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    22 Ways To Die
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    22 Ways To Die
    Von Jan Hamm

    Insgesamt neun Regisseure haben an der 2012 veröffentlichten, erfolgreichen Horror-Anthologie „V/H/S - Eine mörderische Sammlung" gearbeitet. Klingt viel, ist es aber nicht – zumindest nicht, wenn es nach den Produzenten Ant Timpson und Tim League geht. Für „The ABCs of Death" trommelten sie unter dem „Drafthouse Films"-Banner ganze 26 Regisseure aus 15 Nationen zusammen und wiesen jedem einen Buchstaben zu, von A wie „Apocalypse" bis Z wie „Zetstumetsu" („Auslöschung"). Herausgekommen sind 26 Kurzfilme, die das Horror-Genre im weitesten Sinne aus ebenso vielen verschiedenen Perspektiven beleuchten. Dass dabei auch ein paar faule Eier im Korb gelandet sind – geschenkt! Über weite Strecken nämlich wird hier ein wahres Ideen-Feuerwerkt abgefackelt, herrlich böser Schabernack mit dem Publikum getrieben und immer wieder auch zum gnadenlosen Sturmangriff aufs Nervenkostüm geblasen. „The ABCs of Death" ist ein waschechter „Crowdpleaser", ein Film, bei dem man sich gemeinsam vor Lachen die Bäuche hält, gemeinsam vor Entsetzen nach Luft schnappt und danach erst recht gemeinsam über Subtexte, Geschmacklosigkeiten und die beste Splatter-Szene debattiert.

    Weniger involvierend sind all die Kurzfilme, in denen bloß Genre-Allgemeinplätze durchgespielt werden. In Adrian Garcia Boglianos „Bigfoot" erzählen etwas zwei Eltern ihrem nölenden Kind eine fiese Gruselgeschichte, nur um gleich darauf selbst vom entsprechenden Slasher einkassiert zu werden. In Angela Bettis „Exterminate" wird ein Mann nach einer ungemütlichen Begegnung der achtbeinigen Art von schlüpfenden Babyspinnen zugrunde gerichtet – das war's, eine Pointe gibt es nicht. Und dass Ben Wheatley in „Unearthed" aus der Ego-Perspektive der Kreatur filmt, die von einem Lynchmob durchs nächtliche Unterholz gejagt wird, ist kaum mehr als eine inszenatorische Spielerei. Ganz so schnell und leicht lässt sich das „Blair Witch Project" eben doch nicht auf den Kopf stellen. Sehr wohl auf den Kopf gestellt hat Noboru Iguchi („The Machine Girl") den Stereotyp des süßen Nippon-Girls in sexy Schuluniform: Im passend betitelten „Fart" endet die gemeinsame Reise einer Lehrerin und der von ihr bessessenen Schülerin – und damit auch so manch feuchter Zuschauertraum – im Allerwertesten der Pädagogin.

    Bei derartigen Fäkalhumor-Eskapaden mag man noch eine Augenbrauhe hochziehen. Wieder andere Episoden sind dagegen so hinreißend albern und clever zugleich, dass man nur noch die Waffen strecken kann. In Yudai Yamaguchis „Jidai-geki" („Samurai Movie") zieht ein gefallener Samurai beim rituellen Selbstmord immer absurdere Grimassen, bis seinem Henker vor schallendem Gelächter das Katana aus der Hand zu fallen droht – quasi die fernöstliche Variante einer gewissen Palastszene aus Monty Pythons „Das Leben des Brian". Und „Hydro-Electric Diffusion" von „Norwegian Ninja"-Regisseur Thomas Cappelen Malling schießt gleich mit Volldampf über alle Geschmacksgrenzen hinweg, wenn der Regisseur irgendwo im Niemandsland zwischen Naziploitation, „Der fantastische Mr. Fox" und „Indiana Jones" eine von Winston Churchills großer Luftkriegsansprache träumende Dogge gegen eine heiße SS-Füchsin antreten lässt.

