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    Die Goldenen Jahre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Goldenen Jahre

    Eine Dramödie der Irrungen übers Altwerden

    Von Gabriele Sikorski

    Wenn es ums Älterwerden geht, entwickelt vermutlich jeder früher oder später eine eigene Strategie. Die einen verschließen so lange wie möglich die Augen davor und reagieren dann sehr überrascht, wenn ihnen eines Tages in der Bahn ein Platz angeboten wird. Andere treffen schon in jungen Jahren alle möglichen Vorkehrungen. Sie planen mit 20 ihre Zusatzrente, melden sich mit 30 im Seniorenheim an (die Wartezeiten!) und haben spätestens ab 50 ein sorgsam gepacktes Köfferchen in Griffnähe, falls sie überraschend ins Krankenhaus müssen. Aber ganz gleich, ob überhaupt und wie sehr man sich vorbereitet: Jede und jeder ist mal dran – die einzige Alternative ist ein frühzeitiges Ableben, und angesichts dieser Wahlmöglichkeit entscheiden sich die allermeisten dann doch fürs Weitermachen.

    Dass das Älterwerden auch und gerade wegen der damit verbundenen Ängste und Sorgen ein guter Komödienstoff ist, hat sich im Weltfilm längst herumgesprochen. Vorbei die Zeiten, in denen ältere Menschen als schmückendes Beiwerk oder Lachnummer betrachtet wurden und vorrangig glattgebügelte, alterslose Darsteller*innen die Leinwand beherrschten. Im Gegenteil: Viele Schauspielstars zeigen im Alter echte Glanzleistungen in Seniorenkomödien – so wie Jack Nicholson in „Das Beste kommt zum Schluss“ oder praktisch der gesamte Cast aus „Quartett“, angeführt von der großartigen Maggie Smith. Sogar einige Tabus wurden gebrochen: In „Kalender Girls“ entblätterten sich ältere Damen, in „Best Exotic Marigold Hotel“ ging es um neue Chancen und Liebe im Alter.

    In der Schweizer Produktion „Die goldenen Jahre“ nähern sich Drehbuchautorin Petra Volpe und Regisseurin Barbara Kulcsar ihrem Thema auf andere Weise als in den meisten der genannten Filme, die ihren Witz und ihre Komik häufig daraus beziehen, dass alte Menschen zeigen können, was sie noch alles auf dem Kasten haben. Der Humor ist hier eher zurückhaltend als offensiv, doch geht es – wie so oft in Filmen über Seniorenthemen – auch um Perspektiven und um die Suche nach neuer Lebensfreude, immer nach dem Motto: Es ist nie zu spät, etwas zu ändern, notfalls auch sich selbst.

    Peter bekommt eine Mittelmeer-Kreuzfahrt geschenkt ...

    Während Alice (Esther Gemsch) sich bei der musikalischen Gruppengymnastik austobt, räumt ihr Mann Peter (Stefan Kurt) seinen Schreibtisch auf und packt seine Sachen zusammen. Der letzte Arbeitstag ist da, ab morgen ist Peter nach 37 Jahren Betriebszugehörigkeit im Ruhestand. Sein Büro wird ein Serverraum. Zur Pensionsparty im Familien- und Freundeskreis wartet auf ihn eine Überraschung: der Gutschein für eine Mittelmeer-Kreuzfahrt mit Alice. Peters Begeisterung ist eher verhalten, und das ist noch nicht alles: Alices Erwartungen an einen romantischen Pärchenurlaub mit ihrem Mann werden noch dadurch getrübt, dass Peter ihren gemeinsamen Freund Heinz (Ueli Jäggi) einlädt, mit ihnen zu kommen.

    Der kann den Tod seiner Frau Magalie (Elvira Plüss), Alices bester Freundin, nicht verkraften. Die hat so gar keine Chance, Nein zu sagen. Also gehen die Drei an Bord des Luxusliners. Kaum hat das Schiff abgelegt, merkt Alice, dass Peter offenbar lieber mit Heinz zusammen ist als mit ihr. Die beiden Männer klucken die ganze Zeit zusammen – im Fitness-Studio, an Deck oder am Pool, und sie scheinen sich dabei prächtig zu amüsieren. Also keine Romantik und keine Wiederbelebung des längst eingeschlafenen Ehelebens, nicht einmal körperliche Nähe scheint erwünscht zu sein. Was tun?

