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    The Persian Version
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Persian Version

    Vielschichtiges Gute-Laune-Kino!

    Von Jörg Brandes

    Früher waren der Iran und die USA befreundete Staaten. Doch seit der Islamischen Revolution, die 1979 zur Absetzung von Schah Mohammad Reza Pahlevi führte, ist Schluss damit. Leila Jamshidpour, eine der beiden Hauptfiguren von „The Persian Version“, vergleicht das Verhältnis der beiden Staaten einmal mit einer Romanze, die in eine bitteren Scheidung mündet.

    Mit acht Brüdern zwischen beiden Kulturen aufgewachsen, fühlt sich Leila, deren Eltern 1967 aus dem Iran in die USA übersiedelten, denn auch wie ein Scheidungskind. Die queere und quirlige Protagonistin ist auch ein Alter Ego der Regisseurin Maryam Keshavarz, die in ihre ebenso turbulente wie bunte Tragikomödie offensichtlich auch viele persönliche Erfahrungen eingeflossen sind.

    Sony Pictures
    Dass zwischen Leila (Layla Mohammadi) und ihrer Mutter Shirin (Niousha Noor) so ein Stress herrscht, liegt vor allem daran, dass die Tochter bislang nur eine Seite der Geschichte kennt.

    Als wir die Autorin und Filmemacherin Leila (Layla Mohaadi) kennenlernen, wird das Stehen zwischen den Kulturen gleich sinnfällig illustriert: Auf einer Halloween-Party in New York – irgendwann in den Nullerjahren – gewinnt sie mit einer Kombination aus einem Burka-ähnlichen Oberteil und einem Bikiniunterteil den Preis für das beste Kostüm. Anschließend landet sie mit Drag-Akteur Maximillian (Tom Byrne) in der Kiste (was nicht ohne Folgen bleibt). Doch eigentlich trauert sie noch immer ihrer Ex-Ehefrau Elena (Mia Foo) hinterher.

    Nach und nach führt sie uns auch in ihre Familie ein. Dabei stellt sich heraus, dass ihre Beziehung zur Oma (Bella Warda) wesentlich besser ist als die zu ihrer Mutter Shirin (Niousha Noor), die Leilas Lebensstil nicht gutheißt. Neue Bewegung kommt in das problematische Mutter-Tochter-Verhältnis, als der herzkranke Vater Ali Reza (Bijan Daneshmand) ins Krankenhaus eingeliefert wird, weil sich endlich ein Spenderorgan gefunden hat. Wenn er nach der Transplantation wieder aufwacht, möchte er alle Kinder an seinem Bett sehen. Auch Leila und das zweite schwarze Familienschaf Vahid (Parsa Kaffash), den ein Geheimnis umgibt…

    Die zwei Seiten der Geschichte

    Besonders in der ersten Filmhälfte geht es sehr turbulent und stilistisch vielfältig zu. Die Erzählung springt zwischen den Zeitebenen hin und her, Leila spricht öfter direkt in die Kamera, mitunter friert auch mal das Bild ein, um etwas besonders zu unterstreichen. So erschließt sich allmählich Leilas Blick auf ihr Leben und ihre Familie. Rückblenden in die 1980er Jahre zeigen launig, wie sie als Kind (Chiara Stella) bei Verwandtenbesuchen westliche Popmusik von Cindy Lauper oder Prince in den Iran schmuggelte und wie ihre Mutter in den 1990ern zu einer geschäftstüchtigen Immobilienmaklerin wurde, die erfolgreich Häuser an Flüchtige vermittelte. In diesem Abschnitt steckt viel von einer beschwingten Komödie.

    Aber da ist ja noch der ungelöste Mutter-Tochter-Konflikt. Leila würde ihre Mutter doch zu gern verstehen. Dabei ist die Oma ihrer Enkelin gerne behilflich – und da kommt dann auch der Filmtitel ins Spiel. Lange kennen Leila und wir nur die offizielle (amerikanische) Version der Geschichte, die einst zur Auswanderung der Familie Jamshidpour führte: In den USA wurden Ärzte gesucht und da ergriff der Mediziner Ali Reza (jung: Shervin Alenabi) eben die günstige Gelegenheit. Die Oma aber kennt die wahre, mit einem Skandal verbundene persische Version: In der lernen wir eine noch sehr junge Shirin (Kamand Shafieisabet) kennen, die mit 14 Jahren zur Hochzeit mit dem Landarzt Ali Reza genötigt wird und dafür die Schule aufgeben muss. Mehr soll hier nicht verraten werden, deshalb nur so viel: Diese Episode wird angemessen dramatisch erzählt und verändert den Blick auf die zuvor so streng erscheinende Shirin.

    Sony Pictures
    Wenn Vater Ali Reza (Bijan Daneshmand) nach seiner Operation erwacht, will er die gesamte Großfamilie an seinem Bett sehen!

    Auch wenn hier ein kunterbuntes Familienpanorama aufgefächert wird: Die Männer müssen sich in diesem Film mit Randplätzen begnügen. Im Fokus stehen klar Leila und Shirin und ihr Verhältnis zueinander. Beide Figuren sind so eigenwillige wie starke Persönlichkeiten und werden von Layla Mohammadi und Niousha Noor genauso gespielt. Während Leila – frei nach Cindy Laupers Hit „Girls Just Want To Have Fun“ – einfach so lebt, wie sie leben will, erzählt Shirins Geschichte von einer Selbstermächtigung.

    Als ihr Mann wegen seiner Krankheit als Geldverdiener weitgehend ausfiel, verzagt seine Gattin nicht, sondern bewies organisatorisches Geschick und übernahm kurzerhand das Familienzepter. Niousha Noor gibt Shirin als ebenso stolze wie sture Frau. Regisseurin Maryam Keshavarz hat ihren Film gut im Griff. Sie weiß, wann sie die erzählerischen Zügel lockern kann und wann sie sie anziehen muss. Humor und Drama stehen sich nie gegenseitig im Weg. Sie lässt sogar ein paar Stränge offen, ohne dass es groß stört. Etwas übertrieben wirkt nur das Ende, das sich gefühlt doch etwas zu sehr den üblichen Hollywood-Konventionen beugt.

    Fazit: Der vielleicht erwartete Culture-Clash fällt eher moderat aus, der Mutter-Tochter-Clash dafür umso heftiger. „The Persian Version“ ist ein auch in seinen stilistischen Mitteln äußerst reichhaltiger Film, der mächtig Laune macht – und dabei zugleich tief bewegt!

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