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    Riff-Piraten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Riff-Piraten
    Von Ulrich Behrens

    „So ran an old Cornish prayer of the

    early nineteenth century, but in that

    lawless corner of England before the

    British Coastguard Service came into

    being .. there existed gangs who ...

    deliberately planned the wrecks, luring

    ships to their doom ...“

    Ein Piratenfilm von Alfred Hitchcock? Allerdings. Und ein Versprechen über dunkle Machenschaften und dunkle Gegenden zu Anfang, das „Riff-Piraten“ – das sei vorweggesagt – nicht einhalten kann.

    An der zerklüfteten Küste von Cornwall treiben Piraten ihr Unwesen, locken Schiffe mit wertvoller Fracht gegen die Klippen und lassen niemanden überleben. „Jamaica Inn“ heißt die dunkle Spelunke, um die sich der Film dreht und in der die Kerle sich treffen, angeführt von dem Wirt Joss (Leslie Banks), einem harten, ungehobelten Burschen, unter dessen Regime auch seine Frau Patience (Marie Ney) zu leiden hat. Doch sie trägt es seit Jahren mit Fassung, weil sie ihren Mann liebt.

    Das Szenarium ist eröffnet: Piraterie im Land der stolzen Briten, deren Polizei die Ganoven nicht zu fassen bekommt, auch weil sie ein anderer deckt und weil sie sich in den Schlupflöchern der einsamen, verwinkelten Gegend gut verbergen können. Dunkle Wolken, steile Küste, dunkle Gestalten, Raub, Mord – alles, jedenfalls mehr oder weniger alles im Studio gedreht. Es stürmt, regnet und kracht. Nur die Geschichte kracht nicht wirklich. In diese Szenerie lässt Hitchcock die Unschuld in Gestalt einer jungen Frau einbrechen. Mary heißt sie, und ihre Mutter ist vor wenigen Wochen verstorben. Eine Waise begibt sich ahnungslos in das Jamaica Inn, wo Tante und Onkel leben, eben Joss und Patience.

    Noch einer bricht in das Treiben der Piraten ein: James Trehearne (Robert Newton), der sich unter sie mischt, mitmischt, aber anderes im Sinn hat. Und last but not least trifft Mary zu allererst auf den örtlichen obersten Richter der Gegend, Sir Humphrey Pengallan (Charles Laughton), einen offenbar freundlichen und hilfsbereiten, wenn auch dandyhaften älteren Grafen, der im Kreis einer erlauchten Gesellschaft Gleichgestellter zu speisen, zu trinken und den britischen Adel respektive seine noble Familie(ngeschichte) zu ehren versteht – ein weitgehend geschätzter Herr. Er nimmt Mary auf, als der Kutscher sich weigert, am verruchten Jamaica Inn zu halten, und bringt sie höchstpersönlich in die Spelunke. Joss ist wenig begeistert über den Besuch. Und Mary muss bald feststellen, dass sich im Jamaica Inn schlimme Dinge abspielen. Durch Ritzen und Spalten beobachtet sie, wie Joss und die anderen Piraten einen der ihren, nämlich Trehearne, an den Kragen wollen, weil der Zwietracht zwischen Joss und die anderen säen wollte. Sie befreit den armen Kerl, flüchtet mit ihm an die Küste, von dort in das Anwesen des ehrenwerten Richters, der gegenüber seinen Pächtern gerade den generösen Grafen spielt – und beide erhoffen sich natürlich Hilfe von Sir Humphrey. Doch der Richter ist nicht nur Richter und Trehearne ist alles andere als ein Pirat...

    Eine etwas merkwürdige Geschichte präsentierte Hitchcock seinem Publikum, kurz bevor er England verließ und in den Staaten seine nächsten Filme in Angriff nahm. Eigentlich eine Geschichte, die gar keine ist, wie man sie von Hitchcock gewohnt ist. Zumindest ist das, was einem geboten wird, um es gelinde auszudrücken, relativ schlicht und meist wenig ergreifend. Schon bald ist klar, dass Sir Humphrey der Kopf der Bande ist, wovon allerdings nur Joss Kenntnis hat, nicht die anderen Piraten. Schon bald ist klar, dass Trehearne, ein Angehöriger der königlichen Marine, als V-Mann in die Reihen der Gauner geschickt wurde, um den Hintermann der Piraterie aufzudecken. Schon bald ist klar, dass sich die Unschuld vom Lande, Mary, als mutiges und intelligentes Wesen entpuppt, die nichts, aber auch gar nichts schrecken kann.

