Wenn das Licht zerbricht
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Wenn das Licht zerbricht

Wenig Worte, große Wirkung

Von Michael Meyns

Manche Filme machen viele Worte und sagen doch sehr wenig. Der isländische Regisseur Rúnar Rúnarsson („Sparrows“) dagegen schafft es in seinem vierten Spielfilm „Wenn das Licht zerbricht“, in nicht einmal 80 Minuten und größtenteils in für sich sprechenden Bildern eine ganze Phalanx von Gefühlen anzudeuten. Geradezu vorbildlich folgt er antiken Dramen-Theorien: Die Handlung spielt an einem Tag, gerahmt von zwei Sonnenaufgängen, zwischen denen eine junge Frau ihre erste große Liebe verliert, aber nicht offen trauern kann – und am nächsten Morgen mit einem anderen Menschen trotzdem einen versöhnlichen Moment erlebt. Ein berührendes Melodram, eine kleine Vignette, die in kurzer Zeit eine enorme Bandbreite von Emotionen anreißt, nicht zuletzt dank der außerordentlichen Bilder von Kamerafrau Sophia Olsson.

Die Sonne geht in einem gleißenden Feuerball über dem Meer auf. Am Ufer sitzen die Kunststudenten Una (Elín Hall) und Diddi (Baldur Einarsson). Lange Zeit waren sie nur Freunde, die zusammen studierten und in einer Band spielten, erst seit kurzem sind sie ein Paar. Aber bis auf Diddis Bruder und Mitbewohner Gunni (Mikael Kaaber) weiß das niemand, weil Diddi genau an diesem Tag nach Hause fliegen will, um sich von seiner bisherigen Freundin Klara (Katla Njálsdóttir) zu trennen. Doch auf dem Weg ereignet sich in einem Tunnel ein katastrophales Unglück, viele Menschen sterben, darunter auch Diddi. Während das Land trauert, muss Una ihre Gefühle zurückhalten, zumal Klara auftaucht und von den gemeinsamen Freunden getröstet wird. Im Laufe des Tages und der Nacht entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine besondere Nähe…

„Wenn das Licht zerbricht Neue Visionen Filmverleih
„Wenn das Licht zerbricht" erzählt seine kleine, aber womöglich gerade deshalb tief berührende Geschichte zwischen zwei spektakulären Sonnenaufgängen.

Kaum 75 Minuten vergehen zwischen den Sonnenaufgängen, mit denen „Wenn das Licht zerbricht“ beginnt und endet. Nur 24 Stunden liegen dazwischen, ein Tag, in dem die Hauptfigur Una ein Wechselbad der Gefühle durchlebt, das sich fast ausschließlich auf dem markanten Gesicht der Darstellerin Elín Hall abspielt. Schon als sie mit anderen Freunden von Diddi im Krankenhaus von Reykjavik, wo die vielen Opfer des Unglücks eingeliefert wurden, auf Nachrichten wartet, muss sie ihre Emotionen unterdrücken. Wie sehr soll sie sich über eine Nachricht freuen, die kurzzeitig darauf hindeutet, dass sich Diddi vielleicht doch nicht unter den Opfern befindet? Welcher Ausdruck der Emotion ist akzeptabel, welcher wäre zu viel und würde verraten, dass er mehr als nur ein Freund war?

Immer wieder filmen Rúnarsson und seine Kamerafrau Sophia Olsson Una durch Scheiben, isolieren sie im Raum, auch wenn sie eigentlich nicht allein ist. In einer kleinen Gesellschaft wie Island, mit ihren kaum 400.000 Einwohner*innen, kennt fast jeder jeden, da eine Beziehung zu verheimlichen, ist keine einfache Angelegenheit. Zugespitzt wird die Situation schließlich durch die Ankunft von Klara, Diddis langjähriger Freundin, die nichts ahnt, zumindest zunächst nicht. Sie ist ein ganz anderer Typ als Una, viel offener, zugänglicher – und sie wird von den gemeinsamen Freund*innen in einer Weise getröstet, wie es Una auch gerne hätte, wie es aber nicht möglich ist.

Die Beziehung zwischen Una (Elín Hall) und Klara (Katla Njálsdóttir) entwickelt sich ganz anderes als erwartet – „Wenn das Licht zerbricht“ setzt auf leise Annäherung statt auf lauten Knall! Neue Visionen Filmverleih
Die Beziehung zwischen Una (Elín Hall) und Klara (Katla Njálsdóttir) entwickelt sich ganz anderes als erwartet – „Wenn das Licht zerbricht“ setzt auf leise Annäherung statt auf lauten Knall!

Auch wenn Rúnarsson mit dieser Konstellation die Basis für ein emotionales Melodram legt, das zunächst auf einen großen Eklat zwischen Diddis langjähriger und seiner neuen Freundin zu zurasen scheint, entwickelt sich „Wenn das Licht zerbricht“ doch auf viel subtilere, feinsinnigere Weise fort: Mit kleinen Hinweisen arbeitet Rúnarsson, wenn sich etwa Diddi und Una anfangs seine Zahnbürste teilen und dann viel später, als Una und Klara im selben Bad stehen, Una zögert, wie sie ihre Zähne putzen soll und statt dann doch lieber einen Finger benutzt.

Und dann sind da noch die Schuhe, ihre eigenen Doc Martens und Diddis Laufschuhe, die Una wechselt und sich später dadurch vielleicht verrät. Doch ob Klara am Ende mehr als eine Ahnung von der wahren Beziehung zwischen Una und Diddi hat, darum geht es längst nicht mehr. Im Laufe des Tages entsteht eine ganz besondere Nähe zwischen den beiden Frauen, die nicht von Verdächtigungen oder Eifersucht geprägt ist, sondern von einem gemeinsamen Gefühl der Trauer.

Fazit: Mit nicht einmal 80 Minuten Länge und seiner nur 24 Stunden umfassenden Geschichte wirkt Rúnar Rúnarssons „Wenn das Licht zerbricht“ fast wie eine Vignette. Doch in der Kürze der Zeit gelingt dem isländischen Regisseur mit ausdrucksstarken Bildern und einer subtil spielenden Hauptdarstellerin ein wunderbarer, kleiner Film über den Umgang mit Trauer und dem Verlust der ersten großen Liebe.

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