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    Comeback
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Comeback
    Von Christoph Petersen

    Die Fußstapfen von Sylvester Stallone, die in Bronze gegossen am oberen Ende der legendären Rocky-Steps in Philadelphia eingelassen sind, sind ihm zu klein. Jürgen „The Rock“ Hartenstein hat größere Füße als sein Idol. Und er besitzt einen ähnlich stark ausgeprägten Kampfgeist. 1998 wurde der Pfälzer Deutscher Meister im Supermittelgewicht, mittlerweile trainiert er auf einem kümmerlich eingerichteten Dachboden in München für sein Comeback, die vergangenen drei Jahre hat er sich als Türsteher durchgeschlagen. Der Hochschulabsolvent Maximilian Plettau stieß auf Hartenstein, als er mit einer neu entwickelten Zeitlupenkamera die Erschütterung eines menschlichen Körpers für eine Technikstudie festhalten wollte. Der junge Regisseur war von dem gealterten Box-Profi und seiner fast aussichtslosen Mission so fasziniert, dass er beschloss, Hartenstein weiter mit einer Kamera zu begleiten. Ein ganzes Jahr haben die Aufnahmen schließlich gedauert. Mit „Comeback“ ist dabei eine Dokumentation herausgekommen, die formal heraussticht (Deutscher Kamerapreis 2008) und in Sachen Atmosphäre die meisten Box-Spielfilme in die Tasche steckt.

    Hartenstein trainiert auf seinem staubigen Dachboden, putzt sich die Zähne, duscht – ohne ein einziges gesprochenes Wort zeugen diese ersten Szenen vor allem von einem, der visuellen Ausdruckskraft des Regisseurs. Mit üblichen Doku-Bildern hat dieser Einstieg nichts mehr zu tun, eher wähnt man sich in einem Film aus der „New Hollywood“-Ära. Die ersten fünf Minuten könnten genauso gut auch der Beginn eines 70er-Jahre-Films von Martin Scorsese („Alice lebt hier nicht mehr“) oder Jerry Schatzberg („The Panic In Needle Park“) sein. Natürlich hält „Comeback“ dieses hohe cineastische Niveau nicht ohne Unterbrechungen durch, immerhin ist er als Dokumentation nicht komplett durchinszeniert und muss auch auf äußere Umstände reagieren, doch seine Intensität und seine Unmittelbarkeit bewahrt sich der Film dennoch bis zum bitteren Ende.

    Immer wieder ruft Hartenstein aus einem Telefonshop, mit dessen Besitzer er offensichtlich schon Freundschaft geschlossen hat, in Amerika an. „Find some fight for me!“, bittet er. Die Stimme am anderen Ende der Leitung sagt, er solle doch eine E-Mail schicken. „German Ex-Champ wants to fight in the USA“, tippt Hartenstein ungeübt mit zwei Fingern. Als ihm dann endlich ein Kampf zugesagt wird, reißen die Telefonate jedoch nicht ab. Mehrmals ruft Hartenstein in Amerika an, um sich zu versichern, dass der Kampf noch steht. Trotz aller Zuversicht, die sich wie ein roter Faden durch seine Vorbereitung zieht, traut er dem Braten nicht so recht. In diesen Momenten bietet „Comeback“ nicht nur einen Einblick in ein unbekanntes Boxermilieu abseits der auf Eventqualitäten ausgerichteten RTL-Übertragungen, er entmystifiziert auch die auf Hochglanz polierten Großveranstaltungen und zeigt stattdessen den real deal.

    Aber auch abseits des Boxrings gewährt „Comeback“ spannende Einblicke in das Milieu von Hartenstein. Als er aus München in seinen pfälzischen Heimatort zurückkehrt, streift er durch sonnendurchflutete Kornfelder. Zum ersten Mal dominieren helle Farben die Bildgestaltung. Hier gilt nicht das Motto „Allein gegen alle“. Hier macht seine Mutter ihm Vorwürfe, weil er seine Kleidung beim Waschen nicht sortiert und deshalb die Farbe aus seinem Pullover rausgewaschen ist – bei ihr wäre das nicht passiert. Als im frisch renovierten Gym eine Scheibe eingeschlagen wird, meinen alle, dass es am besten sei, wenn man in Deutschland nichts eigenes besitzen würde, die anderen wären sowieso nur darauf aus, es zu zerstören. Stattdessen solle man erst gar nichts versuchen und gleich Sozialhilfe beziehen. Auch Hartenstein stimmt zu, nur um sich kurz darauf wieder voll in sein knallhartes Training zu schmeißen. Hartenstein ist ein Verlierer, der besser als viele Gewinner als Vorbild taugt, jemand, der aufgrund seiner Leidenschaft trotz seiner Niederlagen Hoffnung verbreitet.

    Würde die Story von „Comeback“ als Spielfilm umgesetzt werden, spränge dabei tatsächlich etwas im Stile von Rocky Balboa heraus. Plettau gelingt nämlich genau die Mischung aus Boxdrama und Sozialstudie, die das Rocky-Comeback 2007 so sehenswert machte. Nur den typischen Hollywood-Pathos und das konstruierte Happy End (schließlich muss sich sein Gegner erst die Hand brechen, damit Rocky überhaupt eine Chance hat) sucht man in „Comeback“ vergebens. Wenn Hartenstein schließlich in Philadelphia in den Ring steigt, ist man als Zuschauer voll dabei. Selten hat es ein Film geschafft, sein Publikum emotional so konsequent in einen Boxkampf hineinzuziehen. Das Gegröle der Fans wird ausgeblendet, dafür ertönt verstörende Elektromusik, die erste Runde des Fights zieht in Zeitlupe vorüber, so ist endlich mal wirklich zu erkennen, was im Ring abgeht. Allerdings tun die Kopftreffer dem Zuschauer dabei nur halb so doll weh wie die hilflos-enttäuschten Blicke des Protagonisten. Schon früh im Film wird klar, etwa wenn für Trainer Markus Kone 2000 Euro für neue Sandsäcke ein unüberwindbares Hindernis darstellen, dass hier nicht um fünf Millionen mehr oder weniger auf dem Bankkonto, sondern um Existenzen gekämpft wird. Die Emotionalität, die die letzten Szenen beim Publikum lostreten, zeigt, dass Plettau auch zuvor schon vieles richtig gemacht haben muss.

    Fazit: „Comeback“ erzählt die Geschichte eines Verlierers, der in den sympathisierenden Augen der Kamera zum Gewinner wird. Damit ist Maximilian Plettau ein beeindruckendes Doku-Debüt gelungen – formal brillant und von tiefen, ehrlichen Emotionen geprägt. „Such is life“ – mit dieser lakonischen Feststellung kommentiert Hartenstein die Doku über sein gescheitertes Comeback. Recht hat er, näher dran geht kaum noch.

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