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    #WTF: Übers Ohr gehauen - Wie ein Kultregisseur heimlich mit dem Geld seines Produzenten noch einen zweiten Film drehte

    In unserer wöchentlichen Trivia-Serie #WTF rollen wir unglaubliche, absurde, überraschende oder auch einfach nur saulustige Geschichten aus der Welt des Films neu auf. Außerdem könnt ihr über die #WTF-Story der kommenden Woche selbst mit abstimmen!

    Der Schweizer Filmproduzent Erwin C. Dietrich prägte das deutsche Kino (vor allem in den 1960er und 1970er Jahren) nachhaltig und hat einen festen Platz in der Filmgeschichte. Dietrich war gewieft und erkannte, womit sich Geld verdienen ließ, was für lange Zeit vor allem Softsexfilme waren. „Die Nichten der Frau Oberst“, den Dietrich auch inszenierte, lockte zum Beispiel 1968 um die fünf Millionen Zuschauer in die Kinos und bescherte ihm den endgültigen Durchbruch. Nach Jahren im Exploitationbereich entdeckte er später auch die Söldnerfilme für sich und beteiligte sich z. B. finanziell an dem starbesetzen Kriegsdrama „Die Wildgänse kommen“, das zum großen Zahltag für ihn werden sollte. Während der Film in den USA floppte, wofür die internationalen Produzenten gerade stehen mussten, avancierte er in Deutschland nicht zur im Kino zum Hit, sondern Dietrich erkannte früh, dass die Zeichen 1978 auf Veränderungen standen und sicherte sich die Vermarktung in allen weiteren Medien (wie TV, Video etc.) zu. Doch selbst ein so gewiefter Produzent und Geschäftsmann begegnete eines Tages seinem Meister…

    Auftritt Jesús „Jess“ Franco. Der 1930 geborene und 2013 verstorbene spanische Filmregisseur ist eine der schillerndsten Figuren, die die Filmwelt je gesehen hat. Franco inszenierte in gut 50 Jahren mehr als 200 (!) Werke, vor allem Horror- und Sexfilme – gerne auch beides zusammen. Wenn TV-Sender wie arte Trash-Reihen machen, findet sich gewiss ein Franco-Film darunter. Der von der katholischen Kirche als „einer der gefährlichsten Filmemacher“ geadelte Franco arbeitete nicht nur mit Hochdruck, sondern auch sehr clever. Der B-Movie-Kultregisseur drehte nicht nur gerne zwei Filme gleichzeitig, sondern produzierte nebenbei auch mal noch ein paar Szenen auf Halde, die sich vielleicht später in einem dritten Film nutzen ließen. Da Franco oft unter Pseudonymen arbeitete, fiel das im Vor-Internet-Zeitalter nicht einmal groß auf.

    1975 schlug Franco bei Erwin C. Dietrich auf und man einigte sich auf eine Zusammenarbeit, nachdem der Regisseur dem Produzenten ein Drehbuch aus dem Genre vorgelegt hatte, das Franco damals schon zu einiger Berühmtheit verhalf: „Frauengefängnis“. Als Dietrich das Ergebnis sah, soll der hartgesottene Produzent schockiert gewesen sein, brachte den Film aber trotzdem ins Kino und verdiente kräftig Geld damit. Dabei beschiss man auch gerne die Zuschauer ein wenig, wird doch im Vorspann behauptet, dass Teile des Films in Honduras gedreht wurden. Klingt exotisch, ist aber erlogen, wäre das doch viel zu teuer gewesen. Doch auch Dietrich hatte anschließend das Gefühl beschissen geworden zu sein…

    Als Dietrich eine Filmmesse in Mailand besuchte und den Stand seines französischen Konkurrenzen Eurociné sah, muss ihm nämlich die Kinnlade ganz schön heruntergefallen sein. Mit „Women Behind Bars“ wurde dort ein Werk beworben, das seinem Film frappierend ähnelte: sein Regisseur, seine Darsteller und scheinbar dasselbe Setting. Kein Zufall! Franco hatte heimlich mit dem „Frauengefängnis“-Team und -Darstellern in denselben Kulissen noch einen zweiten Film gedreht, um so alte Schulden zu begleichen. Wie Dietrich in dem Buch „Mädchen, Machos und Moneten - Die unglaubliche Geschichte des Schweizer Kinounternehmers Erwin C. Dietrich“ zitiert wird, war er „stinksauer“. Schließlich hatte „mein Angestellter hinter meinem Rücken und mit meinem Geld illegal einen zweiten Film realisiert.“

    Man müsste meinen, dies hätte den Bruch zwischen Franco und Dietrich zur Folge gehabt, doch weit gefehlt. International wurde nicht die französische Zweitversion, sondern das „Original“ unter dem Titel „Barbed Wire Dolls“ zum Hit und schließlich hat Franco am Ende seinen Boss Dietrich zwar übers Ohr gehauen, hielt aber die vorgegebene Drehzeit und das Budget ein. Da nicht nur Franco schlau war, sondern Dietrich als kluger Geschäftsmann wusste, dass mit diesem verrückten Spanier noch viel Geld zu verdienen war, feuerte er ihn nicht. Die Zusammenarbeit von Franco und Dietrich sollte so noch viele Filme hervorbringen…

    Übrigens noch zwei amüsante Randnotizen: „Women Behind Bars“ wird in Deutschland mittlerweile als „Frauengefängnis 3“, also als vermeintliche Fortsetzung des ersten Franco-Films, vertrieben. Zudem entstand bei diesen ominösen Dreharbeiten quasi noch ein dritter Film. Aus Teilen des Materials von Franco wurde in Frankreich vier Jahre später auch noch einmal ein neuer Film geschnitten: „Les Gardiennes Du Pentiencier“ enthält noch Restmaterial anderer Filmprojekte und erschien in Deutschland als – ihr werdet es vielleicht schon erraten: „Frauengefängnis 2“!

    Wer sich übrigens angestachelt von diesem Artikel zumindest ein Eindruck vom Schaffen von Erwin C. Dietrich verschaffen will, bekommt am Freitag, den 16. September 2016, im Rahmen des TV-Formats „SchleFaZ“ die perfekte Gelegenheit. In ihrer Reihe rund um die „schlechtesten Filme aller Zeiten“ nehmen Oliver Kalkofe und Peter Rutten in ihrer 50. Sendung mit „Ich – Ein Groupie“ eines der Werke des Schweizer Erfolgsproduzenten auseinander.

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