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    Tombstone
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tombstone
    Von Andreas R. Becker

    Das 20. Jahrhundert steht vor der Tür, der Wilde Westen präsentiert sich als eine Mischung aus Anarchie und beginnender Verstädterung und aufkeimender Zivilisation: Dies ist die Ära, in der Revolverhelden wie Wyatt Earp und sein Freund Doc Holliday zu Legenden wurden. Bereits dutzendfach verfilmt und zuvor schon von Hollywood-Titanen wie James Garner und Henry Fonda verkörpert, erlebte der toughe Westernheld Earp in den 90er Jahren eine erneute Leinwand-Renaissance. Das Skript zu „Tombstone“ gelangte zunächst in die Hände von Kevin Costner, der sich jedoch mit Drehbuchautor Kevin Jarre auf keinen gemeinsamen Nenner einigen konnte, weil Costner den Schwerpunkt unbedingt deutlicher auf Wyatt Earp legen wollte. Deshalb entschied der Superstar, kurzerhand selbst einen Film über diesen Stoff zu produzieren, der unter dem bündigen Titel „Wyatt Earp“ 1994 ein halbes Jahr nach „Tombstone“ in den Kinos startete. Kurt Russell zeigte sich hingegen sofort von Kevin Jarres ursprünglicher Drehbuchfassung begeistert und übernahm deshalb statt Costner die Hauptrolle. Das Rennen an den US-Kinokassen konnte dann Russell auch für sich entscheiden: Zwar wurde „Tombstone“ kein Riesenerfolg, doch „Wyatt Earp“, der in den USA nicht einmal die Hälfte seines Budgets wieder einspielte, schlug er dort doch deutlich (in Deutschland war Costners Film erfolgreicher). So gehört „Tombstone“ zu den besten Western der 90er Jahre – ist schön anzusehen, packend bis zum Schluss und stark besetzt: Vor allem Val Kilmer glänzt als Doc Holliday in der Rolle seines Lebens.

    „Tombstone“ beginnt mit der selbstgewählten Rentnerwerdung des Helden Wyatt Earp (Kurt Russell, Death Proof, Die Klapperschlange). Gemeinsam mit seinen Brüdern Virgil (Sam Elliott, Hulk) und Morgan (Bill Paxton, Apollo 13) sowie deren Ehefrauen plant er, sich in der Goldgräberstadt Tombstone zur Ruhe zu setzen. Kurz nach ihrer Ankunft trifft Earp auf seinen alten Freund Doc Holliday (Val Kilmer, Kiss, Kiss, Bang, Bang, The Doors). Dieser ist schwer an Tuberkulose erkrankt und hält sich und seine bessere Hälfte Kate (Joanna Pacula) als Trickbetrüger und Revolverheld über Wasser. Die Gebrüder Earp schaffen es innerhalb kürzester Zeit, sich einen Teil des örtlichen Glücksspielgeschäfts unter den Nagel zu reißen und sich so ein Auskommen zu sichern. Dabei geraten sie jedoch mit den „Cowboys“ aneinander – einer organisierten Bande von gewinnsüchtigen Gaunern, die die Stadt mit ihren skrupellosen Verbrechen in Atem hält. Ihr Erkennungsmerkmal ist eine feuerrote, um die Hüfte gebundene Schärpe (die die realen „Cowboys“ übrigens nie getragen haben).

    Wie so oft ist es auch hier eine Verkettung unglücklicher Zufälle, die sich addieren und so die anfängliche Idylle der Gebrüder Earp schnell ins Wanken bringen. Eine explosive Mischung aus alkoholbedingtem Testosteron, Prinzipientreue, Loyalität und überkochenden Hormonen sorgt schließlich dafür, dass sich Wyatt Earp, seine Brüder und Doc Holliday zusammenraufen und gemeinsam gegen das Unrecht zu Felde ziehen. Offiziell wird der Krieg zwischen den Lagern während der historischen Schießerei am „O.K. Corral“, einer leerstehenden Fläche im damaligen Tombstone. An dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass die Hollywood-typische Einteilung der Lager in „gut“ und „böse“ historisch wohl nicht ganz so eindeutig war, wie uns dies „Tombstone“ und andere Verfilmungen der Legende mit ihrer verklärenden Wild-West-Romantik weismachen wollen. So waren beispielsweise die „Cowboys“ bei der Bevölkerung gar nicht mal so unbeliebt. Sicher waren sie in Delikte wie Diebstahl und Raub verwickelt, doch hielten sie durch das Verprassen ihrer Beute paradoxerweise auch die lokale Wirtschaft am Laufen. Außerdem waren sie wahrscheinlich ein eher loser Verbund von Banditen, und keine kriminelle Organisation, wie es im Film dargestellt wird. Umgekehrt ist historisch keinesfalls eindeutig überliefert, dass Earp & Co. tatsächlich so tugendhaft waren. So wendet auch Wyatt durchaus Gewalt an, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen – nur werden diese Ausbrüche in „Tombstone“ dank narrativer Kniffe geschickt legitimiert. Daneben gibt es Vermutungen, die Gebrüder Earp hätten ihre gesetzliche Vormachtstellung ausgenutzt, um ihre Glücksspielgewinne – vielleicht sogar mit Hilfe der „Cowboys“ selbst - zu maximieren. [1]

