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    Project Wolf Hunting
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Project Wolf Hunting

    Kann man auf "The Sadness" noch einen draufsetzen?

    Von Christoph Petersen

    Meine Arbeitshypothese lautet, dass da ein Praktikant oder eine Praktikantin Mist gebaut haben muss. Vielleicht wurde beim Umrechnen der Einheiten ein Fehler gemacht – oder vor dem Abschicken der Bestellung ist das Komma noch mal ein Stück weit nach rechts gerutscht. Auf jeden Fall müssen am ersten Drehtag des Action-Thrillers „Project Wolf Hunting“ statt zehn Eimern plötzlich zehn Fässer voller Kunstblut bereitgestanden haben – denn anders ist es kaum zu erklären, wie freizügig Regisseur und Drehbuchautor Hongsun Kim („The Chase“) mit der roten Flüssigkeit umgeht.

    Ein Mensch hat etwa fünf bis sieben Liter Blut in seinem Körper – aber wenn in „Project Wolf Hunting“ jemand abgestochen, niedergeschossen oder gleich kaputtgestampft wird, dann spritzt und fließt die klebrige Soße, als ob es da noch ein ganzes Lager voll Kunstblut gibt, das man nun irgendwie loswerden muss. Aber hey, das passt – denn im Gegensatz zur letztjährigen südkoreanischen Gewalt-Granate „The Sadness“ gibt es in „Project Wolf Hunting“ (so gut wie) keine darunterliegende sozialkritische Message. Stattdessen geht es um den puren Spaß am knochenberstenden Blutrausch.

    Als die Verbrecher*innen für die dreitägige Überfahrt nach Südkorea an Bord des Frachtschiffes gebracht werden, ahnt noch niemand, was für ein unermessliches Blutbad hier schon bald angerichtet werden wird.

    Bisher sind die schlimmsten südkoreanischen Verbrecher*innen häufig auf die Philippinen ausgewandert, weil sie dort keine Auslieferung fürchten mussten. Aber nun gibt es ein neues Abkommen zwischen den Nationen – und die oft wegen Mordes (oder noch schlimmeren Dingen) gesuchten Flüchtigen sollen wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden. Allerdings kommt es direkt beim ersten Flug zur Katastrophe – und so soll beim zweiten Anlauf alles anders gemacht werden: Statt im Flugzeug sollen die 47 Schwerkriminellen per Schiff nach Südkorea gebracht werden – und zwar diesmal strenggeheim.

    Aber dann läuft doch nichts wie geplant: Nicht nur sickert das Vorhaben samt konkreter Abläufe an die Presse durch. Es haben sich auch Komplizen der Gefangenen unter die Mannschaft gemischt, um ihre inhaftierten Kamerad*innen während der Überfahrt zu befreien. Aber selbst das ist noch längst nicht das größte Problem. Denn die Regierung will den Transport nutzen, um gleich noch etwas anderes mit von den Philippinen zurück nach Südkorea zu bringen – und das schlummert nun im Bauch des Schiffes, nur eben nicht ganz so tief, wie es wohl alle Beteiligten gehofft hätten…

    Zerborstene Brustkörbe statt subtiler Metaphern

    Im vergangenen Jahr hatten wir einen Vertreter vom Verleih Capelight in unserem Podcast Leinwandliebe zu Gast, um mit ihm über das ganze FSK-Hickhack rund um die (Nicht-)Freigabe von „The Sadness“ zu sprechen. Dabei hat er uns auch verraten, dass die FILMSTARTS-Kritik zu „The Sadness“ im Einspruch gegen die FSK-Ablehnung als Argument für eine ungeschnittene Ab-18-Freigabe zitiert wurde. Unsere Besprechung des Films sollte belegen, welchen kulturellen Impact der Film gerade weltweit entwickelt und das eben auch noch mehr hinter den unaussprechlichen Gewaltakten steckt als einfach nur purer Sadismus. Aber das wird sich bei „Project Wolf Hunting“ so wohl eher nicht wiederholen – denn auch wenn es einen Handlungsstrang um menschenverachtende medizinische Experimente gibt und die japanische Besatzung der Philippinen ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, bleibt der Film lupenreines Unterhaltungskino ohne einen doppelten Metaphorik-Boden.

