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    Bedways
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bedways
    Von Sascha Westphal

    Viele wie Rolf Peter Kahl gibt es in der deutschen Filmszene nicht, und vielleicht ist das auch genau ihr Problem. In unserer so normierten Kino- und Fernsehlandschaft, die auf der einen Seite von Großproduktionen à la "Der Untergang" und "Der Baader Meinhof Komplex"geprägt wird und auf der anderen fest in der Hand der X-Filmer zu sein scheint, ist es schwer sich eine eigene Nische zu schaffen. Den Regisseuren der sogenannten Berliner Schule ist dies zwar geglückt, aber sie hatten dabei auch Hilfe aus Frankreich. Wer wie der Schauspieler, Filmemacher und Produzent Kahl komplett eigene Wege geht, wer also weder im Mainstream noch in einem seiner prominenteren Seitenarme mitschwimmen will, hat enorme Widerstände zu überwinden. Insofern überrascht es auch nicht, dass mehr als zehn Jahre zwischen Kahls Regiedebüt „Angel Express" und seinem zweiten Spielfilm, dem provokanten Film-im-Film-Drama „Bedways", liegen.

    Die junge Filmemacherin Nina Bader (Miriam Mayet) treibt eine Sehnsucht nach authentischen Bildern an. Sie will nicht einfach nur Oberflächen abfilmen, sondern den Dingen und den Menschen auf den Grund gehen. Wie sie nun genau zu dieser Wahrheit, nach der sie sich so sehr verzehrt, vordringen kann, darüber ist sie sich selbst noch nicht im Klaren. Also trifft sie sich erst einmal mit Marie (Lana Cooper, "Die Anruferin", "Fleisch ist mein Gemüse") und Hans (Matthias Faust) in einer beinahe leeren Wohnung in Berlin-Mitte zu Probeaufnahmen. Marie brennt zwar vor Neugierde, ist aber auch verunsichert von den vagen Äußerungen einer Regisseurin, die auf jeden Fall echten Sex will, aber sonst nichts Konkretes über ihr Projekt sagen kann. Hans bleibt deutlich gelassener, zumal er Nina schon länger kennt und vermutet, dass es ihr letztlich mehr um ihn als um den Film geht. Sechs Tage werden die drei in dieser kalten Wohnung, in der der Putz von den Wänden bröckelt zusammen arbeiten, sechs Tage, in denen Ninas Projekt immer unschärfer wird, sie aber ihrer eigenen Wahrheit näher und näher kommt...

    Wie seine Protagonistin sucht auch Kahl in seinen Filmen nach etwas, das Kompromisse einfach nicht zulässt. Schon 1999, in „Angel Express", diesem atemlosen Porträt des Berliner Nachtlebens kurz vor der Jahrtausendwende, schien ein unmöglich zu löschendes Feuer die Bilder quasi von Innen heraus aufzuzehren. All die Figuren, die damals von Party zu Party trieben, sich mit Drogen und Sex betäubten und dabei doch von etwas ganz anderem träumten, waren Repräsentanten einer neuen verlorenen Generation, der die Wirklichkeit im Glanz des schönen Scheins abhanden gekommen ist. Seither hat sich nichts verändert. 2010 wirkt Berlin höchstens noch kälter, noch unwirklicher und noch erbarmungsloser. Die wenigen Außenaufnahmen des Films erinnern nicht zufällig an die kalten, zutiefst verstörenden Bilder aus Andrzej ZulawskisPossession".

    Mit seiner Film-im-Film-Struktur schafft Kahl von Anfang an zugleich aber auch eine Distanz zwischen Ninas und seiner eigenen Suche nach der Wahrheit. Während die Filmemacherin dem Echten, den alles auf den Kopf stellenden Gefühlen und Leidenschaften, im Reich des Körperlichen nachspürt – sie treibt den Hang unserer Zeit zu einem rein materiellen Verständnis der Welt konsequent auf die Spitze –, fragt er eher nach den Möglichkeiten und den Grenzen des Kinos. Dabei halten sich echte Liebe und tiefe Skepsis nahezu die Waage. Die nur ganz selten etwas wärmer ausgeleuchteten Bilder aus der von Verfall gezeichneten Wohnung in der Friedrichstraße, in denen immer auch Erinnerungen an das Appartement aus Bernardo Bertoluccis "Der letzte Tango in Paris" mitschwingen, beschwören eine ganz eigene Wahrheit herauf. Auf der einen Seite zeugen sie überaus eindringlich von der Verzweiflung und der Sehnsucht Ninas und ihrer Darsteller. Auf der anderen sind auch sie nur Teil eines Spiels, eines filmischen Experiments, dessen Ausgang von vorneherein feststand. Nicht umsonst entfernt sich Nina immer weiter von ihrem Projekt und setzt sich zuletzt in einem Darkroom selbst dem kalten, ganz und gar starren Blick einer (Überwachungs)Kamera aus.

    Die Wahrheit kann sich im Kino eben nur indirekt offenbaren – und selbst das gelingt nur den Filmemachern, die es wagen, Grenzen zu überschreiten. Aber das waren schon immer Kahls Vorbilder. Insofern ist „Bedways" nicht nur einer der konsequentesten und am besten durchdachten deutschen Filme über Sex und die Erotik des Kamerablicks. Er ist zugleich eine Liebeserklärung an die manischen Outlaws und kompromisslosen Autorenfilmer, die das europäische Kino in den letzten 40 Jahren von seinen Rändern her attackiert und gelegentlich auch revolutioniert haben.

    Mit seiner radikalen Ästhetik folgt Kahl nicht nur dem aus einem Song der Band MYPARK stammenden Grundsatz „Flesh Is The Law", um ihn dann sogleich wieder aus dem Geist Michel Foucaults heraus zu dekonstruieren. Er verbeugt sich so zudem auch vor Bernardo Bertoluccis und Andrzej Zulawskis Kino der Exaltationen und schlägt dabei noch einen Bogen zu den analytischen Werken Catherine Breillats („Romance", „Sex Is Comedy") und Jean-Claude Brisseaus („Heimliche Spiele"). Wie Brisseau, der sich in seinen letzten Filmen in einer Form selbst entblößt hat, die beispiellos in der Geschichte des Kinos ist, wagt auch Kahl alles. Sein Porträt einer Filmemacherin, die letztlich die Authentizität und die Erkenntnis, nach denen sie strebt, nur in der eigenen Lust finden kann, entfernt sich soweit von allen Pfaden des deutschen Kinos, den gänzlich wie auch den weniger ausgetretenen, dass ihm wahrscheinlich erst einmal nur die Wenigsten folgen wollen. Doch das ist nun einmal der Preis den eine unangepasste, provozierende Kunst fordert.

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