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    Wie dem auch sei: Der Kampf zwischen Recht und Unrecht schaukelt sich immer weiter auf, bis schließlich Earps eiserner Hass heraufbeschworen ist, vor dem es kein Entrinnen gibt. Dieser Pfad zu Ordnung und Gerechtigkeit wird von einer Reihe schöner, wild-west-romantischer Bilder gesäumt, die dem Auge einfach gut tun. Dazu ertönt ein manchmal treibender, manchmal aber auch schmalziger Score, der das audiovisuelle Gesamtpaket abrundet. Wenn Recht gegen Unrecht kämpft, sind es natürlich nicht nur die abgefeuerten Waffen, sondern immer auch die markigen Sprüche, rhetorischen Pointen und verbalen Schlagabtäusche, die das Publikum unterhalten. Von solchen hat „Tombstone“ glücklicherweise mehr als reichlich auf Lager.

    Kurt Russell mimt den nur einfach gebildeten und unnahbaren Gefühlsklotz mit eingebautem Gerechtigkeitssinn, dessen coole Lässigkeit nur von der bezaubernden Wanderschauspielerin Josephine Marcus (Dana Delany) durchbrochen werden kann. Die Show wird Russell jedoch von dem großartig aufspielenden Val Kilmer gestohlen, der Doc Holliday und dessen intellektueller Schlagfertigkeit zu einer faszinierenden Authentizität verhilft. Nicht nur am Colt pfeilschnell, sondern auch mit Totschlagargumenten, lateinischer Rhetorik und prägnanten Lebensweisheiten bewaffnet, befindet sich Holliday in einem steten Messen mit seinem Feind Johnny Ringo (Michael Biehn, The Rock). Den sicheren Tod im fahlen Angesicht, verliert der Doc im Gegensatz zu Wyatt übrigens niemals die Fassung. Stattdessen treibt er seine Widersacher mit geschliffenem Zynismus auf dem Niveau klassischer Weltliteratur glatt zur Weißglut. Einfach phänomenal!

    Obwohl die Handlung von „Tombstone“ im Großen und Ganzen durchaus vorhersehbar ist, nimmt dies dem überlangen Film erstaunlich wenig von seiner Spannung. Dafür sorgen auch die vielen kleinen Nebenplots, die immer wieder für Stimmung sorgen und für die Kurt Russell angeblich sogar freiwillig auf eigene Leinwandzeit verzichtete. Dank des hervorragenden Casts wirken alle Charaktere trotz – oder wegen – ihrer leichten Überspitzung authentisch und sind auf ihre eigene Weise interessant, auch wenn Val Kilmers Performance mit einigem Abstand am meisten begeistert.

    Fazit: „Tombstone“ ist ein moderner Hollywood-Western nach Maß. Trotz seines vergleichsweise geringen Budgets liefert er Wild-West-Unterhaltung auf hohem Niveau. Zwar wurde aus Gründen der Legendenbildung mit historischen Begebenheiten teilweise sehr frei umgegangen, dafür aber eine ideale Mischung aus Action, Romantik und Dialogwitz erreicht. Dieser Mix macht auch heute noch richtig Laune – nicht mehr, aber auch keinen Deut weniger.

    [1] Siehe hierzu: http://de.wikipedia.org/wiki/Tombstone_%281993%29

    Über weitere historische Unstimmigkeiten im Film beziehungsweise das Leben von Wyatt Earp und die Ereignisse in Tombstone hält vor allem die englische Fassung von Wikipedia eine Reihe von weiteren interessanten Informationen bereit.

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