    Hongsun Kim macht dabei tatsächlich keine halben Sachen. Neben ausgestellt sadistischen Momenten, wenn etwa eine Figur mit einem Messer durch den Hals an eine Wand gepinnt wird, ist es noch vielmehr die ungebremste Wucht der „normalen Durchschnitts-Auseinandersetzungen“, die hier auch dank des gnadenlosen (und gnadenlos guten) Sounddesigns heraussticht: Es gibt kaum einen Schlag, bei dem die Getroffenen nicht sofort aus der Nase bluten, als hätte sich alles in ihrem Kopf längst verflüssigt – wenn ihnen nicht ohnehin einfach auf Anhieb der Kehlkopf aus dem Hals gerissen wird. Von den Tritten auf allerlei Brustkörbe mal ganz zu schweigen – danach dürften die Lungen der Opfer jedenfalls aussehen, als hätten sie allzu innig mit einem Igel gekuschelt. Wobei die Geräusche übrigens fast noch albtraumhafter geraten als die Bilder, die mit ihrem mitunter absurden Blut-Overkill dann eben doch ein gewisses – ungewolltes? – augenzwinkerndes Moment entwickeln.

    Mehr Psycho geht eigentlich gar nicht – und doch wird Seo In-Guk als Jong Du seinen Meister noch finden…

    Rein inhaltlich ist „Project Wolf Hunting“ hingegen weit weniger geradlinig. als man es nach der „47 Schwerverbrecher*innen an Bord eines Frachtschiffes“-Tagline eigentlich erwarten würde. Wenn ihr euch von den Plotwendungen komplett überraschend lassen wollt, dann empfehlen wir euch deshalb, an dieser Stelle direkt zum Fazit zu springen und die folgenden zwei Absätze erst nach Sichtung des Films zu lesen:

    Im Endeffekt ist nämlich bereits die korrekte Genre-Bezeichnung als Sci-Fi- oder Fantasy-Actioner ein Spoiler. „Project Wolf Hunting“ folgt schließlich einer sehr besonderen und erstaunlich effektiven Dramaturgie. Ihr kennt ja vielleicht diese Nahrungsketten-Diagramme aus Naturkundebüchern: Ein Tier wird von einem kräftigeren Tier gefressen, das dann seinerseits von einem noch kräftigeren Tier gefressen wird, et cetera… So in etwa funktioniert auch „Project Wolf Hunting“: Schauspieler Seo In-Guk („Cafe Minamdang“) wird in der Rolle des ganzkörpertätowierten Jong Du als sadistischer Totalpsycho eingeführt, der nicht nur das halbe Gesicht seines überwältigten Bewachers auffrisst, sondern ihn auch anpinkelt, nachdem er ihm ganz, ganz langsam ein Jagdmesser ins Herz geschoben hat.

    Fressen und gefressen werden

    Aber Jong Du ist nicht der erwartete Endgegner – sondern erfüllt stattdessen vor allem die Funktion, die Macht des nächstgrößeren Widersachers zu unterstreichen, wenn dieser den Hobby-Kannibalen plötzlich mit Leichtigkeit in Stücke reißt …

    … und so geht es selbst im Finale noch weiter: Auch hier sind es plötzlich noch mächtigere Kräfte, die sich in den Hochsee-Blutrausch einklinken, während die bisherige Top-Bedrohung eher zu einer Fußnote degradiert wird. So wird die Durchschlagskraft-Spirale immer weiter hochgeschraubt, was sich vor allem an der Art und Weise zeigt, mit der hier mit einzelnen Schlägen Schädel zermalmt oder mit einzelnen Tritten Brustkästen zerborsten werden (wenn „Project Wolf Hunting“ mit Röntgen-Einstellungen wie bei „Mortal Kombat“ oder „Sniper Elite“ arbeiten würde, wäre der Film wahrscheinlich der ultimative Albtraum für jeden Mitarbeitenden der Unfallchirurgie). Zugleich führen diese (Genre-)Sprünge aber auch dazu, dass der Film zum Ende hin doch auch ein wenig überladen wirkt – und man sich bei der angedeuteten Fortsetzung schon fragt, ob es wirklich eine so gute Idee ist, da jetzt noch weitere x-Mal einen draufzusetzen.

    Fazit: Das Kunstblut fließt in Strömen, während das großartige Sounddesign – speziell beim Schmatzen der Wunden und Bersten der Knochen – sein Übriges tut. Wer auf Action-Kino mit selbstzweckhafter Gewalt steht, der kann mit dem handwerklich überzeugenden, wenn auch etwas überladenen „Project Wolf Hunting“ zwei Stunden lang gut Spaß haben.

    Bei Interesse empfehlen wir einen Besuch bei den Fantasy Filmfest White Nights Ende Januar / Anfang Februar 2023. Denn dort wird der Film auf jeden Fall ungeschnitten zu sehen sein, bevor Capelight dann versuchen wird, „Project Wolf Hunting“ auch regulär ungeschnitten in die deutschen Kinos zu bekommen.

     

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