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    Mit einem Tiger schlafen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Mit einem Tiger schlafen

    Ein aus dem Rahmen fallendes Künstlerinnen-Porträt

    Von Kamil Moll

    Im Verlauf von Anja Salomonowitzs „Mit einem Tiger schlafen“ sitzt Maria Lassnig (Birgit Minichmayr) immer wieder auf einem Gartenstuhl vor einer leeren Malfläche, die auf dem Boden ausgebreitet ist. Die Schultern sind nach hinten gedrückt und angespannt, der Blick konzentriert auf einen einzigen Farbfleck gerichtet. So beginnt die Arbeit: Aus diesem Punkt leitet die österreichische Malerin die Farbpalette für das ganze Bild ab. Diese Körperhaltung ist zentral für den ganzen Film: Birgit Minichmayr („Andrea lässt sich scheiden“) spielt Lassnig mit Ausnahme der frühen Kinderjahre in allen Lebensphasen und Altersstufen. Ohne zusätzliche Maske, Verkleidung oder Schminke, die einen genauen Hinweis auf das tatsächliche Alter der porträtierten Künstlerin geben könnten – von den Anfängen an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu Beginn der 1940er-Jahre bis weit in die Nullerjahre des 21. Jahrhunderts hinein, also ihre ganze Schaffenszeit hindurch.

    So markiert die Beugung des Körpers sowie der mal entschiedene, mal zerbrechliche Gang Minichmayrs die Spuren des Älterwerdens. Dass sich Anja Salomonowitz zu dieser Schauspielidee entschlossen hat, lässt sich, das macht der Film bald deutlich, unmittelbar aus der Arbeitsweise der Künstlerin erklären: Malen ist für sie eine Körpererfahrung, das auf den Boden ausgebreitete Bild eine Fläche, auf die sich Lassnig beim Arbeiten legt. Durch unterschiedliche Körperbewegungen und Positionen wirken ihre Gelenke dabei stützend oder auch bewusst behindernd auf das entstehende Bild ein. Daher ist der Titel auch durchaus doppeldeutig zu verstehen: Zum einen ist „Mit einem Tiger schlafen“ von 1975 eines ihrer bekanntesten Gemälde, zum anderen beschreibt es aber auch ganz einfach ihre Arbeitsweise, sich beim Malen ihrer Motive neben sie auf den Boden zu legen.

    coop99 Filmproduktion
    Der grüne Gartenstuhl spielt in der Arbeit von Maria Lassnig (Birgit Minichmayr) eine zentrale Rolle.

    „Ich musste mir meinen Farbsinn durch Kontemplation erarbeiten“, sagt die Malerin einmal, und auch das ist ein Punkt, den das Biopic, in dem ihre Lebensgeschichte nicht chronologisch, sondern eher nach Themen und wiederkehrenden Erfahrungen angeordnet ist, hervorhebt: Das Handwerk und die Arbeitsmethode erarbeitet sich Lassnig selbst, teils gegen verschiedene, lang andauernde Widerstände. Da ist zum einen die Beziehung zu ihrer Mutter (Johanna Orsini-Rosenberg), auf die „Mit einem Tiger schlafen“ zunehmend redundant immer wieder zurückkommt. Eine mittellose Frau, die ihre uneheliche Tochter zunächst bei der Großmutter in einer dörflichen Umgebung aufwachsen lässt und erst später wieder zu sich nach Klagenfurt nimmt.

    Das Bedürfnis nach der Bewunderung der Mutter, die sich lediglich einstellt, wenn Maria Lassnig Personen aus deren Nachbarschaft porträtiert, wird als lebenslanges Hindernis und kreativer Motor zugleich überbetont – eine Beziehung, bei der Minichmayr immer wieder aufs Neue zu einem ewigen Kind regressieren muss. Komplizierter, wenngleich im Film nicht minder Message-dienlich geschildert, ist ihr Verhältnis zu dem Maler Arnulf Rainer (mit überspannt jugendlicher Verve von Oskar Haag gespielt), mit dem Lassnig eine Zeit lang eine Partnerschaft führt. Ihre Beziehung beginnt als das gegenseitige Erkennen zweier aufstrebender Künstler*innen: „Das ist das einzige gute Bild, das hier hängt. Ein nackter Mann mit rotem Penis“, sagt er zu ihr, als er eine Ausstellung besucht, bei der ein Bild Lassnigs wegen vermeintlicher Obszönität verhüllt werden musste.

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    Im Gegensatz zu ihrem medienwirksam polternden Partner dauert Maria Lassnig lange Jahre, bis sie endlich die verdiente Aufmerksamkeit erfährt.

    Rainer ist, so schildert es der Film, ein entschiedener Selbstinszenierer, der sich und die von ihm mitbegründete Künstlervereinigung „Hundsgruppe“ medienwirksam ans Publikum verkaufen kann. Motto: „Wir sind die Gruppe, ihr seid die Hunde. Wir sind moderne Künstler, ihr seid dumpfer Brei.“ Damit avanciert er schnell zu einem international gefragten Shooting-Star, während sich Maria Lassnig noch lange Zeit unerkannt auf dem Kunstmarkt behaupten und positionieren muss. So fantastisch Birigit Minichmayr in der Darstellung Lassnigs ist, mal feinfühlig akzentuierend, mal mit Mut zur passenden großen Schauspielgeste, so vordergründig und stereotyp wirkt „Mit einem Tiger schlafen“ als Porträt leider doch bisweilen.

    Zu wenig Platz räumt der Film der tatsächlichen Arbeit an den Bildern ein, zu sehr werden diese, indem sie zwischendurch illustrierend eingeblendet werden, immer wieder aus Lassnigs Lebensumständen heraus erklärt und etwas wohlfeil gedeutet. Am Ende wird Maria Lassnig in späteren Jahren als eine Künstlerin gezeigt, die durch Kunstbetrieb und Sammlermarkt (ihr Gemälde „Wilde Tiere sind gefährdet“ erreicht bei einer Auktion eine Rekordsumme) eine umfassende Würdigung erfährt, die dieser Anerkennung gegenüber aber höchst misstrauisch bleibt. Dadurch verfällt dieses Künstler-Biopic doch noch jenen Klischees, gegen die es in seiner Form eigentlich schon verschiedene interessante Ideen entwickelt hatte.

    Fazit: „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz ist ein Porträt der österreichischen Malerin Maria Lassnig, das als Schauspielperformance von Birgit Minichmayr faszinierend ist, aber dennoch zu oft an Biopic-Klischees hängenbleibt.

    Wir haben „Mit einem Tiger schlafen“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Forum gezeigt wurde.

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