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    Passages
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Passages

    Vertrautheit und Verführung

    Von Kamil Moll

    Für einen Kontrollsüchtigen wie Tomas, gespielt vom inzwischen auch international für Aufsehen sorgenden deutschen Arthouse-Superstar Franz Rogowski („Große Freiheit“), ist ein Filmset die geeignetste Umgebung. Zu Beginn von Ira Sachs‘ Beziehungsdrama „Passages“ kommandiert er als Regisseur am letzten Drehtag eines Films einen Schauspieler, der die Treppe zu einem Club heruntergehen muss: Die Arme sollen herunterhängen, die Körperhaltung entspannter, der Schritt lässiger sein. „Du sollst nichts weiter machen, als in den Raum zu kommen, wo du was trinken willst“, ruft er aufgebracht und genervt. Sein Auftreten verpasst dem Dreh eine angespannte Stimmung, aber zugleich eben auch eine treibende Energie.

    Außerhalb des Arbeit am Set ist es schon komplizierter, wer die Kontrolle beanspruchen und am Ende auch wirklich ausüben darf: Auf einer Party flirtet Tomas vor den Augen seines Ehemanns Martin (Ben Whishaw) mit Agathe (Adèle Exarchopoulos). Martin entzieht sich dem Verführungsspiel, an dem er unausgesprochen teilnehmen soll, und verschwindet, während Tomas und Agathe auf der Tanzfläche weitermachen. Zuerst umtanzen sie sich aus der Distanz, dann folgen Berührungen: eine Hand am Hals, die Lippen im Nacken – die Kamera folgt ihnen zuerst unaufdringlich, dann mit immer präziserem Blick auf die Details. Was auf dem Dancefloor beginnt, endet nicht beim nächsten Song.

    Der in einer schwulen Beziehung lebende Tomas (Franz Rogowski) lässt sich von „Blau ist eine warme Farbe“-Star Adèle Exarchopoulos auf der Tanzfläche verführen.

    Im Independent-Kino der letzten drei Jahrzehnte gibt es nicht viele Regisseur*innen, die über die Komplikationen, aber auch Möglichkeiten von Beziehungen, die über Paarkonstellationen hinausgehen wollen, so souverän und gelassen-stilsicher erzählen können wie Ira Sachs („Little Men“, „Frankie“). Was andere dramatisch zuspitzen und affektiv überladen, betrachtet Sachs nüchtern und zwanglos. Das zeichnet auch die erste Hälfte von „Passages“ aus. Eine jahrelange Beziehung wird komplizierter, aber dadurch nicht vollends unmöglich: Tomas gesteht Martin, dass er Sex mit Agathe hatte, dadurch ändert sich aber zunächst nicht viel. „Das passiert immer, wenn du einen Film beendest“, sagt Martin. Belastungsproben in ihrer Beziehung kennt er bereits viele. Was dann folgt, ist aber neu und anders: Tomas möchte mit Agathe zusammenleben, zugleich aber auch die Beziehung zu Martin weiterführen.

    Auch wenn „Passages“ insbesondere, der Titel deutet es bereits an, ein Film über Übergänge von einer Beziehungsform in eine andere und wieder zurück ist, funktioniert er am eindrücklichsten dennoch in Einzelheiten, in langgezogenen Momenten, in denen Ira Sachs Gefühlen dabei zusieht, wie sie allmählich entstehen, ohne zu schnell vorzugreifen, was sie als nächstes bewirken werden. Ein Kino der Andeutungen, nicht der Gewissheiten. Tomas spielt Agathe ein Lied vor, darin singt eine Frauenstimme, dass alle das annehmen sollen, was sie ihnen anbietet: „Won't you buy my sweet tender lavender? Sixteen blue branches, all for one penny, all in full bloom.

    Vor allem Kontrolle

    Als Thomas in den vom Plattenspieler erklingenden Song einstimmt, blickt Agathe erst unsicher und bemüht ausdruckslos. Plötzlich aber schaut sie Tomas an. Aufgrund des Songtextes erahnt sie, was Tomas möchte und dass er weiß, wie er es erreichen kann. Mit beiläufiger Behutsamkeit lässt Ira Sachs hier schon anklingen, was im Rest des Films umso expliziter wird: Ein so fragiles Beziehungsgeflecht, das immer wieder neu ausgehandelt werden muss, kann nur gehalten werden, wenn alle Bedürfnisse erspürt und respektiert werden. Was Tomas möchte, ist aber vor allem Kontrolle.

    Dabei wird „Passages“ aber auch zunehmend immer fallbeispielhafter, einige Szenen wirken wie unter Beweislast konzipiert: Was wird in der Beziehung mehr tragen, jahrelange Vertrautheit oder immer wieder neu erprobte Verführung? Am Ende bleibt von Tomas nicht viel mehr zurück als das Bild eines toxischen Manipulators, dem die Kontrolle über alles entgleitet, was er halten will. Unter dieser Einengung der Rolle leidet auch das Schauspiel von Franz Rogowski, der erst zwischen kindlicher Bedürftigkeit und berechnender Aggression zu balancieren weiß, sich zuletzt aber nur noch auf ein ausgefeiltes Starren beschränkt. Dadurch schließt der Film, was er zunächst lange offenlassen wollte, leider umso vehementer wieder zu.

    Fazit: In „Passages“ will ein Regisseur eine Dreierbeziehung führen, bis ihm schließlich alles entgleitet, was er zu kontrollieren versucht. Was der Film zunächst als Möglichkeiten, Beziehungen zu führen, offen auslotet, versagt er seinen Figuren am Ende aber leider mit einer einengenden Deutlichkeit.

    Wir haben „Passages“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen.

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