Wenn der Rachedurst keine Grenzen mehr kennt
Von Janick NoltingDie verstörende Kraft dieses Films resultiert vor allem aus der Gnadenlosigkeit und Eigenlogik seiner Welt. „Bring Them Down“ spielt in den Hügeln, irgendwo in der tiefsten, dünn besiedelten irischen Provinz, wo sich das Recht des Stärkeren durchsetzt. Selbst die Blutrache soll hier wie aus einer längst überwunden geglaubten Zeit wieder die Geschäfte und Familienehre lenken – und niemand greift von außen ein. „Bring mir seinen Kopf“, fordert hier ein Vater seinen Sohn auf. Umso furchteinflößender, dass Christopher Andrews‘ Film solche Aussprüche beim Wort nimmt.
Andrews legt hier ein beeindruckendes Langfilmdebüt vor, das nur wenige Sekunden benötigt, um einen in seiner eiskalten Atmosphäre und Grausamkeit, die unter jedem einzelnen Bild schlummert, gefangenzunehmen. Da genügt schon der Blick auf ein Auto, das sich seinen Weg durch eine Waldlandschaft bahnt. Der Motorenlärm schwillt bedrohlich an. Die Geschwindigkeit nimmt immer mehr zu. Im Innern des Fahrzeugs wurde soeben ein familiärer Wendepunkt angesprochen, der geradewegs in die Katastrophe führt. Welche Verheerungen dieses Trauma über Generationen hinweg entfesselt, davon erzählt die brutale Geschichte im Anschluss des Prologs.
Der angebliche Tod zweier Schafböcke bringt das Fass zum Überlaufen. Offenbar schwelen schon lange die Konflikte zwischen den Familien der Farmer Michael (Christopher Abbott) und Gary (Paul Ready). Letzterer ist inzwischen mit Michaels Exfreundin (Nora-Jane Noone) verheiratet, die Michael einst in einen Unfall verwickelte. Nun bricht zwischen den Sippen eine regelrechte Fehde aus, die mit allerlei Gewalt ausgetragen wird – und die weder Mensch noch Tier verschont…
Vor allem die Stimmungsräume von „Bring Them Down“ bleiben im Gedächtnis. Karge Landschaften, schlechtes Wetter, den Schmutz, die Einsamkeit und Abgeschiedenheit bildlich einzufangen, ist die eine Sache. Da ist aber auch das Spiel mit der Dunkelheit, das einen so in den Bann zieht. Wenn nur ein paar entfernte Gewitterblitze am Himmel die Szenerie erhellen, oder der Schein von Taschen- und Stirnlampen nur Ausschnitte der Szenerie preisgibt, in der man wieder die nächste schreckliche Überraschung erlebt. Da sind das Zittern und Wackeln der Kamera. Sie scheint selbst immer wieder von der getriebenen Aggression und Überforderung der Figuren gepackt zu werden, die sich zerstörerisch nach außen entlädt.
Man könnte die Formel von Christopher Andrews‘ Thriller so zusammenfassen: „Bring Them Down“ ist ein Film über Menschen, die erkennen, wie kaputt sie eigentlich sind. Und gerade die von Nora-Jane Noone gespielte Caroline, die einzige größere Frauenrolle im Film, fungiert hierbei als wichtiger Anker. In ihr spiegelt sich schlussendlich das ganze Entsetzen über die düsteren Seiten, die schon vorher in ihrem sozialen Umfeld offenkundig waren, aber bei denen man erst Stück für Stück erkennt, wie zerstörerisch sie tatsächlich den gesamten Alltag überschatten.
