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    Der letzte Kuss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der letzte Kuss
    Von Jörn Schulz

    Keiner kommt ohne sie aus, irgendwie ist jeder auf der Suche nach ihr, doch letztlich kann keiner sie vernünftig erklären, denn sie ist rätselhaft und so viel mehr als Worte zu fassen im Stande wären. Die Rede ist natürlich von ... der Liebe. Kein Thema beschäftigt Filmemacher häufiger als das Wort mit den fünf Buchstaben. Auch Regisseur Tony Goldwyn (The L Word), der als Schauspieler u.a. in Last Samurai und The 6th Day zu sehen ist, hat zusammen mit Drehbuchautor Paul Haggis (Million Dollar Baby, L.A. Crash) eine Beziehungskomödie geschaffen, die vielen Menschen ab Mitte Zwanzig aus dem Herzen sprechen dürfte. „Der letzte Kuss“ erzählt wie himmlisch schön, wunderbar aufregend aber auch zutiefst schmerzhaft die Liebe in jungen Jahren sein kann, wie aber auch ältere und scheinbar etabliertere Jahrgänge noch immer von ihr und all ihren vielen Facetten berührt werden. Ganz gleich welchen Alters: Am Ende stehen alle vor demselben Problem: Entscheidungen müssen getroffen werden. Als Entscheidungshilfe trägt der Film sogar eine Botschaft in sich, die Halt und Orientierung in stürmischen Zeiten bietet.

    Das Leben des 29-jährigen Architekten Michael (Zach Braff) ist bis dato ganz gut verlaufen. Die Wogen der Teenagerzeit hat er längst hinter sich gelassen und seine Zeit auf dem College voll ausgekostet. Es sei sogar die beste Zeit seines Lebens gewesen, meint er. Genau das ist nun sein Problem. Innerlich zerrissen fragt er sich: War das alles? Dass seine Freundin Jenna (Jacinda Barrett), die er über alles zu lieben glaubt, ihm verkündet, sie sei im dritten Monat schwanger und wolle zusammen mit ihm ein Haus kaufen, macht Michaels Situation nicht einfacher. Kommen jetzt wirklich nur noch Frau, Kind, Job, Haus, Garten, Rente und dann der Tod? Die Vorstellung, sein Leben sei ab diesem Zeitpunkt gelaufen, lässt den Endzwanziger innerliche Höhlenqualen erleiden. Von seinen drei besten Freunden Chris (Casey Affleck), Izzy (Michael Weston) und Kenny (Eric Christian Olsen) kann er nicht viel Hilfe erwarten, denn die drei stecken tief in eigenen Beziehungsproblemen. Nebenbei haben auch Jennas Eltern Anna (Blythe Danner) und Stephen (Tom Wilkinson) – obwohl oder gerade weil schon seit 30 Jahren miteinander verheiratet – grundlegende Probleme und stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Ehe. Mitten im tiefsten Stimmungsloch wird Michael plötzlich von der kessen College-Biene Kim (Rachel Bilson) angebaggert und in Versuchung geführt. Ist das der richtige Ausweg? Erschwankt gewaltig zwischen der Liebe zu Jenna und dem Abenteuer. Sind die Hormone stärker als die Liebe oder umgekehrt? Oder gibt es gar einen Mittelweg?

    Wer sich im italienischen Kino auskennt, dem dürfte die Geschichte irgendwie bekannt vorkommen. Gab es da im Jahre 2001 nicht einen ganz ähnlichen Film mit einem ganz ähnlichen Titel? Richtig! Gabriele Muccinos Film „L’Ultimo Bacio“ (zu Deutsch: Ein letzter Kuss) ist Ursprung und Ideenpool des amerikanischen Remakes. Starke Ähnlichkeiten und Parallelen sind also durchaus beabsichtigt und legal, da sich die amerikanische Produktionsfirma Lakeshore die Rechte an der italienischen Liebekomödie gesichert hat. Auch wenn der amerikanischen Version der impulsiv südländische Charme, die italienische Mentalität und das Gefuchtel mit den Händen fehlt, so funktioniert die Verlagerung der Geschichte von Italien in den US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin ganz gut und zeugt davon, dass eine amerikanische Adaption eines europäischen Films wesentlich mehr Esprit haben kann, als ein halbherziger italienischer Episodenfilm über die Liebe, wie z.B. Giovanni Veronesis Handbuch der Liebe einer ist.

