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    Hurensohn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Hurensohn
    Von Nicole Kühn

    Schön ist sie, die Mutter von Ozren (Stanislav Lisnic). Die schönste Frau der Welt! Und, wie es sich für wahre und große Schönheiten gehört, sie ist unnahbar. Kaum ist der Junge den Windeln entwachsen, muss die Alleinerziehende, die aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Wien emigriert ist, für Geld sorgen. Abends hüllt Silvija (Chulpan Khamatova) ihren makellosen Körper in knappe Kleider, verwandelt ihr oft müdes Gesicht in eine strahlende Verführung und lässt Ozren allein zu Hause. Nur manchmal bringt sie Männer mit in die enge Wohnung, die ihr Geld geben – einfach weil sie so unglaublich schön ist, wie ihr Sohn glaubt. Ein Hurensohn, wie ihn die anderen Kinder beschimpfen, ihn, der keine Ahnung davon hat, was dieses Wort überhaupt bedeutet. Wie in einem dicken Wattebausch wächst der sensible Junge in einem zwielichtigen Milieu heran: Die Realität seiner Umgebung wird ihm nur schemenhaft wahrnehmbar, nur manchmal durchstößt ein heftiges Ereignis die Barriere des Schweigens und trifft ihn unvermutet hart. Silvija verhält sich, als sei ihr Bezug zu Ozren dem zu einem zugelaufenen Hund gleich. Konsequent verweigert sie ihm jede emotionale Verbundenheit und versteckt sich hinter Lack, Leder und langen Wimpern.

    So bleibt sie für den Heranwachsenden eine fremde Frau, zu der er sich hingezogen fühlt wie zu einer mystischen, unerreichbaren Gestalt. Echte Fürsorge findet er bei seinem Onkel Adi (Miki Manojlovic) und dessen gottesfürchtiger Frau Ljilana (Ina Gogálová), die in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Einfallsreichtum versuchen, ihm das Zuhause zu ersetzen, das ihm seine Mutter nicht gibt. Zur Offenheit fehlt auch ihnen jedoch der Mut, so dass Ozren sich in seiner Sonderlingrolle so gut wie möglich einrichtet und beginnt, sich allein zurecht zu finden. Als die Mutter die gemeinsame Wohnung verlässt, ohne eine neue Adresse oder Telefonnummer zu hinterlassen, sucht der 16-Jährige, die Geheimnisse der Frau als solcher auf anderem Wege zu lüften und hilft im Bordell in direkter Nachbarschaft. Inmitten dieser geballten und direkten Sinnlichkeit wollen ihm die wohlmeinenden Damen einen Zugang zu seinem Sexualleben eröffnen. Je mehr sie ihm aber ihre dralle Körperlichkeit aufdrängen, desto mehr verklärt er seine kontrolliert wirkende Mutter, die jetzt dazu noch eine „Geheime“ ist, wie er von ihren ehemaligen Kolleginnen erfährt. Tatsächlich hat sie das System begriffen und sich hochgearbeitet zur Edelprostituierten...

    Regisseur Michael Sturminger zeichnet schonungslos, aber ohne Verurteilungen die Unfähigkeit einer Frau nach, sich emotional zu öffnen. Dass sie sich in dieser Hinsicht auch Ozren, ihrem eigenen Fleisch und Blut, verweigert, macht die Distanz deutlich, die sie auch sich selbst gegenüber beibehält. Streng nach den Notwendigkeiten ihres nicht eben als erfüllend zu bezeichnenden Lebens tut sie, was getan werden muss – ohne kaum mit der Wimper zu zucken. Leistungen werden gegen Geld erbracht, wo nichts zu holen ist, da gibt man auch nichts. So einfach ist das im Kapitalismus, mag es einem nun gefallen oder nicht. Die Russin Chulpan Khamatova beweist in dieser Rolle die große Bandbreite, die sich hinter ihrem zierlichen und fast unbedarft wirkenden Äußeren verbirgt. War sie in „Tuvalu“ das im besten Sinne naive Kind in einem traurigen Märchenland, so gibt sie jetzt glaubwürdig die unterkühlte Diva, deren Verletzlichkeit nur in seltenen und kurzen Momenten durchscheint und sich ansonsten den unbarmherzigen Realitäten unterwirft.

    Wir erfahren kaum etwas Persönliches von dieser Frau, und damit stellt der Regisseur uns an die Seite des Sohnes. Seine mannigfaltigen Versuche, Aufmerksamkeit von seiner Mutter zu erheischen, gehen so ins Leere, dass er sie bald auf ein Minimum zurückfährt. Seinen Rückzug in eine resignative Wahrnehmung der Welt erlebt der Zuschauer direkt mit. Spätestens in seinen schüchternen Versuchen der Kontaktaufnahme zu einer stillen Klassenkameradin wird deutlich, dass sich die emotionalen Wunden vererbt haben und Ozren sich an einem echten Austausch mit anderen Menschen wird abarbeiten müssen – mit geringen Erfolgsaussichten. Für seine unsentimentale Darstellung des lakonischen Jungen wurde Stanislav Lisnic völlig zu Recht bereits mit Preisen als Nachwuchsdarsteller bedacht.

    Die Kamera von Jürgen Jürges nimmt das Auge des Betrachters mit in ein fast hermetisch von der Außenwelt abgeriegeltes Universum, voller intensiver Farben zwar, aber fast vollkommen frei von lebendiger Bewegtheit. Wie gebannt ruht der Blick auf der schönen Silvija, auf dem schmuddeligen Hinterhof des Bordells, dringt behutsam durch Gucklöcher ein in eine Welt, zu der es keinen Zugang zu geben scheint. In seinem unbehänden Gebaren erinnert Ozren ein wenig an Kaspar Hauser, der, aufgewachsen ohne jede menschliche Zuwendung, als tumber Tor durch die Welt gehen musste.

    Mit seiner ersten Regie-Arbeit für den Film hat der bisher im Opernbetrieb agierende Sturminger kein leichtes Sujet gewählt. Die entlastende Distanz, die der Erzähler im Roman schaffen kann, taucht hier nur stellenweise auf. So kommt die Erkenntnis der Unmöglichkeit einer Beziehung zwischen Mutter und Sohn, aber auch zwischen den Immigranten und den Einheimischen mit voller Wucht auf das Publikum zu. Dabei ist es gerade der Verzicht auf jedes Pathos, das die Erzählweise so eindringlich macht. Sturminger führt dies nicht als Intention an, aber vielleicht kann man die tragische Geschichte auch so interpretieren, dass die Mutter ein Osteuropa verkörpert, das sich rasant die Strategien des Kapitalismus zu eigen macht, dabei auch den Ausverkauf der eigenen inneren Werte in Kauf nimmt und seine Kinder mit einer Sehnsucht zurücklässt, die das schwindende Gefühl der Heimatverbundenheit mit Verklärung auffängt. Obwohl ganz realistisch in seinem Inhalt lässt „Hurensohn“ viel Raum für Interpretation, sofern die Phantasie nicht von der schwermütigen Stimmung des Films erdrückt wurde.

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