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    Outside The Law
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Outside The Law
    Von Robert Cherkowski

    Noch heute – fast 50 Jahre nach seinem Ende – ist der Algerienkrieg eine unverheilt eiternde Wunde im französischen Nationalbewusstsein. Schon damals war der Einsatz heftig umstritten und rief Philosophen wie Jean Paul Sartre und Albert Camus auf den Plan, die sich lautstark gegen die Intervention aussprachen. Auch auf den Leinwänden war der Krieg schon sehr früh präsent, sei es mit Gillo Pontecorvos Polit- und Kriegskino-Klassiker „Schlacht um Algier", mit „Der kleine Soldat" oder später aus historischer Distanz mit Florent Emilio Siris „Intimate Enemies" - der brutale Einsatz in Nordafrika hat so manchen Filmemacher zu seinen stärksten Werken inspiriert. Mit „Caché" widmete sich Michael Haneke 2005 dem Schicksal der algerischen Migranten in Frankreich, die konsequent ins soziale Abseits gedrückt wurden, und machte im von 1954 bis 1962 andauernden Konflikt eine Zäsur im Verhältnis zwischen Europa und der arabischen Welt aus. Während die französischen Truppen in Algier folterten und mordeten, trugen algerische Untergrundorganisationen wie die MNA (Mouvement national algérien) oder die FLN (Front de Libération Nationale) den Terror in die französischen Städte. Diese Anschläge gelten als Blaupause für das junge Phänomen des islamistischen Terrorismus, als eine Wurzel des europäischen Taumels zwischen Islamophobie und kultiviertem Schuldgefühl. Mit Rachid Boucharebs Hochglanz-Drama „Outside The Law" kommt nun eine der seltenen algerischen Filmbetrachtungen zum langen Echo des blutiges Konfliktes.

    Den Hass auf die kolonialen Machtstrukturen haben die algerischen Brüder Saïd (Jamel Debbouze), Messaoud (Roschdy Zem) und Abdelkader (Sami Bouajila) schon im Kindesalter erlernt, seit sie ohne plausible Begründung von ihrem Gut vertrieben wurden. 1945 wird ihr Vater beim Massaker von Sétif erschossen, das bis dahin so enge familiäre Band zerreißt. Während der clevere Lebemann Said sich als Ganove durchschlägt, landet der intellektuelle Abdelkader in der Gefängnis-Hölle, wo er sich weiter radikalisiert; der sanfte Hüne Messaoud wird von den französischen Schindern zum Krieg nach Indochina eingezogen. Mitte der Fünfziger finden sich die Brüder in den algerischen Elendsvierteln vor Paris wieder, wo die Migranten in erbärmlichen Holzhütten am Rande des Existenzminimums vor sich hin vegetieren. Während Said schnell wieder auf die Beine kommt und sich erst als Wucherer und später als Boxpromoter einen Platz in der französischen Halbwelt erkämpft, schließen sich Abdelkader als Schreibtischtäter und Messaoud als Vollstrecker der militanten FLN an. Als sich Abdelkader immer mehr im Netz aus Fanatismus und Terror verfängt, eskaliert die Situation; die Brüder und ihre unterschiedlichen Auffassungen von Freiheit und Gerechtigkeit kollidieren...

    Obwohl „Outside The Law" von einem Algerier inszeniert und als algerischer Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt wurde, wirkt Rachid Boucharebs siebter Langfilm wie eine durch und durch französische Produktion. Sowohl im Schnitt (Yannick Kergoat, „Harry meint es gut mit dir") als auch hinter der Kamera (Christophe Beaucarne, „Coco Chanel") wirkt die routinierte Könnerschaft des französischen Mainstreams; Hochglanz-Look und Produktionswerte erzwingen den Vergleich mit modernem Prestige-Kino made in France geradezu. Eben dort wurden die Schattenseiten europäischer Nachkriegsgeschichte zuletzt ausgiebig thematisiert. Nicht nur Olivier Assayas mit seinem Terrorfürsten-Biopic „Carlos - Der Schakal" oder Jean-Francois Richet mit dem Bürgerschreck-Epos „Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt" haben faszinierte Blicke auf die dunkle Seite geworfen. Das Künstlerkollektiv „Kourtrajme" hat ein Bild der Pariser Vororte entworfen - das Gegenwartsfrankreich als Pulverfass, ein Bild, das sich nicht mit dem Klischee der kulturbeflissenen Grande Nation samt Chansons, Baguettes und Eiffelturm vertragen will.

    Während diese Filmemacher ihre Geschichten jedoch mit visueller Experimentierfreude, erzählerischem Wagemut und ausgefallenen Blickwinkeln aufpeppen und sich somit als neue Strömung im französischen Gegenwartskino präsentieren, entscheidet sich Bouchareb für eine Entschleunigung und eine Rückbesinnung auf eine traditionelle und formal auffallend unspektakuläre Erzählweise. Er wahrt eine entschiedene Distanz zu seinen Protagonisten und ihren Handlungen, verfällt keiner Faszination der Gewalt. Mit etwas Wohlwollen mag man seine Herangehensweise als altmodisch und unaufgeregt bezeichnen, oder – mit weniger Wohlwollen – als altbacken und didaktisch. Mit dieser Inszenierung lässt Bouchareb den talentierten Darstellern den Raum, eine eindringliche Leinwandpräsenz zu entfalten. Speziell Roschdy Zem als so bärbeißiger wie verletzlicher Messaoud fesselt mit sachten Gesten und tiefer Emotionalität. So viel Mühe sich die Darsteller aber geben, bleiben sie doch Gefangene einer vorhersehbaren Figurenzeichnung.

    Da gibt es den Fanatiker, der alsbald Freunde, Familie und persönliches Glück einer höheren Sache unterordnet und über Leichen geht; ferner den traumatisierten Krieger, der sich eigentlich nur nach privatem Glück und einer Rückkehr in die Normalität seht und schließlich den Pragmatiker, der längst erkannt hat, dass mit Mord und Totschlag nichts zu gewinnen ist. Wohin sie ihre Wege führen werden, ist offensichtlich. So bleibt „Outside The Law" gefälliges Geschichtskino für die Multiplexe. In seiner pädagogischen Simplizität steht Bouchareb Uli Edel („Der Baader Meinhof Komplex") näher als beispielsweise Costa-Gavras („Sondertribunal"). Trotz pflichtschuldiger öffentlicher Filmdiskussion in Frankreich wird „Outside The Law" niemandem weh tun. Auf leisen Sohlen wandert der algerische Filmemacher historische Grauzonen ab, ohne jemals Grenzen zu überschreiten. „Outside The Law" ist harmloses Ausstattungskino mit einer so universellen wie obligatorischen Botschaft: Ja, Fanatismus zerstört Menschen; nein, Gewalt ist keine Lösung. Schön, dass wir darüber gesprochen haben.

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