    Mit Jon Schnepps „WTF!" folgt die passende Reflektion auf diesen ständigen Overkill der Bilder, Ideen und Referenzen. Während der Regisseur als sein eigener Hauptdarsteller fieberhaft überlegt, was er mit dem Buchstaben W anfangen soll, wird er zunehmend wahnsinniger, die Schnittfrequenz schneller und der erzählerische Zusammenhang loser – bis die Episode in einem Inferno zerstückelter Eindrücke gipfelt, das selbst Alex aus „Uhrwerk Orange" nicht mal eben so wegstecken würde: "the traced mindfuck of a billion bombs dropping on your tired synapses". Bis zum finalen Kurzfilm, Yoshihiro Nishimuras „Zetsumetsu", sollte man trotzdem durchhalten. Denn hier werden noch einmal alle Trash-Register gezogen, wenn sich zwei nackte Frauen in Fetisch-Garnitur mit blitzenden Klingen und gewaltigen Dildos gegenseitig zerlegen, das ganze wie ein Rammstein-Videoclip auf Acid aussieht und es in einer Nachrichtensendung in Anspielung auf Fukushima heißt: „March 11th – radioactivity completely covered our shitty country, Japan."

    All diese schrägen, aufregenden und witzigen Episoden bieten den bitter nötigen Comic-Relief-Ausgleich zu den „anderen" Kurzfilmen, solchen, in denen die Gewalt nicht mehr spaßig sondern ganz im Gegenteil nahezu unerträglich ist. Von Srdjan Spasojevic etwa, dem Regisseur des Skandalfilms „A Serbian Film", war auch nichts anderes zu erwarten. In „Removed" bringt er einen der zentralen Aspekte seines hitzig diskutierten Snuff-Schockers noch einmal auf den Punkt: Einem Mann werden bei lebendigem Leib Hautfetzen abgesäbelt, aus denen daraufhin Filmnegative gewonnen werden; ein maskiertes Publikum schaut gnadenlos auf sein Martyrium herab. Auch der französische Grenzüberschreiter Xavier Gens („Frontier(s)") klagt in „X Is For XXL" mit markerschütternder Klarheit an: Von einer Beauty-Werbung heimgesucht erleidet eine schwergewichtige Frau erst einen Fresskick, der wie ein Drogenschuss à la „Requiem for a Dream" gestaltet ist – und beginnt dann, das verhaßte Übergewicht mit dem Messer abzutragen, Schicht für Schicht.

    Auch aus anderen Kapiteln spricht hier weniger eine verspielte Lust am Genre als vielmehr die geballte Wut. In „Ingrown" erzählt Jorge Michel Grau („Wir sind was wir sind") mit trauriger Konsequenz eine Geschichte häuslicher Gewalt, in „Pressure" bricht Simon Rumley („Red, White & Blue") ein komplexes Prostitutionsdrama auf rund drei Minuten herunter und in „Youngbuck" lässt „Hobo With A Shotgun"-Regisseur Jason Eisener einem pädophilen Widerling grausige Gerechtigkeit widerfahren. So surreal es dabei zuweilen auch zugeht, so klar strukturiert sind diese Beiträge noch im Gegensatz zu Bruno Forzanis & Hélène Cattets „Orgasm", einer assoziativen und hypnotischen Collage, die aussieht, als hätte Luis Bunuel seinen „andalusischen Hund" in der Form eines Tool-Videoclips fortgesetzt. Und grade wenn man meint, sich auf den wilden Mindfuck eingeschossen zu haben, rauscht „The ABCs of Death" auch schon zur nächsten Episode weiter – eine Horror-Achterbahnfahrt, die am besten gemeinsam mit so vielen Filmbegeisterten wie möglich erlitten und genossen wird, sei es im rappelvollen Kinosaal oder daheim in feuchtfröhlicher Partystimmung.

    Fazit: „The ABCs of Death" ist eine spannende Kurzfilm-Anthologie voller Überraschungen, deren 26 zumeist mehr und gelegentlich weniger packende Visionen der Dunkelheit für massig Gesprächsstoff unter Genre-Enthusiasten sorgen dürften.

    In Deutschland kommt "The ABCs of Death" unter dem Titel "22 Ways To Die" (FSK ab 18) heraus. Dabei fehlen vier der eigentlich 26 Kurzfilme. In Österreich wird eine Uncut-Version herausgebracht.

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