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    Kampf gegen Zensur: Darum mussten sich britische Jugendschützer zehn Stunden Farbe beim Trocknen anschauen

    Der Filmkritiker und Filmemacher Charlie Lyne ist ein Gegner, der in Großbritannien für die Altersfreigabe von Filmen zuständigen Behörde. Daher protestierte er nun auf gewitzte Weise gegen Zensur.

    Charlie Lyne

    Ähnlich der FSK in Deutschland gibt es auch in Großbritannien eine Einrichtung, die die Altersfreigabe für Filme festlegt. Charlie Lyne, der für seinen Experimentalfilm „Beyond Clueless“ mehrere Preise gewann, ist aber der Meinung, dass das British Board of Film Classification (früher: British Board of Film Censors) zu viel Macht hat. Die Einrichtung zensiere und verbanne Filme. Die Gesetzesregeln in Großbritannien stellen nämlich sicher, dass kein Film ohne Siegel des BBFC in die Kinos kommen kann oder auf DVD, Blu-ray etc. veröffentlicht wird.

    Filme wie der Blaxploitation-Reißer „Coffy“, die Horror-Klassiker „Das letzte Haus links“ und „Texas Chainsaw Massacre“ oder vor wenigen Jahren der Skandal-Schocker „The Human Centipede 2“ bekamen ursprünglich zum Beispiel keine Freigabe und konnten nur geschnitten veröffentlicht werden. Für Aufsehen sorgte daneben unter anderem eine Kontroverse um Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“. Der bekam für die Kinovorführung eine Freigabe, als es um die VHS-Veröffentlichung ging, verzögerte die BBFC eine Entscheidung aber über fast drei Jahre, weswegen der Film in dieser Zeit nicht in die britischen Videotheken gestellt werden konnte. Der britische Rechteinhaber brachte ihn daraufhin einfach noch einmal in die Kinos. Dafür hatte man schließlich eine Freigabe…

    Dagegen protestierte er nun gewitzt. Denn genauso wie jeder Filmemacher verpflichtet ist, seine Filme bei der BBFC einzureichen, wenn er sie im Kino zeigen will, sind die Prüfer verpflichtet, jeden Film von der ersten bis zur letzten Minute zu schauen. Und diesen Umstand machte sich Lyne zunutze. Eine Prüfung eines Films bei der BBFC kostet eine Grundgebühr von rund 100 britischen Pfund plus ca. sieben britische Pfund pro Minute Film. Via Kickstarter bat er daher um Spenden (dort gibt es auch ein Video zu dem Projekt). Je mehr Geld gespendet wurde, umso länger wurde sein Film. Und was filmte Lyne? Farbe beim Trocknen an einer Wand.

    Knapp 6.000 britische Pfund kamen zusammen – nach Abzug einiger Kosten wie Gebühren für Kickstarter blieb genug Geld übrig, um einen 607 Minuten langen Film einzureichen. Am 19. Januar 2016 übergab Lyne seine gut zehn Stunden Film, am 25. Januar 2016 schauten dann zwei Prüfer neun Stunden lang den ersten Teil. Da dies die Höchstgrenze ist, die sie an einem Tag prüfen dürfen, mussten sie sich die restlichen 67 Minuten am folgenden Tag zu Gemüte führen. Am heutigen 27. Januar 2016 konnte Lyne dann vermelden, dass er eine Freigabe bekommen hat. Sein Film ist – wenig überraschend – für alle Altersklassen freigegeben.

    Lyne hofft nun, dass seine für Aufsehen sorgende Aktion einen Denkprozess in Gang setzt. Er will damit erreichen, dass in Großbritannien die Vorführung ungeprüfter Filme nach dem Vorbild der USA möglich ist – halt mit entsprechendem Hinweis und nur für Erwachsene. In Deutschland besteht übrigens keine gesetzliche Vorlagepflicht, es heißt ja auch „Freiwillige Selbstkontrolle“. Allerdings haben die Verbände der deutschen Film-, Fernseh- und Videowirtschaft eine Selbstverpflichtung abgegeben, nach der sie keine Filme öffentlich anbieten, die nicht von der FSK geprüft werden. Ungeprüfte Filme können in Deutschland aber problemlos z. B. im Rahmen von Festivals oder besonderen Kinovorführungen gezeigt werden.

    Lyne will übrigens sein 10-Stunden-Epos mit dem passenden Titel „Paint Drying“ nun auch in einigen britischen Kinos zeigen und hofft, dass sich bald der ein oder andere Lichtspielhausbetreiber bei ihm meldet.

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