    Nicht vom ruhigen Beginn täuschen lassen

    Auch wenn „Die goldenen Jahre“ zu Beginn eher schweizerisch gemütlich wirkt, ändert sich das bald. Der bedächtige Start führt zügig in ein teilweise wirklich überraschendes Geschehen. Die gut getimten, ausgefeilten Dialoge nehmen dabei sowohl die Tragik als auch die Komik der jeweiligen Situation auf. Dazu passt der Soundtrack, der mit Big Band-Klängen und Pop-Ohrwürmern die jeweilige Stimmung unterstützt, sowie eine schnörkellose Bildsprache, die mit durchkomponierten Bildern beginnt und mit fortschreitender Handlung, parallel zur Entwicklung, immer mehr an Dynamik gewinnt.

    Barbara Kulcsar und Petra Volpe lassen sich Zeit für die Etablierung ihrer Handlung ebenso wie für die Entwicklung ihrer Figuren: Da ist die geschäftige Alice, die in mehr als 40 Jahren Ehe zur häuslichen Führungskraft gereift ist. Im Klartext: Peter hat nach ihrer Pfeife zu tanzen. Er wird gar nicht gefragt – jetzt ist er im Ruhestand, daher gilt ab sofort 50 : 50 für die Hausarbeit, und schon hat Peter den Staubsauger in der Hand. Alice wirkt sehr offen, aber sie hat auch ihre kleinen Geheimnisse. Esther Gemsch spielt sie durchaus ambivalent als verkappte Abenteurerin hinter der Maske einer braven Ehefrau; insgesamt das stimmige Porträt einer Frau, die an sich arbeitet, nicht nur, weil sie will, sondern auch, weil sie muss.

    ... auf der er seine Zeit am liebsten mit Kumpel Heinz statt mit Gattin Alice verbringt.

    Als Peter steht ihr Stefan Kurt zur Seite, der große Charakterdarsteller (u. a. „Zwingli“), der in praktisch allen Genres zu Hause ist. Hier erweist er sich als eher leiser Spielpartner, ein zurückhaltender Mann, der durch die Pensionierung in eine schwere Lebenskrise gerät. Wenn er einsam und frisch verrentet mit einem albernen Luftballon an der Hand seine ehemalige Arbeitsstätte verlässt und noch einmal zurückschaut, dann steckt nicht nur Wehmut in seinem Blick, sondern es ist zu spüren: Diesem Menschen wurde der Sinn seines Daseins genommen. Den unerbittlichen Alterungsprozess versucht Peter mit besessenem Sporttraining und Veganismus zu bekämpfen. Stefan Kurt gibt ihm einen ganz leichten, feinen Humor, der immer ein bisschen melancholisch wirkt.

    Die dritte Hauptrolle in diesem Film spielt eigentlich Alices und Peters Ehe – eine Verbindung, von der man kaum noch ahnt, was die beiden zusammengeführt haben könnte. Solange Peter berufstätig war, wurden die Probleme vom Alltag zugekleistert. Jetzt ist der Kitt weg, und es tritt offen zutage, was die Beteiligten schon länger nicht wahrhaben wollen: Alles, was jemals an Emotionen, Zärtlichkeit oder Zuwendung da war, scheint einer gnadenlosen Routine gewichen zu sein. Die Chemie zwischen Esther Gemsch und Stefan Kurt als Ehepaar stimmt dabei perfekt.

    Unterschiedliche Reisestationen illustrieren unterschiedliche Lebensentwürfe

    Ueli Jäggi als Heinz sowie Gundi Ellert als Reisebekanntschaft Michi glänzen in den Buddy-Rollen. Sie alle repräsentieren eine Gruppe von Senioren, die ihren „Goldenen Jahren“ ohne finanzielle Sorgen entgegengehen und sich ihren dritten Lebensabschnitt nach Wunsch gestalten können – inklusive Luxuskreuzfahrt. Jedoch spielt der Film keinesfalls hauptsächlich auf dem Schiff, sondern Kulcsar und Volpe nutzen die Gelegenheit, an unterschiedlichen Schauplätzen unterschiedliche Lebensentwürfe vorzustellen, die sie in die Handlung einbetten. Das wirkt manchmal ein wenig didaktisch. Interessant und überraschend ist dagegen die Nebengeschichte zu den geheimnisvollen Briefen, die Magalie kurz vor ihrem Tod Alice anvertraut. Letztlich geht es aber für Alice und Peter ums Suchen und Finden ihres Glücks und darum, sich auszuprobieren, vielleicht auch umzuorientieren, wenn die Chance da ist.

    Fazit: Gibt es ein Leben vor dem Tode? Im Mittelpunkt der Schweizer Seniorendramödie „Die goldenen Jahre“ steht die bittersüße Geschichte von Alice und ihrem Mann Peter, eine ebenso liebe- wie humorvolle Auseinandersetzung mit der Individualität im Zusammenleben, das an neuen Bedingungen genauso gut scheitern wie wachsen kann.

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