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    Fighting With My Family
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Fighting With My Family

    Wrestling zum Wohlfühlen

    Von Carsten Baumgardt

    Die Geschichte des tragikomischen Wrestling-Biopics „Fighting With My Family“ über die Profi-Wrestlerin Saraya-Jade „Paige“ Bevis beginnt 2012 in einem Hotelzimmer irgendwo in England, als Superstar Dwayne „The Rock“ Johnson nach einem harten Drehtag am Set von „Fast & Furious 6“ zur Entspannung ein wenig Fernsehen schaut. Durch Zufall stößt er dabei auf die Dokumentation „The Wrestlers: Fighting With My Family“ und ist sofort begeistert von der verrückten englischen Wrestler-Familie, die in der Channel-4-Reportage porträtiert wird. Johnson nimmt Kontakt zu seinem Kumpel Stephen Merchant auf (die beiden spielten zusammen in „Zahnfee auf Bewährung“) und beauftragt ihn mit der Entwicklung eines Drehbuchs. Im Januar 2019 feierte „Fighting With My Family“ dann beim berühmten Indie-Festival in Sundance seine Weltpremiere. Ein langer Weg für Regisseur und Autor Merchant, der eine inspirierende kleine Underdog-Geschichte erzählt, die zwar durchaus die üblichen Sportfilm-Klischees bedient und wenig Überraschendes bietet, aber ein so großes Herz hat, dass man einfach nur mitfiebern kann.

    Norwich, England: Seinem alten Leben hat der ehemalige Verbrecher Ricky Knight (Nick Frost) nach acht Jahren Knast endgültig abgeschworen. Gemeinsam mit Ehefrau Julia (Lena Headey) und seinen Kindern Zak (Jack Lowden) und Saraya (Florence Pugh) betreibt Ricky stattdessen eine Wrestling-Halle, mit der die Familie mehr schlecht als recht über die Runden kommt. Doch die Knights brennen für den Sport und setzen alles daran, dass Zak und Saraya einmal den Sprung zu den Profis der US-amerikanischen World Wrestling Entertainment (WWE) schaffen. Dafür trainieren die Kinder ihr Leben lang. Eines Tages bekommen Zak und seine jüngere Schwester, die jetzt unter ihrem Ring-Kampfnamen Paige (nach dem gleichnamigen „Charmed“-Charakter, gespielt von Rose McGowan) auftritt, tatsächlich die Chance, bei den WWE-Tryouts in London teilzunehmen. Bei dieser knallharten Talentsichtung von Trainer Hutch Morgan (Vince Vaughn) fällt Zak durch, Paige wird aber angenommen und erhält eine Einladung zu einem WWE-Trainingscamp in Orlando, Florida. Während sich für Paige ein Lebenstraum zu erfüllen beginnt, ist dieser für Zak jäh zerplatzt. Das sorgt für reichlich Konflikte...

    Florence Pugh und Jack Lowden als Wrestling-Geschwister in "Fighting With My Family".

    Wenn man sich „Fighting With My Family“ ansieht, dann versteht man sofort, was Dwayne Johnson damals an der Wrestling-Familie Knight so sehr fasziniert hat. Nämlich diese unglaubliche Leidenschaft, mit der die schräge Außenseiter-Truppe diesen Sport betreibt. Der korpulente Vater mit Irokesenschnitt stammt aus dem Kriminellen-Milieu, weshalb es zuhause auch schon mal ein wenig rustikaler und chaotischer zugeht. Aber die Liebe zum Wrestling ist ebenso riesig wie der Zusammenhalt zwischen Eltern und Kindern. Zentrum des Films ist Saraya-Jade Bevis, besser bekannt als Britani Knight und später als Paige, die nach einer Karriere in der NXT (einer Entwcklungsliga der WWE) tatsächlich den Sprung in die WWE schaffte und dort ab 2014 sogar zum Superstar avancierte, bis sie 2018 ihre Karriere aufgrund einer Nackenverletzung beenden musste.

    Paige sticht nicht nur wegen ihres familiär-sozialen Hintergrunds heraus. Sie ist ein auch optisch düsteres Goth Girl, das zwar einigermaßen in das trist gefilmte Milieu der englischen Arbeiterstadt Norwich passt, im Trainingscamp im sonnigen Florida jedoch neben gestählten Ex-Models und Cheerleaderinnen wie ein Fremdkörper wirkt. Doch Paige hat enormes Talent für diesen Sport und einen starken Willen, der immer wieder auf eine harte Probe gestellt wird. Regisseur Stephen Merchant („Cemetery Junction“), den man vor allem als sehr hochgewachsenen Sidekick von Ricky Gervais kennt, reizt diesen Underdog-Aspekt genüsslich aus. Besonders die Szenen im trüben England sind mit einer natürlichen Herzlichkeit erzählt und schwören das Publikum erfolgreich auf diese Wrestling-verrückte Familie ein. Da spielt es fast gar keine Rolle mehr, ob man selbst eigentlich etwas mit Wrestling anfangen kann.

