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    Wie ein wilder Stier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Wie ein wilder Stier
    Von Ulrich Behrens

    „I'm a much better person today than I used to be. I really didn't care much about anyone. I was arrogant. I've mellowed with the years, thank God.” (Jake La Motta, *1921)

    In einem seiner Kämpfe gegen seinen Dauer-Gegner Sugar Ray Robinson (Johnny Barnes) steht Jake La Motta (Robert de Niro) an den Seilen, die Arme nach rechts und links ausgestreckt und lässt sich windelweich schlagen. „Hau zu!” fordert er seinen Gegner auf. „Aber du wirst mich nie zu Boden schlagen.” Die von Thelma Schoonmaker geschnittenen Box-Passagen des Films (sie erhielt neben de Niro einen Oscar) waren in der Geschichte des Box-Films etwas Neues. Die Kämpfe zwischen La Motta und seinen Gegnern Robinson, Janiro, Fox u.a. wurden innerhalb des Rings gedreht, zum Teil in Zeitlupe, und wirken derart realistisch, dass andere Boxer-Filme dagegen fast verblassen (für die Aufnahme der Boxszenen benötigte Scorsese zehn Wochen). Sie zeigen aber nicht nur realistisches Boxen, sondern auch – wie in der anfangs beschriebenen Szene –, dass „Raging Bull” in erster Linie das Psychogramm eines Mannes und weniger ein Film über das Boxen ist. La Motta lässt sich von Robinson schlagen, als wenn er sich selbst bestrafen wollte, ohne seinem Gegner den Erfolg zu gönnen, ihn am Boden zu sehen.

    Jack La Motta war neben Sugar Ray Robinson in den 40er und 50er Jahren einer der bekanntesten Boxer. Beider Duelle sind Legende geworden. La Motta war Weltmeister im Mittelgewicht von 1949 bis 1951. Der Film spielt zwischen 1941 und 1964 und basiert auf der 1970 erschienenen Autobiografie La Mottas. Robert de Niro trainierte mit La Motta ein Jahr lang täglich, um als Boxer überzeugend zu wirken. Für den letzten Teil des Films musste der Schauspieler in drei Monaten 50 Pfund zulegen, um den übergewichtigen La Motta in der Zeit nach seiner Boxkarriere darzustellen.

    Aufgewachsen in der Lower East Side in New York begann La Motta schon als Jugendlicher mit dem Boxen. Der Film setzt ein, kurz bevor er seine langjährige Frau Vickie (Cathy Moriarty) – gerade mal 15 Jahre alt – kennen lernt. Neben Vickie gibt es letztlich nur einen Menschen, der für La Motta eine Bedeutung hat: sein Bruder und Manager Joey (Joe Pesci). La Motta wächst (wie Scorsese) in Little Italy auf, und der Film schildert neben dem Boxen das soziale Milieu, in dem La Motta von Beginn an als ein Mann gezeigt wird, dessen Leben fast ausschließlich um ihn selbst kreist. La Motta schlägt seine Gegner nicht nur, er bekämpft sie, als ob er sie vernichten wollte. Vickie und Joey sind für ihn Mittel zum Zweck – sie sollen ihm dazu verhelfen zu siegen. La Motta ist unfähig, wirklich zu lieben. Er wird beherrscht von Eifersucht, der Unfähigkeit, jemandem wirklich zu vertrauen, und der Furcht vor Sexualität. Selbst gegenüber der Mafia bleibt La Motta starrsinnig. Die Angebote Tommy Comos (Nicholas Colasanto) und Salvys (Frank Vincent), ihn für sich boxen zu lassen, lehnt er ab. Die Mafiosi stellen ihn kalt: Er würde nie wieder gegen wirklich große Gegner boxen, wenn er nicht für sie arbeite.

    Scorsese vermeidet jegliche Glorifizierung des Boxsports. Der zum größten Teil in Schwarz-Weiß gedrehte Film (nur einige wenige Szenen sind in Farbe zu sehen) vermittelt die Atmosphäre der Zeit und die Härte und Gewalttätigkeit des Sports, der sozialen Umstände und der Person des Boxers. Michael Chapman fotografierte „Raging Bull” aber auch als eine Art Reminiszenz an das zeitgenössische Kino der 40er Jahre.

    Lediglich Joey, Jakes Bruder, wird als ein Mann gezeigt, der sich punktuell der Skrupellosigkeit zu entziehen versucht, aber letztlich auch scheitert. La Mottas Eifersucht und sein immer stärkeres Misstrauen seiner Frau und seinem Bruder gegenüber führt dazu, dass beide ihn verlassen. La Motta boxt sich in die Einsamkeit, und später (Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre) sieht man den übergewichtigen, fetten Ex-Boxer als gebrochenen Mann, der einmal Weltmeister im Boxen war, sein Leben allerdings verpfuscht hat. Sein Leben als Besitzer eines Night-Clubs und seine Auftritte in einem Strip-Lokal zeigen den Boxer als eine Karikatur seiner selbst.

    Einmal mehr erwies sich in „Raging Bull” die Zusammenarbeit zwischen Scorsese und de Niro als äußerst fruchtbar. Der Film zeigt den Ring nicht als vom übrigen Leben abgetrennten Bereich des Triumphs, des Erfolgs. Der Ring ist für La Motta sozusagen öffentlicher Ausdruck seiner brüchigen Persönlichkeit. Die Gewalt, die er insbesondere auch gegen seine Frau ausübt, weil er glaubt, sie betrüge ihn, setzt sich im Ring fort. Gewalt ist für ihn das einzige Mittel, sich gegenüber seiner Umwelt zu präsentieren, weil er nie mit sich selbst im Reinen ist. Roger Ebert vergleicht den Film und die überzeugende Rolle, die de Niro spielt, in seiner Besprechung mit Shakespeares Othello, „an Othello for our times”. Neben de Niro sind es Joe Pesci und Cathy Moriarty, die diese moderne Tragödie zu einem grandiosen Meisterwerk machen.

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