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    Crossing the bridge - the sound of Istanbul
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Crossing the bridge - the sound of Istanbul
    Von Lars Lachmann

    Während der Dreharbeiten zu Fatih Akins erfolgreichem Drama „Gegen die Wand“ in Istanbul begleitete Alexander Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten, das Filmteam, um vor Ort die passende Musik für den Soundtrack des Films aufzunehmen. Von der musikalischen Vielfalt der Stadt verzaubert, entpuppte sich die Arbeit an diesem Projekt für ihn als Offenbarung – die Idee war geboren, eine umfangreiche Dokumentation über die Musik der Metropole am Bosporus zu drehen: „Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul“.

    Konfuzius sagt:

    Wenn ihr einen Ort besucht

    und wissen wollt, welche Kultur dort herrscht,

    welche Tiefen und Oberflächlichkeiten dort vorhanden sind,

    dann hört euch die Musik an, die dort gemacht wird.

    Ihr werdet alles über diesen Ort erfahren.

    Gesagt – getan, ausgerüstet mit den entsprechenden Aufnahmegeräten, mehreren Festplatten sowie einem Laptop inklusive Software zur digitalen Bearbeitung begeben sich Alexander Hacke und Fatih Akin, der ihn mit der Kamera begleitet, auf eine musikalische Odyssee durch die Straßen, Studios und Clubs von Istanbul.

    Die Musik fungiert mitunter sogar als lingua franca, welcher sich Hacke zur Verständigung mit den Einheimischen bedient. Wörtlich zu nehmen ist dies vor allem beim Austausch mit der Gruppe Baba Zula, die zurzeit ohne eigenen Bassisten auskommen muss – eine Gelegenheit (oder war es Vorhersehung?) für Hacke, diesen Platz vorübergehend auszufüllen und den Sound der psychedelischen Folkband aktiv am eigenen Leibe zu erfahren. Doch selbst die Sprache der Musik hat ihre Dialekte und Varianten: Zusätzlich zu den in der westlichen Musik vorherrschenden Zwei-, Drei-, oder Vier-Viertel-Takten zeichnet sich die Musik der Türkei durch das zusätzliche, prägende Element des 5/8-Takts aus, das für unsere Hörgewohnheiten zunächst etwas fremdartig klingen mag. Dieses Phänomen wird auch als „türkische Synkope“ in der Musik bezeichnet. Vielleicht, um das ausländische Publikum etwas sanfter an diese Klangwelt heranzuführen, werden anfangs die zwar weniger sanften, dafür aber Geschmacksgrenzen eher überbrückenden Rock- und Punkbands wie Duman (was soviel wie „Rauch“ bedeutet) und die Replikas vorgestellt. Vorbild für beide ist die türkische Rocklegende Erkin Koray, der Zeit seines Lebens gegen den Strom geschwommen ist und im Interview reflektiert, er sei vielleicht etwas zu abgefahren für die türkischen Geschmäcker. Was ihn nicht daran hindert, bei seinen Auftritten nach wie vor ganze Stadien mit Fans jeden Alters zu füllen.

    Auch eine HipHop-Szene gibt es in Istanbul, repräsentiert am Beispiel der Gruppe Ceza, die sich bewusst vom „amerikanischen Gangsta-Rap“ distanziert. Nun ja, eingedenk der Tatsache, dass die oft ins Polemische gehenden Abgrenzungen zu anderen, Musikgruppen und -richtungen, die auch in den Lyrics immanent sind, geradezu charakteristisch für die Künstler dieser Musikrichtung zu sein scheint, macht sie nicht zuletzt diese attitude erst zu waschechten HipHoppern. Und bei dem Hochgeschwindigkeits-Rap, mit dem Ceza an den Start geht, macht ihnen auch so schnell keiner etwas vor! Wo kommt bloß die Luft her, mit der die zahlreichen Konsonanten pro Sekunde von den Lippen ins Mikro befördert werden? Ein Lächeln mag so manchem Zuschauer beim Interview mit dem Vater eines HipHoppers über die Lippen gehen, wenn dieser erzählt, dass er mit dieser Musikrichtung ursprünglich gar nichts anfangen konnte: „Das ist doch eher Rumgeschnacke als Musik“, mittlerweile jedoch über seinen Sohn einen Zugang gefunden habe und nun sogar der Meinung ist, dieser Stil sei eine Bereicherung für die türkische Kultur.

