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    Radical - Eine Klasse für sich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Radical - Eine Klasse für sich

    Eine wahre Geschichte, die mächtig Mut macht

    Von Helena Berg

    Erinnern Sie sich noch an den einen Lehrer, der an Sie geglaubt hat? Die eine Lehrerin, deren Unterricht tatsächlich Spaß gemacht hat? Dann wissen Sie vielleicht, wie lebensverändernd diese Person für Sie war. Der Lehrer Sergio Juarez (Eugenio Derbez), die Hauptfigur aus „Radical - Eine Klasse für sich“, formuliert zurückhaltender: „Ich möchte keine Kinder mehr verlieren.“ Aber sein Ziel ist nur vermeintlich bescheidener, denn dem Schulsystem in Mexiko gehen tatsächlich eine Menge Kinder verloren: Bei seinem Antritt als Lehrer an einer der ärmsten Grundschulen bestehen mehr als die Hälfe der Sechstklässler*innen die vergleichende Mathematikprüfung nicht.

    Stattdessen prägen Gewalt, Drogen und Perspektivlosigkeit ihren Alltag. Die Antwort der Schule darauf: Disziplin und Gehorsam. Nur der Neuzugang Sergio Juarez glaubt nicht an diese „Lösung“, sondern probiert mit der schwächsten Klasse eine andere Methode aus: Die Kinder sollen selbst entscheiden, was sie lernen wollen und durch Spiel und eigenständiges Denken zu Ergebnissen kommen. Doch auch wenn seine Methode innerhalb der Klasse Anklang findet, sieht sich Sergio von außen mit vielen Hürden konfrontiert und fragt sich deshalb bald, ob eine wirkliche Veränderung überhaupt möglich ist.

    Ascot Elite
    Die „radikalen“ Methoden sorgen nicht nur für Begeisterung in der Klasse, sondern führen auch zu stark verbesserten Ergebnissen.

    Man könnte also sagen: Die richtige Geschichte zur jetzigen Zeit, in der viele Menschen mit ganz ähnlichen Fragen beschäftigt sind. Was können wir tun, um eine Zukunft zu gestalten, in der alle gerne leben wollen? Wie umgehen mit den zahlreichen Problemen um uns, die sich gegenseitig verstärken? Tatsächlich basiert „Radical“ von Regisseur Christopher Zalla auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 2011 und erzählt die Geschichte eines Lehrers, dessen Lernmethoden dazu führten, dass statt 45 % schließlich 93 % seiner Schüler*innen die Mathematikprüfung bestanden. Eine seiner Schülerinnen schrieb sogar die beste Mathematikprüfung ganz Mexikos. Sie setzt sich heute für bessere Schulbildung ein und unterstützt auch diesen Film, der Hoffnung auf Veränderung macht.

    Dass man sich das auch gerne ansieht, liegt an den tollen Kinderdarsteller*innen sowie dem mexikanischen Comedy-Superstar Eugenio Derbez („Overboard“) und Daniel Haddad („Alle Sommerprossen dieser Welt“) als zwar zunächst resignierter, aber liebenswerter Schulleiter. Das Drehbuch hätte diesen Figuren allerdings ruhig noch mehr menschliche und ambivalente Situationen zutrauen dürfen, etwa wenn es um die Frage geht, warum Sergio seine alte Schule verlassen hat, um an die sogenannte „Strafschule“ zu gehen. Oder die Frustration darüber, dass nach Monaten der versprochenen Förderung immer noch keine Computer in der Schule vorhanden sind. Sehr überzeugend ist hingegen die erste Unterrichtsstunde des neuen Lehrers, die mit alten Methoden aufräumt. Die Begeisterung und Zustimmung der Klasse stellt sich dabei womöglich etwas zu rasant ein – aber möglicherweise führt uns „Radical“ an dieser Stelle auch nur unseren eigenen Zynismus vor Augen, wenn wir erst einmal Widerstand der Schüler*innen erwarten.

    Warum muss man sich überhaupt melden?

    Nicht gebraucht hätte der Film jedoch einige besonders pathetische oder explizite Dialoge wie das Gespräch zwischen einem Schüler und Freunden seines Bruders über das Drogenmilieu im Sinne von: „Hier lernst du mehr als in der Schule.“ Die Freude der Kinder daran, die Welt zu verstehen, auch um sie dann womöglich verändern zu können, ist auch so stark genug und muss nicht noch groß mit Worten erklärt werden. Gerade die kleinen Momente zählen in diesem Film: Warum müssen sich Kinder in der Schule melden? Wieso nicht spontan über das sprechen, was die Schüler*innen beschäftigt? Dass bei zu viel Aufregung kurz meditiert wird, erinnert sogar an die kürzlich auf der Berlinale gezeigte Doku „Favoriten“ über eine Wiener Grundschulklasse. Solche Szenen über anders gedachten Unterricht sind so spannend, dass man davon gerne mehr sehen und beobachten möchte.

    Erwähnenswert sind auch die - farblich tollen – Bilder etwa der Müllberge, durch die eine Schülerin waten muss, um darin nach wertvollen Materialien zu suchen. Der Film zeigt Elend auf, ohne die Figuren zu Opfern zu machen, es geht um die Alltäglichkeit von Gewalt und Korruption, aber ganz ohne Romantisierung oder Verrohung. Das ist ein kleines Kunststück, das nicht vielen Filmen gelingt.

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    Viele Kolleg*innen reagieren auf die neue Art des Unterrichts erst einmal mit Skepsis.

    Etwas zu schnell ist daher die Resignation des Lehrers Juarez, nachdem einem seiner Schüler etwas Grauenvolles passiert. Sergios Trauer ist dabei absolut verständlich, doch seine Zweifel zu widersprüchlich zu seiner vorherigen Haltung und seinem Wissen über die Fortschritte und Realität der Kinder. Hier bräuchte „Radical“ eine größere Fallhöhe oder eine komplexere Hauptfigur, um den typischen Tiefpunkt der Heldenreise zu erzählen, den der Film möglicherweise hätte weglassen können. Diese Zusammenfassung wird dem Thema in keinster Weise gerecht, aber vielleicht zeigt uns sowohl die wahre Begebenheit als auch der Film, dass es Vertrauen und neue Strukturen braucht, um Probleme zu lösen.

    Fazit: „Radical - Eine Klasse für sich“ ist ein mutmachender Film über die Kraft von Bildung und Lehrer*innen, die an ihre Schüler*innen glauben; gerade wenn die Umstände herausfordernd sind. Dabei hätte der Film seinem Publikum aber ruhig noch mehr zutrauen dürfen. Einige Dinge werden unnötig deutlich ausformuliert, dabei wäre es doch sicher ganz im Sinne von Lehrer Sergio gewesen, wenn die Zuschauenden mit eigenen Beobachtungen selbst auf die Message hinter den Bildern kommen würden.

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