Mein Konto
    Der große Streik in Hollywood erklärt - folgen nun Katastrophen wie einst bei "James Bond"?
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Als zugelassener Rechtsanwalt interessiert sich Björn Becher auch für alle Filmthemen mit Jura-Bezug – von Justizfilmen über Fragen des Jugendschutzes bis hin Hollywoods Branchenprozessen.

    2007/2008 streikten zum letzten Mal die Autorinnen und Autoren in Hollywoods Film- und Fernsehindustrie – bis jetzt. Denn nun ist der neue Streik da – doch mit welchen Auswirkungen? Wir erklären euch die Lage.

    MGM

    Nach sechs Wochen intensiven Verhandlungen mit Hollywoods großen Studios und Firmen wie Warner, Disney, Sony, Paramount aber auch Netflix, Amazon und Apple über einen neuen Vertrag zur gerechten Bezahlung haben die Autor*innen-Gewerkschaften Hollywoods einstimmig entschieden, in den Streik zu treten. Das heißt: Ab sofort arbeiten keine in einer der Gewerkschaften organisierten Mitglieder mehr. Die direkten Auswirkungen sind im Talk-Show-Geschäft zu sehen. Ohne ihre Gag-Schreiber*innen gehen die sich auch solidarisch mit diesen zeigenden Hosts wie Jimmy Kimmel, Seth Meyers und Co. nicht mehr auf Sendung. Schon am heutigen 2. Mai 2023 fallen die Formate aus.

    Das betrifft viele von euch sicher noch nicht wirklich, doch der letzte große Streik, der von November 2007 bis Februar 2008 ging, war ein einschneidendes Erlebnis, welches die Branche erschütterte und auch auf viele Serien-Produktionen Auswirkungen hatte, die das Publikum spürte. Dauerbrenner wie die „CSI“-Titel bekamen nur halbe Staffeln, Hit-Serien wie „Breaking Bad“ oder „Lost“ mussten ihre Seasons vorzeitig beenden – nicht immer zum schlechtesten, wie eine berühmte „Breaking Bad“-Anekdote enthüllt: War es ursprünglich der Plan, dass Jesse Pinkman (Aaron Paul) im Finale der ersten Staffel stirbt, überdachte Drehbuchautor Vince Gilligan in der mehrmonatigen Zwangspause noch einmal das Schicksal der Figur.

    "Ein Quantum Trost" wurde vom letzten Streik "gefickt"

    Das bekannteste Opfer des damaligen Streiks ist aber ein „James Bond“-Film – und hier gab es auch keine Veränderung zum Guten. Drehbuchautor Paul Haggis wurde nach eigener Aussage zwei Stunden (!) vor dem Inkrafttreten des Streiks mit dem Skript zu „Ein Quantum Trost“ fertig – aber laut mehrerer Beteiligter war das nicht wirklich ein fertiges Drehbuch, sondern eigentlich eine Vorabversion, die noch viel Arbeit benötigte.

    Eigentlich hätte es bis zum Drehbeginn im Januar 2008 noch mehrere Wochen gegeben, um daran zu feilen. Doch das war durch den Streik nicht möglich. Obwohl das Drehbuch zu „Ein Quantum Trost“ so noch nicht wirklich fertig war, begann man mit dem Hauptdreh (nachdem im Sommer 2007 schon einige Massenszenen „auf Verdacht“ entstanden), denn alles war schon für diesen Terminplan in Stellung gebracht. Daniel Craig sagte später unverblümt: „Der Streik hat unseren Film gefickt!“ Weil kein Autor, keine Autorin Hand anlegen durfte, feilte er zwischen den Szenen immer selbst am Drehbuch, musste aber zugeben, dass das nicht seine Stärke war, er selbst so nur ein wenig retten konnte.

    Gibt es 2023 ein neues "Bond"-Desaster?

    Ob es auch dieses Mal wieder Desaster in der Folge des Streiks geben wird, die auch das Publikum bemerkt, ist unklar. Es scheint aber, dass Hollywood besser gerüstet ist, so gut es geht, vorgesorgt hat. Schließlich wurde schon seit mehreren Monaten erwartet, dass es im Mai 2023 zum Streik kommt. Hier wurde aus dem Beispiel „Ein Quantum Trost“ gelernt. Wer demnächst mit einem Filmdreh beginnt, dürfte das Drehbuch schon fertig haben. Wo die Drehbücher noch nicht fertig sind, wird man sich in Geduld üben müssen und mit dem Drehstart warten. Es wird also womöglich einige Verschiebungen geben. Je nach Dauer des Streiks können solche Verzögerungen aber natürlich Geld kosten oder dafür sorgen, dass Stars abspringen und sich Projekten widmen, die drehbereit sind.