    Ein Brückenschlag aus der entgegen gesetzten Richtung hat sich bei der Kanadierin Brenna MacCrimmon ereignet, die während einer Reise ihre Leidenschaft für traditionelle türkische Folklore entdeckt hat. Mittlerweile hat sie in Istanbul eine musikalische Heimat gefunden, spricht und singt fließend Türkisch. Ein Mitglied ihrer Band ist der Flötist Selim Sesler, den Alexander Hacke auf einen Abstecher in dessen westlich von Istanbul gelegene Heimatstadt begleitet. Dort bilden die Roma einen großen Anteil der Bevölkerung und in diese Richtung geht auch der musikalische Einfluss, welcher eindrucksvoll während einer Jam-Session in einer der örtlichen Kneipen zum Ausdruck kommt.

    Eine weitere Facette traditioneller Folklore repräsentiert die charismatische kurdische Sängerin Aynur. Bis 1990 war die kurdische Sprache als Bestandteil dieser Kultur in der Türkei verboten, und erst seit kurzem werden kurdische Lieder sogar öffentlich in Rundfunk und Fernsehen gesendet. Doch bis dahin hat sich die ausdrucksstarke Künstlerin immer wieder mit massiven Widerständen bei öffentlichen Auftritten auseinander setzen müssen. Für mehr Toleranz sprechen sich auch die idealistischen Mitglieder der Gruppe Siyasiya aus, die ihren künstlerischen Ausdruck in der Straßenmusik gefunden haben und sich bewusst dem „künstlichen“ kommerziellen Weg über Plattenlabels und Konzerte verweigern, um ihr Publikum zu erreichen. Wie zum Beispiel die türkische Musik- und Filmikone Orhan Genecebay, der die „Arabesque“, den Einfluss der arabischen Folklore für sich entdeckt hat und in seine Kompositionen einbaut. Oder nicht zuletzt die Diva Sezen Aksu, die auch „Die Stimme Istanbuls“ genannt wird.

    Fatih Akin hat sich mit „Crossing The Bridge“ den Traum erfüllt, eine eindrucksvolle Dokumentation über Istanbul zu erschaffen, das für ihn die Stadt sei, welche für andere vielleicht Paris, Rom oder New York repräsentieren mögen. Beim Porträtieren der einzelnen Künstler und Bands sind ihm dabei großartige dokumentarische Momente gelungen – besonders bei einigen Nahaufnahmen springt die Intensität der Darbietung unmittelbar auf das Publikum über. Ansonsten verbleibt Akin selbst während des gesamten Films im Hintergrund und überlässt es Alexander Hacke, den Zuschauer bei der Hand zu nehmen und mit ihm als „Neuling“ die Wunder und die Magie dieser Metropole zu erkunden. Dabei vermögen dessen Beobachtungen, Berichte und Kommentare die geballte Dichte der verschiedenen Eindrücke auf eine angenehme und frische Art aufzulockern. Das Einspielen von Zeitdokumenten aus den Tagen der großen Künstler wie z. B. Orhan Genecebay oder Müzeyyen Senar verleiht dem Ganzen eine zusätzliche, historische Tiefe.

    Nicht oft vermag es ein Film, dem Publikum, in diesem Fall sogar nach dem liebevoll gestalteten Abspann, einen Applaus zu entlocken – in diesem Fall hat er ihn sich redlich verdient! „Crossing The Bridge“ ist eine Liebeserklärung nicht nur an Istanbul, sondern an die Musik überhaupt, und auch auf technischer Ebene ein Meisterwerk des Dokumentarfilms. Aus diesem Grund sei diese Perle nicht nur kulturell an der Türkei Interessierten, sondern darüber hinaus auch jedem Musikliebhaber wärmstens ans Herz gelegt.

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