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    Goldhammer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Goldhammer

    Von der "männlichen Hure" zum Polit-Star der AfD

    Von Janick Nolting

    Pablo Ben Yakov und André Krummel zeichnen bereits für einen bemerkenswerten Skandal verantwortlich: Als 2018 ihr Dokumentarfilm über die Clique des Provokateur-YouTubers Max Herzberg auf dem Leipziger DOK-Festival Premiere feierte, entbrannte medial und vor Ort eine hitzige Diskussion. „Lord Of The Toys" dokumentiert einen Alltag voller Grenzüberschreitungen, welche dann öffentlichkeitswirksam im Internet ausgeschlachtet werden. Wiederholt wurde den Filmemachern dabei vorgeworfen, den Tabubrüchen ihrer Protagonisten einfach nur unkommentiert eine weitere Plattform zu bieten.

    Bis heute überzeugen derlei Vorwürfe jedoch wenig. Sie wehren das Schmerzhafte der Bilder ab, verkennen aber das Reflexionsvermögen und die Reife ihrer Inszenierung. Schmerzhaft nicht, weil es den Regisseuren an kritischer Distanz oder Haltung mangelt, sondern weil sie schonungslos eine junge, verdrängte Lebensrealität freilegen. „Goldhammer“, der neue Film von Ben Yakov und Krummel, knüpft eng daran an. Formal und thematisch handelt es sich um einen konsequenten Nachfolger zu „Lord Of The Toys", der viele Gemüter ähnlich erregen dürfte. Dabei könnte der auf dem Poster mit dem Untertitel „die pensionierte Hure“ versehene Film spannender und im besten Sinne herausfordernder kaum sein.

    Marcel Goldammer weiß sich auch selbst sehr gut zu inszenieren.

    „Goldhammer" beleuchtet wieder eine Persönlichkeit, die auf fragwürdige Weise zu Ruhm gelangt ist. Erneut bieten Internet und Social Media ein lukratives Angebot für die eigene Selbstbestätigung. Sie werden Mittel der Wahl, um Sinn im Leben zu stiften und das vermeintlich Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Marcel Goldammer – den Künstlernamen Goldhammer gibt er sich später selbst – wächst Ende der 1980er-Jahre in der westdeutschen Provinz auf. Mit 14 outet er sich als homosexuell und er hat große Pläne: Berühmtheit ist sein Ziel! Seine Karriere führt ihn erst als Schauspieler zum „Tatort", dann in die Prostitution und schließlich in die Kreise der AfD…

    Ein Gespenst im Fensterglas

    Schon der Einstieg ist klug gewählt: Krummel und Ben Yakov lassen ihren Protagonisten zunächst nur als Projektion in einer Fensterscheibe erscheinen. „Ich möchte einfach ich selbst sein", sagt er im Off, während der Ausschnitt kurz seine leibhaftigen Gesichtszüge im Vordergrund scharfstellt. Kurz darauf wechselt der Kamerafokus wieder auf das gespiegelte Abbild im Glas. So wird Goldammer direkt einer klaren Fassbarkeit entrückt. Im Zentrum steht das Spiel mit Bildern und Inszenierungen, das der Film raffiniert verunsichert. Seine Erkundung führt vom Kinderzimmer auf öffentliche Bühnen, hinein in die Widersprüche einer komplizierten Identität.

    Verschiedene mediale Schichten legen sich dabei um diese Gestalt. „Goldhammer“ ist ein hochkomplexes Werk. Inszeniertes trifft auf Archivmaterial. Szenen wie aus einem Internet-Vlog entblößen ihre Illusion. Im schwarzen Nichts flackern Gesichter und Körper über kubische Formen. Stimmungen wechseln von jetzt auf gleich. Eine Erzählerstimme rückt „Goldhammer“ beinahe in die Nähe eines Märchens oder einer Räuberpistole, verwandelt Reales in Fiktives, erhebt das Persönliche ins Allgemeingültige und umgekehrt. Insofern ist „Goldhammer“ verspielter und kleinteiliger gestaltet als die dichte Milieustudie von „Lord Of The Toys“.

    Gerade bei der AfD ist ein schneller Aufstieg für Selbstdarsteller*innen eben noch besonders gut möglich.