Es ist eine schmerzhafte Erfahrung, diesen Film zu sehen. Mit gehobener Stimmung entlässt er einen keineswegs, aber genau darin besteht auch sein Reiz. Wenn sich hier die Männer gegenseitig an die Gurgel gehen, aber auch wenn Tiere verstümmelt und ermordet werden, dann inszeniert Christopher Andrews diese Momente mit abschreckend realistischer Drastik. Deshalb wirken die Übergangsphasen zwischen derlei Grausamkeiten umso spannender, weil man genau weiß, nach welchen grausamen Regeln diese Welt funktioniert und wozu hier die meisten in der Lage sind. Die nächste Gewalteruption ist immer nur eine unbedachte Handlung entfernt.
Wie entkommt man also diesem Kreislauf der Gewalt und Gegengewalt, den die Väter an die Söhne vererben und der als perverse Tradition immer weitergetragen wird? „Bring Them Down“ muss diesbezüglich natürlich keine Lösung anbieten, aber er kann genauer auf die Mechanismen und Strukturen blicken, die der ganzen Problematik zu Grunde liegen. Und hier gestaltet sich dieser wirkmächtige, aber bei genauerem Hinsehen auch etwas porös zusammengebaute Rache-Thriller als zweischneidiges Unterfangen.
Chris Andrews schafft es geschickt, dass man am Ball bleibt. Gerade weil er seine Geschichte mit so vielen Leerstellen, mit elliptischen Dialogfetzen aufzieht. Erst nach und nach setzt sich ein Gesamtbild zusammen. Und selbst dann hat man noch den Eindruck, dass man nur ein Minimum an nötigen Informationen über den Familienkonflikt und die Lebensumstände der Figuren an die Hand bekommen hat.
Dazu gesellt sich eine lose ineinanderfließende Dreiaktstruktur, die mittendrin die Perspektive wechselt und die Chronologie der Handlung durcheinanderbringt. Plötzlich gerät Garys Sohn, gespielt von Barry Keoghan („Saltburn“), in den Mittelpunkt – und wirft noch einmal ein neues Licht auf das Geschehen. Mehrere Wirklichkeiten und Erfahrungen werden so miteinander verschränkt.
Aber wenn man sich dann das Gesamtbild vor Augen führt, wird dort dann wirklich etwas allzu Erhellendes über das Patriarchat und das Landleben erzählt, auch in seiner spezifischen Verortung? Da werden ökonomische Sorgen berührt, fehlende Perspektiven der Nachkommen, Verschwiegenheiten, kriminelle Strukturen, in die man hineinwächst. Nur: Die Allgemeingültigkeit, nach der dieser Film mit seinen Archetypen und Konstellationen offenbar strebt, entpuppt sich doch eher als recht nebulöse und geheimniskrämerische Behauptung.
In anderen Kritiken zu diesem Film wird hin und wieder der Begriff der Tragödie oder gar der biblischen Parabel bemüht. Das liegt bei einigen (Sinn-)Bildern und den thematischen Motiven der Rache, Sippenhaft und vermeintlichen Schicksalshaftigkeit nahe. Aber für eine überzeugende Parabel oder das wahrhaft Tragische bleibt der Zwiespalt zwischen dem Individuellen und dem großen Ganzen, der Familie, der Natur und den unterschiedlichen Auffassungen von Recht und Gerechtigkeit etwas zu unscharf eröffnet. Dafür werden auch die Tathergänge und Antriebe der Figuren zu engstirnig pathologisiert. Insofern fällt es beim Sehen womöglich doch leichter, diese blutige Fehde in ihren inhaltlichen Schlüssen nicht so nah an sich heranzulassen, wie es eigentlich möglich und nötig wäre.
Fazit: „Bring Them Down“ ist eine sehr intensive, harte und atmosphärisch vereinnahmende Rache-Geschichte. Christopher Andrews beweist in seinem Langfilmdebüt großes Talent, wenn es darum geht, die brodelnde Gewalt zwischen seinen Figuren spürbar werden zu lassen. Die Abstraktion des Szenarios hin zu etwas Größerem, Allgemeingültigen will allerdings nicht vollends überzeugend gelingen.
Wir haben „Bring Them Down“ bei den Fantasy Filmfest Nights 2025 gesehen.