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    Der ganz große Traum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Der ganz große Traum
    Von Alex Todorov

    Fußball hat alles, was großen Filmen gut steht: Klein- und Nervenkriege, Rivalitäten, Tragödien, Triumphe und packende Showdowns. Gute Fußballfilme hingegen lassen sich an einer Hand abzählen. Zuletzt stachen „The Damned United" und „Looking for Eric" aus all dem Pathosmorast à la „Goal!" oder „Das Wunder von Bern" heraus. Sebastian Groblers Kinodebüt „Der ganz große Traum" über den deutschen Fußball-Pionier und Lehrer Konrad Koch, der 1874 seine Schüler mit dem Fußballvirus infiziert, ist eher der zweiten Kategorie zuzurechnen. Ein feines Darstelleraufgebot, darunter Daniel Brühl („Inglourious Basterds"), Justus Von Dohnanyi („Das Experiment"), Burghart Klaußner („Das letzte Schweigen") oder Axel Prahl („Tatort") sowie einigen lausbubigen Jungdarstellern, spielt letzten Endes vergeblich gegen ein kitschiges Drehbuch an, das sich keinen Allgemeinplatz verkneift. „Der ganz große Traum" wird wenig vorteilhaften „Der Club der toten Dichter"-Vergleichen kaum entgehen können.

    1874: Das deutsche Kaiserreich befindet sich nach den Gründungskriegen noch im patriotischen Überschwang. Der junge Englischlehrer Konrad Koch (Daniel Brühl) wird an ein altehrwürdiges Braunschweiger Gymnasium berufen. Die Schüler zeigen sich wenig empfänglich für die Sprache, wird doch sowieso überall Deutsch gesprochen werden, wenn die britischen Inseln erst unterworfen sind. Koch greift zu unorthodoxen Methoden, um seine Untertertia zu erreichen: Er bringt sie mit dem ihnen völlig fremden und in ihren Augen undeutschen Fußballspiel in Berührung. Shoot – defend – foul – fair play – rasch sind die Eleven Feuer und Flamme und etwaige Differenzen werden überbrückt. Das Lehrerkollegium und einflussreiche Eltern und Mäzene sehen jedoch die preußische Erziehung der Jugend in Gefahr und setzen alles daran, Koch wieder loszuwerden...

    Grundsätzlich eine griffige und geistreiche Idee, in einer Zeit, in der Joachim Löws Truppe als leuchtendes Beispiel gelungener Integration gefeiert wird, die Anfänge des Sports in Deutschland zu beleuchten. „Der ganz große Traum" stellt exakt diese integrative Kraft in den Fokus – und belässt es dabei. Wieder muss der Fußball als Vehikel für Vorurteile und Grenzen überwindenden Zusammenhalt herhalten. Dem Ganzen noch grob der Plot von Peter Weirs „Der Club der toten Dichter" übergestülpt, etwas Tragik heraussubtrahiert und fertig ist der Durchschnittskick: Natürlich raufen die Schüler sich zusammen, lehnen sich gegen ihre autoritären Eltern auf, stehen für ihren Lehrer ein und reifen als Individuen und Gruppe. Es ist ein schmaler Grat zwischen Zitat und Plagiat. In einer Szene wartet man nur noch auf den solidarischen Auflehnungsschwur „O Captain! My Captain!".

    Bausteine aus typischen Jugend- und Sportfilmen werden aneinandergefügt, ohne dem Ganzen eine wirklich eigene Note zu verleihen. Sicher, das Setting, die Kostüme oder der Antagonistenhabitus sind tadellose und detailverliebte Zeitbilder des Zweiten Reichs. Indes bietet das Drehbuch schon unzählige Male Gesehenes. Da werden der erste Schuss auf ein Reck aus Ermangelung eines Tores oder der erste gehaltene Ball als Erweckungserlebnisse zelebriert. Nicht neu, aber nett. Arg lästig gerät hingegen die Charakter-Stangenware: das arme, aber höchst talentierte Problemkind (so niedlich, man möchte ihn füttern, streicheln und beschützen: Adrian Moore, „Friendship!"), der schnöselige Reiche (angemessen steif: Theo Trebs, „Das weiße Band") mit dem fiesen Übervater, die hübsche Magd. Zwischen all den Gegensätzen baut der Film kraft des Fußballs Brücken, als ob die FIFA persönlich dahinter steckte. Natürlich muss vor dem finalen Spiel (gegen die Engländer!) der entscheidende, weil begabteste Spieler kurz vor Anpfiff erst noch aufgetrieben werden. Just sorgt der dann im Zusammenspiel mit dem ihm eigentlich verfeindeten Adelsspross für ein Tor. Die Welt, wie sie sein sollte. Überflüssig, weil lavierend und ziellos ist auch die Romanze Kochs mit der Mutter eines Spielers. Das Skript tut mit diesem Nebenkriegsschauplatz niemandem einen Gefallen.

    Dass der Charakter des Konrad Koch in zahlreichen Facetten dramaturgisch zurechtgebogen wurde, ist zweifelsohne zulässig. Was wirklich aufstößt, sind augenscheinliche Anachronismen. Kochs Missfallen am „bloody German Gehorsam", am deutschen Korpsgeist und der preußischen Exerziermanie, stellt das Drehbuch in Gänze die englische Kultur entgegen. Die Engländer, so wird impliziert, verfolgten schon anno 1874 ein strikt antiautoritäres Erziehungswesen und Fair play auf sämtlichen gesellschaftlichen Ebenen. Hinzu kommt Brühls Konrad Koch, der mit seiner Ablehnung aller autoritären Erziehungsmaßnahmen allzu offensichtlich ein Charakter des späten 20. Jahrhunderts ist. Mit seiner augenzwinkernden Autorität ist dem Barcelona-Anhänger Brühl dabei nichts vorzuwerfen. Ebenso wenig zwei der deutschen Antagonistendarsteller schlechthin, Thomas Thieme („Das Leben der anderen") und Justus Von Dohnanyi („Jud Süß - Film ohne Gewissen"). Sicher keine mutige Besetzung, aber gerade letzterer mimt eine beispiellose Durchtriebenheit und setzt ein Fieslingsgesicht auf, in das man unablässig hineinschlagen möchte. Immer wieder beachtlich, was für eine abstoßende Wirkung Dohnányi zu evozieren vermag. Dabei ist sein idealistischer Machtmensch und gewissenloser Übervater doch sehr nah an seinem Charakter aus „Napola".

    Bei so viel konventionellem, dramaturgischem Kitsch sind knapp 110 Minuten zu lang. Im zweiten Teil verliert sich die Handlungsstringenz und die Gefühlsduseligkeit vor allem seitens der Musik nimmt Überhand. Wie unersprießlich, wenn ein Film sein Publikum in jeder Situation exakt wissen lässt, welche Reaktion er auslösen möchte.

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