    Auch wenn „Der letzte Kuss“ vielerorts auf Stereotypen zurückgreift – Männer sind so und Frauen eben auch – so liegt in ihnen doch immer auch ein Quäntchen Wahrheit, was letztlich zur Folge hat, dass viele Zuschauer ab Mitte / Ende Zwanzig sich in den dargebotenen Charakteren wiedererkennen werden. Es ist dieses feinaustarierte Identifikationsmoment, das diese Liebekomödie zauberhaft goldig und süß, aber dennoch pikant wirken lässt. Und mit Zach Braff (Garden State) wurde ein durch und durch glaubwürdiger Darsteller gefunden, dem man die inneren Zweifel des Protagonisten vom Gesicht ablesen kann. Dieses sagt ständig: Warum bin ich so unlocker? Eigentlich müsste ich doch glücklich sein… Unweigerlich tauchen Assoziationen mit Stephen Frears ebenbürtiger Umsetzung von Nick Hornbys Bestseller High Fidelity auf. Und zugegeben: „Der letzte Kuss“ ist wie „High Fidelity“ sicher in weiten Zügen ein Männerfilm, ein Film über die Beziehungs- und Bindungsängste, die die Herren der Schöpfung früher oder später ereilen. Was aber nicht heißen soll, dass der Film für Frauen uninteressant wäre. Ganz im Gegenteil. Auf dem Terrain der überspitzen Komödie lassen sich garantiert so einige unausgesprochene Hindernisse zwischen Mann und Frau aushandeln.

    Was als Stärke des Films angesehen werden kann – seine Konzentration auf das Thema Partnerschaft – wird ihm im Mittelteil leider auch etwas zum Verhängnis. Leicht monoton und berechenbar ist Goldwyns Film hier geraten, denn in kaum einer Szene geht es nicht um Mann und Frau und deren Beziehung zueinander. Dabei bleibt etwas auf der Strecke, dass die Charaktere auch Jobs und ein alltägliches Leben haben. Selbst die Szenen in Michaels Arbeitsstätte, einem Architekturbüro, sind nur Transportmittel, um geheime Verabredungen und konspirative Abkommen mit seinem Kumpel Chris zu treffen. Auch macht es sich die Beziehungskomödie ziemlich leicht, da ein fast ausschließlich bürgerliches Milieu zum Schauplatz der Geschlechterkämpfe wird und außer den zwischenmenschlichen kaum andere Probleme bestehen. Dadurch wirkt der Film gelegentlich zu glatt, nicht nah genug am Leben dran. Zwei dicke Pluspunkte jedoch müssen noch vergeben werden: einen für den subtilen Humor, auf dem die gesamte Komödie basiert und der nur gelegentlich von beabsichtigten Lachsalven auf die Spitze getrieben wird und einen zweiten für den poppig coolen Soundtrack und die Filmmusik, die mehrheitlich auf den Musiker Michael Penn zurückzuführen ist, der auch schon die Musik zu Boogie Nights komponierte.

    Mit „Der letzte Kuss“ legen Regisseur Tony Goldwyn, Drehbuchautor Paul Haggis und das Produzententeam um Tom Rosenberg („Million Dollar Baby“; Der Exorzismus von Emily Rose, Underworld: Evolution) eine herzliche Beziehungskomödie über das Erwachsenwerden vor, die Anhaltspunkte zum Nachdenken gibt. Mit der Empfehlung von Jennas Vater – der nicht zufällig Psychotherapeut ist – wird sogar eine wichtige und grundlegende Botschaft in Sachen Liebesbeziehung vermittelt. Sinngemäß lautet es: Was Du fühlst, ist nur in Dir drin, nur Deine gelebte Realität. Einzig was Du tust oder eben unterlässt, stellt Beziehung zu anderen Menschen her und ist somit wichtig. Oder wie Casanova schon einst meinte: Ohne Worte verliert die Liebe zwei Drittel ihres Reizes.

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