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    Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste

    Vom Verstummen eine der ganz großen Autorinnen

    Von Jochen Werner

    Nun schickt der Wind die Schienen voraus, / wir werden folgen in langsamen Zügen /und diese Inseln bewohnen, / Vertrauen gegen Vertrauen.“ So beginnt das Gedicht „Salz und Brot“ der großen österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann – ein Gedicht über eine Reise, eine „Verbannung“, über das Hintersichlassen eines vertrauten Lebensmittelpunkts, hin zu neuen Orten, Inseln, auf denen es sich leben lassen müsste. Allein, so einfach ist es nicht, ist es nie gewesen, und vielleicht hätte man das wissen müssen. „Schläft doch im Felsen / der wenig erleuchtete Schädel,“ und: „Von den großen Gewittern des Lichts / hat keines die Leben erreicht.

    Margarethe von Trottas Biopic „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ ist nur bedingt ein Film über die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps), dreht er sich doch eher um ihr Verstummen. Dieses nimmt seinen Anfang in der Begegnung mit dem Schweizer Autoren Max Frisch (Ronald Zehrfeld). Der hatte ihr einen Fanbrief geschrieben, nachdem er Bachmanns Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ gehört hatte – und die erste Begegnung mündet in einem langen Spaziergang, einer leidenschaftlichen Romanze und schließlich dem zum katastrophalen Scheitern verurteilten Versuch einer Ehe…

    Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) wird nach ihrer schmerzliche Trennung von Max Frisch von ihren Ärzten in die Wüste geschickt.

    Obgleich ihr Freund, der Komponist Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz), es ihr auszureden versucht, willigt Bachmann in das gemeinsame Leben ein und zieht zu Frisch nach Zürich, wo ihr das die Zweierbeziehungsform sowie die Schweizer Enge derart zusetzen, dass sie kaum noch eine Zeile zu Papier bringt. Ihr Versuch, eine offene Beziehung zu führen und zumindest zeitweise in „ihrer Stadt“ Rom zu leben, scheitert hingegen an Frischs Eifersucht und seinem Kontrollzwang.

    „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ ist die Chronik einer gescheiterten Künstler*innenbeziehung, denn er spielt von vornherein auch im Danach. Die titelgebende Reise nach Marokko unternimmt Bachmann nach der Trennung von Frisch gemeinsam mit dem Autor Adolf Opel (Tobias Resch) – und zwar auf Anraten ihrer Ärzte, da Beziehung und Trennung für Bachmann derart existenzielle Krisenerfahrungen bedeuteten, dass sie in deren Folge mehrfach hospitalisiert wurde.

    Die Fesseln werden nicht gesprengt, sondern mühsam abgestreift

    Die Affäre mit dem neun Jahre jüngeren Opel und die gemeinsame Reise inszeniert Margarethe von Trotta als eine Wiedergeburt, aber nicht im Sinne einer spektakulären Sprengung der Fesseln, die Bachmann sich von Frisch anlegen ließ – und die sie selbst immer fester zuzog. Eher handelt es sich um einen allmählichen, mühsamen Weg zurück ins Leben, der allerdings in einer berührenden Gruppensexszene ein sehr schönes Finale findet.

    Von Trottas Film ist im Grunde eine recht werkgetreue Adaption – allerdings nicht eines literarischen Werkes, sondern einer erst weit nach Bachmanns Tod veröffentlichten Sammlung von Briefen und Traumnotaten. Als „Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit“ erschien diese 2017 im Suhrkamp Verlag. Die Reaktionen gerieten durchaus kontrovers, war die Schriftstellerin Bachmann doch Zeit ihres Lebens auf den Schutz ihrer Privatsphäre bedacht, während dieser Band, unter anderem mit dem Abdruck an ihre behandelnden Ärzte gerichteter Texte, tatsächlich noch das denkbar Privateste öffentlich machte, um Bachmanns Lebens-, Beziehungs- und Werkgeschichte als klinischen Fall zu rekonstruieren.

    Inbegriff eines toxischen Genies: Ronald Zehrfeld als Max Frisch.

    Die Geschichte eines weiblichen Schreibens (und Verstummens) als Krankheitsgeschichte – eine Lesart, der sich Bachmann zu Lebzeiten vielleicht widersetzt hätte, zu der sie aber gleichzeitig auch immer wieder eingeladen hat: Während Frisch seine Frau, wie alle Menschen in seinem Leben, stets auch als Fallstudie begriff und zum Material seines Schreibens machte – wenig schmeichelhaft etwa verewigt in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ –, empfand Bachmann selbst diese Exponiertheit ihrer angesichts von Frischs Schreiben nur vermeintlich privaten Beziehung als tiefen Vertrauensbruch. Somit sind es auch Ideen davon, was Literatur und Kunst sollen, dürfen und müssen, die hier in Gestalt von Bachmann und Frisch stellvertretend miteinander ringen.

    Das sind natürlich ganz zeitlose, so komplexe wie faszinierende Themen, die im Zentrum dieser Zweierbeziehung im Konflikt stehen. Nur ist daraus diesmal ein nicht allzu interessanter Film entstanden. Obgleich Vicky Krieps („Corsage“) in der Titelrolle eine durchaus interessante Besetzung ist und immer alles gibt, kommt von Trottas Film durchweg im Gewand eines biederen Repräsentationsfilms daher. Von Ronald Zehrfelds hölzerner Interpretation des toxischen Schweizer Biedermanns über die oft allzu staubig aufgesagten Dialoge bis hin zu Kostümen und Kulissen aus dem Studiofundus wirkt „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ leider über weite Strecken allzu leblos und sieht mehr nach arte-Themenabend als nach Kino aus. Und das wird am Ende weder der großen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gerecht noch ihrer Geschichte von Leidenschaft, Scheitern und Depression, die auch eine ist über das Zerstörerische im Verhältnis von Männern und Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

    Fazit: Ein biederer Film über eine bedeutende Autorin und faszinierende Frau. Margarethe von Trotta erzählt die Künstler*innenbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch als exemplarische Geschichte des Verstummens einer großen Schriftstellerin angesichts der Toxizität der heterosexuellen Zweierbeziehung, bleibt dabei jedoch leider durchweg an der Oberfläche und im Klischee stecken. So entsteht ein zwar recht werkgetreuer, aber viel zu mittelmäßiger Film über eine ganz und gar nicht mittelmäßige Protagonistin.

    Wir haben „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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