu gehen. Wo in Sows erstem Kinofilm „Parisiennes“ noch eine japanische Schriftstellerin zur Ideenfindung nach Paris reiste, nimmt seine Hauptfigur hier also den genau entgegengesetzten Weg, um sich inspirieren zu lassen.

    Nach einem Herzinfarkt muss sich Sternekoch Gabriel Carvin (Gérard Depardieu) genau überlegen, was er mit seiner restlichen Zeit noch anfangen will …

    Der Starkoch Gabriel Carvin (Gérard Depardieu), der in den Gemäuern einer alten Klosteranlage das Nobelrestaurant „Monsieur Quelqu’un“ leitet, darf sich freuen: Sein Restaurant erhält endlich den prestigeträchtigen dritten Stern. Nach Feierabend ist ihm aber schon lange nicht mehr zum Feiern zumute: Seine Frau Louise (Sandrine Bonnaire), die in seinem Gourmettempel als Personalchefin ein strenges Regiment führt, betrügt ihn offen mit dem Restaurantkritiker Robert Groult (Antoine Duléry). Auch das Verhältnis zu seinem ältesten Sohn Jean (Bastien Bouillon) ist nicht das Beste. Und es kommt noch dicker: Gabriel erleidet einen Herzinfarkt und muss sich einer Bypass-Operation unterziehen.

    Nach seiner Entlassung aus der Klinik und einer Hypnose-Session bei dem eng mit ihm befreundeten Austernzüchter Rufus (Pierre Richard) beschließt Gabriel, eine letzte Reise nach Fernost zu wagen. Dort will er den japanischen Koch Tetsuichi Morira (Kyozo Nagatsuka) wiedersehen, der ihn bereits 1978 bei einem Wettbewerb auf den zweiten Platz verwiesen und die Jury mit seinen Umami-Künsten begeistert hatte. Derweil hat eine reichweitenstarke Food-Bloggerin ihren Besuch angekündigt, so dass sich das Restaurant Gabriels Abstinenz eigentlich nicht leisten kann…

    Die Zeit, die bleibt

    Wenngleich Titel und Synopsis etwas anderes nahelegen, hat Regisseur und Drehbuchautor Slony Sow, der bereits bei seinem Kurzfilm „Grenouille d'Hiver“ mit Hauptdarsteller Gérard Depardieu arbeitete, keinen reinen Film übers Kochen oder über Ausnahmetalente an der Herdplatte gedreht (wie wir es etwa aus dem Pixar-Meisterwerk „Ratatouille“ kennen). Zwar bilden Gabriels kulinarische Reise nach Japan und seine eifrigen Umami-Recherchen den erzählerischen Rahmen der Geschichte, doch am Ende ist „Der Geschmack der kleinen Dinge“ vor allem ein Film über das Altern und die wenige Zeit, die einem für die wirklich wichtigen Dinge bleibt, wenn man sich sein ganzes Leben lang nur in die Arbeit gestürzt hat.

    Und so startet die Tragikomödie auch nicht in Gabriels hektischer Sterneküche, sondern mit einem Prolog, der auf den späteren Verlauf seines Japan-Trips vorgreift: Wir sehen den halbnackten Bonvivant, der seit Jahrzehnten nicht mehr auf seine Gesundheit und seinen Körper achtgegeben hat, in einem Waschraum mit einem japanischen „Salaryman“ (Akira Emoto). Eine Szene zweier Männer, die ihre Einsamkeit an diesem Abend teilen und so etwas wie Seelenpartner zu sein scheinen. Der asiatische Workaholic fungiert zugleich als Erzähler aus dem Off und gibt dem Film damit seine philosophische Tiefe – zumindest dann, wenn er sich nicht in müden Allgemeinplätzen verliert („Das Leben ist kurz...“).

    … und so geht er in Japan der fünften Geschmacksrichtung „umami“ auf die Spur.

    Strukturell und in seiner Tonalität lässt sich der Film wie ein Drei-Gänge-Menü mit vorangehendem „Gruß aus der Küche“ gliedern: Nach dem kurzen Prolog laufen im ersten Drittel zwei Handlungsstränge in Europa und Asien parallel, die einerseits den Alltag im Restaurant und Gabriels Gesundheitsbeschwerden schildern und auf der zweiten Erzählspur die Figuren in Japan einführen. Während Umami-Koch Tetsuichi Morira erst im Mittelteil auftaucht, lernen wir einleitend seine Tochter Fumi (Eriko Takeda) kennen: Sie arbeitet als Kellnerin für ihn und umsorgt wiederum ihre eigene, stark suizidgefährdete Tochter Mai (Sumire Matsubara), die online gemobbt wurde und deshalb keine Lebensfreude mehr findet.

    Ist der Erzählton hier noch ernst und bisweilen tragisch, wandelt sich der Film im starken zweiten Drittel zum humorvollen, wenn auch vorhersehbaren Culture-Clash mit wunderbaren „Lost in Translation“-Momenten. Dabei findet die Ironie nicht immer nur auf der Tonspur statt: Wenn sich der übermüdete Gabriel schwerfällig in eine winzige Schlafbox hievt, übertrieben freundlich in den Aufzug komplimentiert wird oder entnervt an einer Automatiktür verzweifelt, hat der Film seine besten Momente. Auch der parallel montierte Kontrast zwischen Moriras stickiger Suppenküche und dem piekfeinen Edelrestaurant, in dem Influencerin (Assa Sylla) ihren teuren Hummer mit dem Tablet ablichtet, gestaltet sich herrlich absurd.

    Kitsch auch ohne Kirschblüten

    Ob die französische Foodbloggerin nun zufrieden ist, interessiert uns allerdings kaum. Und dass Gabriels Sohn als Interimsküchenchef erst dann zu glänzen weiß, als er in dessen Abstinenz aus dem langen Schatten seines Vaters heraustritt, ist als Moral von der Geschicht‘ auch schon häufig erzählt worden. Viel interessanter gestaltet sich Gabriels Japan-Trip – doch wenngleich der Ausflug im frostigen Winter und nicht vor malerischer Kirschblütenkulisse stattfindet, driftet das Ganze auf der Zielgeraden leider sehr in Richtung Kitsch ab. Ein grandioser Meta-Moment, bei dem Morira auf Gérard Depardieus zahlreiche „Obelix“-Auftritte (zuletzt in „Asterix & Obelix – Im Auftrag ihrer Majestät“) anspielt, bildet die einzige originelle Ausnahme.

    Statt dem Umami-Geheimnis kulinarisch auf den Grund zu gehen, sehen wir irgendwann zwei alternde Männer feixend Fahrrad fahren, urplötzliche eine japanische Rockband röhren und zwei einsame Teenager darüber philosophieren, ob denn nun Lernen Reisen oder Reisen Lernen ist. Platter geht es kaum. Das schmälert den bis dato so soliden Gesamteindruck doch erheblich und wird auch durch die tolle Performance von Gérard Depardieu, der den Film allein schon durch seine körperliche Präsenz trägt, nicht aufgefangen. „Umami“ wird am Ende als „Geschmacksverstärker für die Sprünge des Herzens“ definiert – und in etwa so fühlt sich auch das schmalzige, missglückte Schlussdrittel an.

    Fazit: Kurzweiliger Wohlfühlfilm, der verheißungsvoll beginnt und lange gut unterhält, auf der Zielgeraden aber sehr kitschig gerät.

    Wir haben „Der Geschmack der kleinen Dinge“ bei den 39. Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart gesehen.

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