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    Leere Netze
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Leere Netze

    In den Fängen der iranischen Kaviar-Mafia

    Von Ulf Lepelmeier

    Zwei junge Menschen lieben sich, dürfen aber aufgrund von gesellschaftlichen Normen und familiären Vorstellungen nicht zusammenkommen. Im Kern eine traditionelle „Romeo und Julia“-Prämisse, aber der erste Langfilm des Regisseurs Behrooz Karamizade spielt im Iran. Das beim traditionsreichen Filmfestival in Karlovy Vary mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnete Drama „Leere Netze“ fängt in ansprechenden Bildkompositionen und in einem ruhigen Erzählfluss das Leben eines jungen Fischers ein, der einen Job am Kaspischen Meer antritt, um so das Brautgeld für seine große Liebe aufzubringen. Stattdessen gerät er allerdings in eine Abwärtsspirale aus Kriminalität und Hoffnungslosigkeit.

    Amir (Hamid Reza Abbasi) und Narges (Sad Asgari) sind schwer verliebt und treffen sich heimlich, um zumindest etwas Zeit miteinander verbringen zu können. Das junge Paar träumt von einer gemeinsamen Zukunft, doch eine Heirat rückt in weite Ferne, als Amir seinen Job bei einem Cateringservice verliert und das von Narges Familie verlangte Brautgeld deshalb nicht mehr aufbringen kann. Da er immer schon gut schwimmen konnte und sich auch für das Meer begeistert, heuert Amir bei einem Fischerreibetrieb am Kaspischen Meer an. Die harte Arbeit wird allerdings nicht gut bezahlt. Um seinem Ziel dennoch näher zu kommen, beteiligt sich Amir an illegalen nächtlichen Fängen. Schon bald ist er in die kriminellen Machenschaften der Kaviar-Mafia verstrickt – und die gefährdet nicht nur seine Beziehung zu Narges, sondern auch sein eigenes Leben…

    Amir (Hamid Reza Abbasi) gibt alles im neuen Job – aber als Fischer verdient man einfach nicht besonders viel.

    Das Spielfilmdebüt des Deutsch-Iraners Behrooz Karamizade, für dessen Skript er im Jahr 2021 bereits mit dem deutschen Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, ist als Allegorie auf die Situation der jungen Generation im Iran angelegt: Eingeengt durch die starren Regeln und Traditionen, sind die Zukunfts- und Aufstiegschancen weiterhin stark limitiert. Der Regisseur selbst bezeichnet sein Drama, das mit einer selten erteilten Dreherlaubnis komplett vor Ort im Iran umgesetzt werden konnte, als einen Film über die Ursachen von Flucht und Migration.

    Seine beiden Protagonist*innen sind dabei gar nicht auf Revolution aus, sondern einfach zwei junge Menschen mit verständlichen Träumen und Hoffnungen, die sich eigentlich gern an die bestehenden Regeln halten würden. So kommt es bei den gemeinsamen Treffen im Verborgenen nicht einmal zum Austausch von schüchternen Küssen. Ein Aufbegehren gegen die Traditionen oder die Familie ist undenkbar (selbst wenn die Brautgabe eigentlich viel zu hoch ist, steht für beide fest, dass sie zunächst einmal bezahlt werden muss).

    Raue See

    Der geheime Treffpunkt, an dem das Paar zusammen Mahlzeiten einnimmt und sich austauscht, ist ein verlassener, halbvollendeter Appartementkomplex mit Blick aufs Meer. Dieser unwirkliche Ort zwischen in Trümmern liegenden Hoffnungen und noch immer erahnbaren Chancen, die nur darauf warten, weiterverfolgt zu werden, wird von Kameramann Ashkan Ashkani („Doch das Böse gibt es nicht“, Goldener Bär bei der Berlinale 2020), sehr ansprechend in Szene gesetzt. Besonders eindrücklich gelingen ihm auch die Sequenzen auf hoher See und bei der Verarbeitung der Fische. Der Fischfang wird als harte und gegebenenfalls auch lebensgefährliche Arbeit greifbar.

    So muss Amir sowohl bei den Tagesausfahrten als auch in der Nacht beim illegalen Störfang auf Tauchgang gehen, um die Netze von dem im Meer treibenden Müll zu befreien. Viele Tüten und Plastikdosen verfangen sich nicht nur in den Netzen, sondern verunreinigen auch den an sich pittoresken Strand, an dem die Fischereibote liegen. Als Amir jedoch den Müll einsammelt, um ihn zu entsorgen, wird er von seinem Chef direkt zurechtgewiesen, diesen doch einfach wieder zurück ins Meer zu werfen. Umweltschutz und Ressourcenschonung werden hier noch nicht großgeschrieben. Und auch die Fischer bekommen selbst beständig zu spüren, dass sie als kleine Rädchen im Betrieb nur ausgebeutet werden und möglichst austauschbar bleiben sollen.

    Einmal in den Fängen der Kaviar-Mafia ist es kaum noch möglich, aus den illegalen Geschäften wieder auszusteigen.

    Auffällig sind die oft im Bild erscheinenden Geldbündel, die aufgrund der starken Inflation groteske Größen annehmen und die voller Misstrauen wieder und wieder nachgezählt werden. Sie künden eindrücklich von der immer größeren Kluft zwischen Arm und Reich im Iran und damit zugleich von Amirs Dilemma. Auch das Farbkonzept ist mit seinen immer stärker in den Vordergrund tretenden dunklen Blau- und Grautönen, die sich von den anfänglichen Bildern in der Stadt unterscheiden und teils nur noch von Narges farbenfrohen Kopftüchern durchbrochen werden, genau durchdacht - und spiegelt zugleich auch die zunehmende düstere Stimmung wider.

    Während des Films macht Hamid Reza Abbasi als Protagonist einen merklichen Wandel von einem unbeschwert-naiven jungen Mann, der völlig von seiner ersten Liebe erfüllt ist und deshalb entschlossen seinen Weg geht, zu einem innerlich aufgewühlten und zugleich erschöpften (Selbst-)Zweifler durch. Sein fordernder Job und die Befürchtung, beim illegalen Fischfang oder Kaviarhandel vor einem der teuren Restaurants von der Polizei geschnappt zu werden, lassen ihn in kurzer Zeit merklich altern. Schauspielerisch bleibt ansonsten insbesondere noch Pantea Panahiha in ihrer kleinen, aber würdevollen Rolle als Amirs alleinerziehende Mutter in Erinnerung.

    Fazit: „Leere Netze“ ist ein stimmungsvolles, handwerklich gelungenes Arthouse-Drama, das die schwierige Situation für die iranische Jugend zwischen Zukunftssehnsüchten und Chancenlosigkeit anhand eines verliebten jungen Mannes nachzeichnet.

    Wir haben „Leere Netze“ beim Filmfest München 2023 gesehen, wo er in der Reihe Neues Deutsches Kino zu sehen war.

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