    Selbst bei den Serien dürften die Auswirkungen erst einmal kleiner sein als noch vor 15 Jahren, wo dutzende Staffeln nach der Hälfte abgebrochen werden mussten. Die Produktionen der klassischen US-TV-Sender werden zwar oft nur wenige Wochen im Voraus produziert, was auch für Skripte gilt. Aber nur die Daily Soaps dürften wegen des Streiks bald das Ausstrahlen neuer Episoden einstellen müssen. Viele TV-Serien, die der regulären Saison-Ausstrahlung von Herbst bis Frühjahr folgen, sind bereits zu Ende produziert, weil sie jetzt sowieso bald in die Sommerpause gehen. Nur wenn der Streik länger dauert, könnte es hier zu Problemen in der Produktion für den Herbst 2023 kommen, was womöglich aber nicht wie damals Abbrüche, sondern nur Verschiebungen und spätere Serienstarts zur Folge hat. Auch könnte eine längere Pause natürlich dafür sorgen, dass die eine oder andere Sender-Führungskraft einen Moment länger darüber nachdenkt, ob Serie X wirklich fortgesetzt werden muss.

    Die größten Probleme haben womöglich noch Serien, die jetzt im Frühjahr und Sommer gedreht werden und nicht der klassischen TV-Saison folgen, zum Beispiel weil sie für Streamingdienste oder Pay-TV-Sender entstehen. Hier gehen die Verantwortlichen ein Risiko ein - selbst wenn sie mit (vermeintlich) fertigen Drehbüchern den Dreh starten. Denn normalerweise werden während des Drehs Skripte noch angepasst - das ist nun zumindest mit richtigen Autoren nicht möglich. Und wenn plötzlich die Stars wie einst Daniel Craig dafür ranmüssen, ist das sicher nicht die beste Wahl. Hier stehen die Verantwortlichen so schwierige Entscheidungen bevor. Verschieben und erst später drehen oder das Risiko eines Drehs eingehen, bei dem nichts mehr angepasst werden kann?

    Warum wird eigentlich gestreikt?

    Auch wenn der neue Streik womöglich geringere Auswirkungen auf uns Film- und Serienfans hat als der vor 15 Jahren, wird er in Hollywood einige Kosten verursachen. Das ist der Grund, warum die Gewerkschaften hoffen, dass die großen Studios und Streamingdienste einlenken und den Forderungen nachgeben. Doch was fordern die Autorinnen und Autoren eigentlich? Ihr Forderungskatalog ist natürlich sehr komplex und umfangreich, in Gänze hier nicht darzustellen, doch kurz gesagt: Es geht um eine gerechte Bezahlung im Streamingzeitalter.

    So geht es unter anderem um eine Anhebung der seit 15 Jahren unveränderten Untergrenzen für eine Bezahlung, die mindestens einer Angleichung an die Inflation entspricht. Es geht darum, dass die Mindestgrenzen für alle gelten – auch für Streamingproduktionen. Und es geht um einen Ausgleich für bei Streamingproduktionen fehlenden Residuals. Das sind zusätzliche Zahlungen, die Autor*innen für Wiederverwendungen oder Wiederholungen gezahlt werden. Wer einen Kinofilm geschrieben hat, bekommt noch mal Geld, wenn der Film später auf Blu-ray erscheint, an einen Streamingdienst veräußert wird und im TV läuft. Bei einem Netflix-Film fällt das aber weg – denn meist wird der für immer nur auf Netflix laufen, nie eine weitere Verwertungskette bekommen. Daneben geht es noch um den Umgang mit Künstlicher Intelligenz, die Beschäftigung von Autorenteams in sogenannten Writer's Rooms bei längeren Serien und Zahlungen in Pensions- und Krankenkasse.

    Es ist immer wieder auch zu lesen, dass theoretisch die Wirkung des Streiks verpuffen könnte, weil es junge, nach jeder Chance gierende Autor*innen gibt, die nicht in den Gewerkschaften organisiert sind, und einfach als Streikbrecher Projekte übernehmen könnten. Auch wenn es beim Streik 2007/2008 Einzelbeispiele davon gab, ist das sehr unwahrscheinlich, denn an solchen Projekten dürften sich kaum weitere Mitwirkende finden. Hollywoods verschiedene Gewerkschaften konkurrieren gerne, doch unterstützen sich in solchen Fragen. Wer in den anderen Gewerkschaften organisiert ist, wird nicht an einer Produktion mit Drehbüchern von Streikbrechern arbeiten wollen.

    Vor allem erklären sich auch zahlreiche Stars wie auch viele Regisseur*innen extrem solidarisch mit den Streikenden. Schließlich kennen viele von ihnen befreundete Autor*innen, die trotz regelmäßiger Beschäftigung ihre Miete nicht mehr zahlen können oder sich mit Zusatzjobs über Wasser halten müssen. Auch sie sind der Meinung, dass viele Autor*innen abgesehen von den großen, für die Blockbuster schreibenden Namen der Branche einen viel zu kleinen Anteil vom Hollywood-Kuchen abbekommen.

    facebook Tweet
    Ähnliche Nachrichten
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top