    Der Stoff des Films ist sensationell: Ein weltoffener, schwuler, jüdischer Prostituierter macht Karriere als AfD-Politiker. Irgendwann hat er genug Kapital mit seinem Körper erwirtschaftet, um sich andere Körper leisten zu können. Also sucht er neue Wege ins Rampenlicht. Parolen und Stilblüten der Rechten eignet er sich offenbar mit Leichtigkeit an. Doch „Goldhammer“ bietet weder eine befriedigende Rekonstruktion der Biographie des Protagonisten noch eine Diskussion seiner politischen Überzeugungen. All den Schlaglichtern geht es um Grundsätzlicheres, auch wenn sich der Film mitunter in seinen vielen Ebenen zu verzetteln droht. Indem das Paradoxe der Außendarstellung Goldammers in seine Form hineinwandert, kommt er deren Kern umso näher.

    Zwischen Ausschweifung und Einsamkeit

    Goldhammer und die Jungen aus „Lord Of The Toys“ sind letztlich Ausdruck einer Kultur, in der Individuen ihren Warencharakter aushandeln. Die Möglichkeit, sich permanent neu zu entwerfen, wird zwanghaft und kann sich selbst nicht begreifen. Hedonismus, Luxus und Exzess locken und fordern den Verkauf der eigenen Person. Welche Risiken, Abhängigkeiten und Krisen mit ihrer Sehnsucht verknüpft sind, schimmert hier auf so eindringliche wie verstörende Weise durch – sofern man genau hinsieht, in die Lücken und Risse, die sich in der Selbstinszenierung auftun. Gerade die wiederkehrenden Momente der Einsamkeit sind so tieftraurig eingefangen, wie es zuletzt vielleicht nur noch dem vergleichbar starken „Pornfluencer“ gelang.

    „Goldhammer“ zeigt über Jahre hinweg, wie eine Kultur des Stattfinden-Wollens und -Müssens sowie das vermeintliche Austricksen eines Wirtschaftssystems funktionieren. Letzteres wird damit nur in seiner perfidesten Logik bestätigt. Von den Armutserfahrungen und Disziplinierungen der Eltern und Großeltern ist man entfremdet. Man hat zwar gewisse Freiheiten gewonnen, blickt jedoch einer ebenso großen Perspektivlosigkeit entgegen. Der Film beschränkt damit den Werdegang des Millennials Goldammer keineswegs auf den Drang nach Anerkennung und Sichtbarkeit, der so simpel auf der Hand zu liegen scheint.

    Er bohrt weiter und warnt, wie ausgerechnet populistische Kräfte wie die AfD den Gewinn eines steilen Aufstiegs versprechen. Goldammer gelingt dieser Aufstieg, weil er sich zu präsentieren weiß – und die Kino-Leinwand wird zu seinem Sprachrohr: Pablo Ben Yakov und André Krummel geben ihrem Protagonisten die Kamera in die Hand, kokettieren mit der Fertigung ihres eigenen Films. Wer beobachtet und dirigiert hier eigentlich wen? Wie „echt“ sind bestimmte Regungen, die wir da gerade sehen?

    Schauspieler oder Regisseur?

    Einmal beschreibt sich der Sexarbeiter selbst als Regisseur. Sein Geschäft ist das Inszenieren des perfekten Scheins für die Kunden. Und so taucht dieser neugierige, scharfsinnige Film mit Tutorials zum Koksen, Darmspülen oder dem Einstieg in die Prostitution tief in die Darstellungsmechanismen dieser Scheinwelt ein. Krummel und Ben Yakov übertragen sie in den Kinosaal und lassen damit deren Funktionsweise deutlich erkennen. Ihre Montage wiederholt die Ästhetiken sozialer Netzwerke, um sie auf der Kinoleinwand in einem auch buchstäblich größeren Kontext studieren zu können.

    „Goldhammer“ wird damit auch zur Auseinandersetzung mit der Verführungskraft einer Figur, ihrer Ideologie und Rhetorik, bevor sie schelmisch aus den Aufnahmen verschwindet. Erscheinen die Reize, die sie verkörpert, wirklich so verwerflich und fremd, wie man es sich gern herbeiredet? Dass sie einem als logische Konsequenz einleuchten und doch so eigenartig um ihre Banalität und Leerstellen wanken, ist die stärkste und erhellendste Konfrontation, die diesem Werk nur gelingen konnte.

    Fazit: André Krummel und Pablo Ben Yakov werfen nach „Lord Of The Toys“ erneut einen vielschichtigen Blick auf spätmoderne Lebensgefühle, ihre Ökonomie und medialen Abgründe. „Goldhammer“ ist das provokante, klug inszenierte Porträt eines Selbstdarstellers und ein herausragendes Zeitdokument.

     

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