    Sportfilmklischees! Na und?

    Dabei lässt Merchant zwar kaum einen Standard des Sportfilms aus, aber wirklich übelnehmen kann man ihm das trotzdem nicht. So ist „Fighting With My Family“ selten wirklich überraschend, aber immer unterhaltsam, einfach weil die Figuren so unglaublich sympathisch sind. Die mitreißende Florence Pugh („Lady Macbeth“, „The Commuter“) vermittelt eine spannende Mischung aus Eigenwilligkeit, Ambition und Menschlichkeit. Ein Mix, der die reale Paige letztendlich (als „Anti-Diva“) auch zum Superstar in der WWE machte. Auch Nick Frost („Shaun Of The Dead“) und Lena Headey („Game Of Thrones“) sind als derb-charmante Eltern eine Wucht, der man sich nicht entziehen kann. Die Familie wird immer wieder als verschworene Gemeinschaft gezeigt, die ihr ganz eigenes Ding durchzieht und sich durch nichts davon abbringen lässt.

    Nur Jack Lowden („Dunkirk“) als Paiges Bruder Zak bekommt vom Drehbuch einige schwerere Bürden aufgeladen, wenn er in der etwas schwächeren zweiten Hälfte des Films einen Konflikt zu Paige aufbauen muss, weil Zak die Absage an die Profikarriere in den USA nicht verkraftet und seine Enttäuschung an seiner Schwester auslässt. Gerade weil man zuvor gesehen hat, wie eng sich die Geschwister eigentlich sind, wirkt dieser Handlungsstrang im Film überkonstruiert. Einen glaubhafteren und effektiveren Kontrapunkt setzt da schon Vince Vaughn („Die Hochzeits-Crasher“) als Paiges Coach. Trotz aller Strenge, die er als Schleifer walten lässt, findet Vaughn auch etwas Herzlich-Ehrliches in seiner fiktiven Figur, die aus mehreren realen Persönlichkeiten zusammengesetzt wurde.

    Familienbande in "Fighting With My Family": Lena Headey, Florence Pugh und Nick Frost.

    Insgesamt nimmt sich Stephen Merchant, der auch eine kleine Nebenrolle als Vater von Zaks Freundin spielt, einige erzählerische Freiheiten heraus, um den Stoff filmischer zu gestalten. Die echte Paige erklärte nach der Premiere in Sundance, der Film sei „zu 97 Prozent akkurat“. Aus dramaturgischen Gründen ausgelassen wird zum Beispiel Paiges Karriere in der NXT, wo sie bei einem Turnier die NXT Women‘s Championship gewann und den Titel mehrfach verteidigte, bevor sie in die WWE aufstieg. Auch die Einbindungen von Dwayne Johnson (in Kurzauftritten als er selbst) ist nur zur Hälfte korrekt dargestellt, er hat die Familie nämlich erst 2012 persönlich kennengelernt und nicht wie im Film geschildert schon früher bei den Tryouts in London. Dafür ist die bemerkenswerte Szene zwischen Paige und Johnson vor ihrem ersten WWE-Auftritt echt. Es geht hier eben mehr um den Spirit der Story, da muss sich Filmemacher Merchant nicht sklavisch an jedes kleinste Detail klammern.

    Die Wrestling-Szenen sind großartig und wirken authentisch, auch weil „Fighting With My Family“ durch den Produzenten Dwayne Johnson die volle Unterstützung der WWE sicher hatte (deren WWE Studios zu den Produktionsfirmen gehören). Ist auch kein Wunder, schließlich wird hier nebenbei reichlich Werbung für den Sport und die Organisation gemacht. Viele Ringszenen drehte Hauptdarstellerin Florence Pugh selbst, bei den schwierigeren und gefährlicheren Moves doubelte sie Profi-Wrestlerin Tessa Blanchard. Die Arena-Aufnahmen entstanden vor und nach realen WWE-Events in vollen Hallen. Wir stimmen da gern in den Applaus der Wrestling-Fans mit ein.

    Fazit: Das tragikomische Wrestling-Drama „Fighting With My Family“ ist eine märchenhaft-mitreißende Underdog-Geschichte, die zwar berechenbar, aber mit viel Herz erzählt ist.

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