    Der dünne Faden der Nicht-Geschichte hangelt sich ausschließlich an der Tatsache entlang, dass die einen nicht wissen, was der andere wirklich ist – bis sie es wissen. Die Piraten wissen nicht, dass Humphrey die Tipps für die Schiffe gibt und dafür mehr kassiert, als ihnen bleibt; Trehearne erfährt von Humphreys unrühmlicher Rolle erst, als der ihn bereits durchschaut hat und fesseln lässt. Mary ist sauer, weil Trehearne natürlich auch ihren Onkel und ihre Tante hinter Schloss und Riegel bringen will – und so weiter.

    Der große Rest des Films dreht sich eigentlich nur um die Frage, wie Mary und Trehearne, die aller Voraussicht nach auch ein Paar werden, die Bösewichter dingfest machen können. Und hier lässt sich Hitchcock gegen Ende noch dramaturgische „Kniffs“ einfallen, die dem Master Of Suspense nicht gerade zur Ehre gereichen: Marys Onkel und Tante müssen sterben. Kurz vor seinem Tod entschuldigt sich Joss bei seiner Frau für seine Grobheiten. Perfekt simpel. Der Tod rettet sie vor dem Gefängnis und Mary vor dem schlechten Gewissen. Zum anderen darf Sir Humphrey in einer theatralischen Schlussszene vom Mast eines Segelschiffs aus den „ehrenhaften“ Sprung in den Tod vollführen – womit vor allem die Ehre des britischen Restadels gerettet wäre und der Bösewicht seiner gerechten, aber durchaus unspannend inszenierten Strafe zugeführt wird.

    Der Film hat deshalb keine wirkliche Geschichte, weil Hitchcock vom Pfade der Erzählung, des Geschichtenerzählens abgewichen ist. Dass Humphrey dramaturgisch sich schon bald am Anfang des Films als Hintermann der Piraten entpuppt, ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass Charles Laughton in dem Film von Anfang an omnipräsent sein wollte – so erzählt es jedenfalls Hitchcock, der Laughton als „liebenswürdigen Witzbold“ (eine nicht gerade schmeichelhafte Bemerkung) titulierte, im Gespräch mit Truffaut (1). Laughton kostet die Rolle aus, spielt den generösen Gentleman wie den schlitzohrigen Gauner in einem, was allerdings in einer auf Suspense angelegten Geschichte äußerst störend sein kann – und hier auch ist. Die deutsche Synchronisation sitzt dieser jedenfalls für diesen Plot unpassenden Darstellung auch noch dadurch auf, dass sie Laughton einen näselnden Sprecher verpasst.

    Nicht nur dies, sondern auch die Tatsache, dass sich die Ereignisse wie lose Episoden aneinander reihen, deren Verbindung zueinander oft gequält erscheint, als wenn das Drehbuch mit der Kneifzange zusammengehalten werden musste, um einen Lauf der Dinge zu erzeugen, verpassen der Handlung etwas Erzwungenes und wenig Spannendes.

    Und die Rolle der Mary – obwohl von der jungen Maureen O’Hara (u.a. „Rio Grande“, 1950) in ihrer dritten Kino-Rolle ganz passabel gespielt – ist in sich eher unglaubwürdig: Wie aus der Pistole geschossen wird die junge Waise zur kampfesmutigen Heldin. Lediglich Robert Newtons Rolle als verkappter Polizist Trehearne ist in sich stimmig aufgebaut.

    Man könnte auch sagen: Die „Geschichte“ kann sich ihrer „eingebauten“ Trivialität kaum erwehren. Und Hitchcock selbst war später von dem Film eher tief enttäuscht.

    (1)Truffaut / Hitchcock. Herausgegeben von Robert Fischer, München und Zürich 1999, S. 99-100.

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