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    Die Nachbarn von Oben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Nachbarn von Oben

    Wenn beim Sex die Wände wackeln

    Von Gaby Sikorski

    Zumindest auf dem Dorf stellen sich neue Nachbarn oder Nachbarinnen in der Regel vor. Inzwischen ist es sogar in Mehrfamilienhäusern in Großstädten wieder üblicher geworden – und auch ganz praktisch, um sich schon mal als sympathische Mitbewohner*innen einzuführen. Dafür bieten sich mehrere Möglichkeiten an: Eine davon ist das Familienfoto im Briefkasten, auf dem neben den einzelnen Personen die jeweiligen Namen stehen. Fortan erkennt man die „Neuen“ im Hausflur wieder. Manche präferieren gar die persönliche Vorstellung. Wer neu eingezogen ist, könnte von Tür zu Tür gehen: Blümchen, selbstgebackene Kekse oder gar Kuchen steigern die Aufmerksamkeit und sind gut geeignet, um den ersten Eindruck positiv zu gestalten. Ein bisschen Fingerspitzengefühl gehört natürlich trotzdem dazu, man möchte ja nicht zu aufdringlich sein.

    In dem Schweizer Film „Die Nachbarn von oben“ wird allerdings eine ganz andere Art des nachbarschaftlichen Erstkontaktes gepflegt: Die Neuen sind beim Sex nämlich so laut, dass sogar schon die Gläser im Schrank wackeln. Allerdings haben es Lisa (Sarah Spale) und Salvi (Max Simonischek) leider versäumt, sich zudem auch noch persönlich vorzustellen. Aber eine direkte Konfrontation scheint ohnehin unausweichlich: Das unter ihnen wohnende Ehepaar Anna (Ursina Lardi) und Thomas (Roeland Wiesnekker) leidet inzwischen nämlich schon unter erheblicher Schlaflosigkeit – und ein bisschen Neid ist bei den Langzeitverheirateten wohl ebenfalls dabei!

    Die langjährige Ehe von Anna (Ursina Lardi) und Thomas (Roeland Wiesnekker) könnte mal wieder einen richtigen Kick gebrauchen …

    Ein Apéro mit den neuen Nachbarn soll schließlich für gute Beziehungen und nächtliche Ruhe sorgen. Anna hat kurzerhand die Initiative ergriffen, das Treffen verabredet und auch alles vorbereitet: Getränke stehen schon bereit, gleich sind die Schinkengipfeli fertig, aber Thomas mault und würde am liebsten absagen. Doch Anna besteht darauf, die Gäste zu empfangen – es geht ja schließlich um ihren Nachtschlaf. Schließlich stehen die Nachbarn bei bester Laune vor der Tür, haben sogar was zu essen mitgebracht. Der Smalltalk startet noch ganz manierlich, doch dann läuft die Sache aus dem Ruder. Die Nachbarn haben nämlich nicht nur ein aphrodisierendes Mahl, sondern auch ein pikantes Angebot mitgebracht, das Thomas und Anne erst überrascht und dann zum Nachdenken bringt. Und so wird aus dem Treffen der Nachbarn ein feucht-unfröhlicher Abend der besonderen Art…

    Die Kammerspiel-Komödie von Sabine Boss ist eine positive Überraschung, was zum einen den guten Dialogen zu verdanken ist, zum anderen aber auch einer souveränen Gestaltung, die trotz des begrenzten Settings mit lediglich vier Personen und einer prinzipiell einzigen Dekoration kaum Langeweile aufkommen lässt. Dafür sorgt auch die Grundkonstellation: Bei Anna und Thomas scheint es, als ob der Zug des glücklichen Sexlebens längst abgefahren ist. Nach 20 Jahren Ehe haben sie sich kaum noch etwas zu sagen, die tägliche Routine erstickt sämtliche Emotionen. Dieser Abend mit Lisa und Salvi wird für sie zur Bewährungsprobe und zur Tour de Force in Sachen Gefühlsleben, kurz und gut: Sie lassen sich von den beiden neuen Nachbarn vorführen …

    Die Grundprämisse muss man halt einfach schlucken

    … und da sind wir auch bei der zentralen Schwachstelle des Films, denn es bleibt unklar, warum die beiden sich eigentlich darauf einlassen? Auch wenn Salvi auf Anna ebenso anziehend wirkt wie Lisa auf Thomas – umgekehrt gilt das sicherlich nicht, und nicht einmal die zahllosen geleerten Weinflaschen können erklären, warum Anna und Thomas das Spielchen mitmachen und ihre eigene Beziehung in Frage stellen. Aber wenigstens verfügen die beiden über einigermaßen ausgestaltete Charaktere. Dagegen bleibt das Pärchen Lisa und Salvi merkwürdig blass, es gibt keine Konflikte zwischen ihnen, weder Provokationen noch versteckte Kampfansagen – die beiden sind sich einig, sie lieben sich, und das wird irgendwann ein bisschen eintönig.

    Max Simonischek, der seinem Vater Peter („Toni Erdmann“) immer ähnlicher wird, lässt dabei seinen unbestreitbar vorhandenen Charme spielen, während Sarah Spale vor allem aktiv, jung und hübsch sein darf. Roeland Wiesnekker verkörpert Thomas mit schöner Verkniffenheit in einer Mischung aus Trägheit und dem Wunsch nach Triebabfuhr. Ihm gehören die besten Dialogparts und einige prachtvolle Oneliner. Ursina Lardi gibt der Anna hingegen einen Hauch von Optimismus. Hinter ihrer zur Schau gestellten Offenheit versteckt sich die Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas zum Besseren wenden könnte.

    … aber das anzügliche Angebot von Lisa (Sarah Spale) und Salvi (Max Simonischek) ist dann vielleicht doch zu viel des Guten!

    Anna und Thomas bedienen die gesamte Klaviatur der Verklemmtheit. Ihr Spiel erweckt manchmal den Eindruck, als hätten sich Sabine Boss und ihr Autor Alexander Seibt an Thomas und Anna abgearbeitet und ihnen ihre gesamte Aufmerksamkeit geschenkt, so dass für das andere Pärchen nichts mehr übrigblieb. Max Simonischek und Sarah Spale bleiben als Salvi und Lisa mit Dauerlächeln und zur Schau gestelltem Beziehungsglück eher eindimensional. Und dann stellt sich Lisa auch noch als Psychologin vor, die den erfolgreichen Bestseller „Trennt euch!“ geschrieben hat... Das kann ja heiter werden – und das wird es auch. Die witzigen Dialoge im Zusammenspiel mit der boshaft gestalteten Grundkonstellation entschädigen hier für einiges.

    Fazit: Für alle, die Appetit auf eine leicht fies angehauchte Komödie haben! Hier wird nicht immer stimmig, aber durchaus schwungvoll eine langjährige Beziehung demontiert. Im Mittelpunkt steht anfangs die Frage: „Wie sag ich’s meinem Nachbarn?“ – Denn der lautstarke Sex von nebenan erschüttert nicht nur die Gläser in der Vitrine, sondern möglicherweise auch die Nerven der unfreiwilligen Zuhörer*innen. Wie sich aus dieser Konstellation eine prinzipielle Ehekrise entwickeln kann, zeigt „Die Nachbarn von nebenan“ in witzigen Dialogen und mit einer sehr guten, spielfreudigen Besetzung.

     

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