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    The Five Obstructions
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Five Obstructions
    Von Stefan Ludwig

    „The Perfect Human“ ist ein zwölfminütiger Kurzfilm, einer der ersten Filme von Jørgen Leth. Er ist absolut minimalistisch: In einem völlig weißen Raum, der dem Grundprogramm der Matrix verblüffend ähnelt, werden abwechselnd ein Mann und eine Frau gezeigt. Immer wieder wird auf einzelne Körperteile gezoomt, ein Kommentator spricht dabei „ein Mund“, „ein Auge“. Dann bekommt der Zuschauer einfache Tätigkeiten des „perfekten Menschen“ zu sehen. Dabei weist der Kommentar den Zuschauer an. „Here is an eye. Look at this human’s eye“. „Look, the perfect human moving into a room.“ Pfeife rauchen, rasieren, essen, ausziehen, tanzen springen – solches ist vom „perfekten Menschen“ zu sehen. Der Kommentator stellt dazu Fragen wie „Yes, there he is. Who is he? What can he do?“, auf die es keine tatsächlichen Antwort gibt.

    Dieser Film hat es Lars von Trier angetan, der ihn nach eigenen Angaben zwanzig Mal gesehen hat. Er bat den Regisseur dieses faszinierenden Kurzfilms dazu, sich für „The Five Obstructions“ auf ein Experiment einzulassen. So sollte er die Urversion von „The Perfect Human“ aus dem Jahre 1967 mehrmals erneut drehen, allerdings machte ihm Trier dabei bestimmte Einschränkungen. Damit wollte er seinen ehemaligen Lehrer Leth aus der Reserve locken, ihm neue Vorgehensweisen aufzwingen. Er nennt es im Film eine Therapie, er möchte Leth genau genommen dazu bringen, die Perfektion des ursprünglichen Films zu vernichten. Doch Leth ist clever genug, die vermeintlichen Hindernisse als Herausforderungen an die eigenen künstlerischen Fähigkeiten zu begreifen und zaubert verblüffende Effekte auf die Leinwand.

    Der Absolvent der dänischen Filmschule Lars von Trier gilt als der Kopf der aktuellen Filmflut aus Dänemark. 1995 unterzeichnet er gemeinsam mit drei weiteren Regisseuren aus dem deutschen Nachbarland sein „Dogma“, das sich für Kino ohne Effekte und technische Raffinessen einsetzt, um damit der zunehmenden Wirklichkeitsentfremdung des Films entgegenzuwirken. Zuletzt machte er durch die beiden ersten Teile seiner USA-Trilogie („Dogville“, „Manderlay“) auf sich aufmerksam, die praktisch ohne Kulisse auskommen.

    Die erste Obstruktion ist der Verzicht auf Kulisse und die Verwendung von bloß zwölf Bildern pro Einstellung, außerdem soll auf Kuba gedreht werden. Richtige Bewegung in den Bildern ist somit unmöglich, doch genau das nutzt Jørgen Leth für seine Zwecke, indem er die abgehackten Bilder äußert geschickt aneinanderreiht – es ergibt sich eine sehenswerte Collage aus abgehackten Einzelstücken. Die zweite Vorgabe baut dann auf dieser Lösung des Problems auf: Leth soll am elendigsten Ort der Welt drehen, den er selbst bestimmen kann. Paradoxerweise soll dieser dann allerdings im Film nicht zu sehen sein. Leth fällt eine „Interpretation“ der Ausschließung der Umgebung ein, die seinen Freund Lars gehörig auf die Palme bringt.

    So geht es weiter, Leth ist viel zu gerissen, um sich tatsächlich zur Marionette Triers machen zu lassen. Stattdessen gibt er sich zwar in dessen Obhut, lässt sich aber nicht – wie beabsichtigt – zum Scheitern bringen. Gezeigt werden im Film sowohl die fünf entstandenen Kurzfilme als auch zahlreiche Gespräche zwischen Trier und Leth, in denen Trier die Aufgaben bekannt gibt und Leth seine Filme präsentiert. Zwischendurch kommt es zu kurzen Einspielungen des Originals von 1967.

    Das Ergebnis dieser experimentellen Dokumentation ist hochgradig interessant. Jørgen Leth, der inzwischen auf Haiti lebt und unter Depressionen leidet, schafft es ausgezeichnet zu vermeiden, sich von seinem ehemaligen Schüler vorführen zu lassen. Mit großer Gelassenheit scheint er die Sache geschehen zu lassen, während Trier verbissen versucht, ihm eins auszuwischen. Besonders unter Kenntnis des Originalkurzfilms, das auf der Kauf-DVD enthalten ist, machen die neuen Versionen Spaß. Die Gespräche zeigen einen verschmitzten und nicht selten fiesen Lars von Trier, der mit „The Five Obstructions“ gemeinsam mit Leth wieder einmal ein intelligentes und dabei spannendes Kino produziert hat, das er hier ganz locker aus dem Ärmel zu schütteln scheint.

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