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    Tatort: Fürchte dich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Tatort: Fürchte dich
    Von Lars-Christian Daniels

    Was hat man den Millionen „Tatort“-Fans, die sonntags einfach nur einen guten Krimi sehen möchten, in den vergangenen Monaten nicht alles zugemutet: seichten Klamauk aus Weimar („Tatort: Der scheidende Schupo“) oder Münster („Tatort: Fangschuss“), klischeebeladene Cyberkrimis aus Dresden („Tatort: Level X“) oder Bremen („Tatort: Echolot“) – und dann noch den komplett missglückten Ludwigshafener Impro-„Tatort: Babbeldasch“, den die BILD-Zeitung gar zum „schlechtesten Tatort aller Zeiten“ kürte. Auf die Einschaltquoten hatten diese Experimente (noch) keine nachhaltigen Auswirkungen: Die beliebteste deutsche Krimireihe reitet mit ihren mittlerweile 22 Ermittlerteams auf einer Erfolgswelle und gilt nach dem Aus von „Wetten, dass...“ und dem Zuschauerschwund bei „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ als letztes Lagerfeuer der TV-Nation. Andy Fetschers Frankfurter „Tatort: Fürchte dich“ könnte nun jedoch der Film sein, bei dem so manchem alteingesessenen Fan endgültig der Geduldsfaden reißt: Mit einem klassischen Sonntagskrimi hat dieser familieninkompatible Halloween-Beitrag kaum noch etwas zu tun. Der sechste Fall der Frankfurter Kommissare ist vielmehr ein waschechter Horrorfilm, der nach einem spannenden Auftakt im Schlussdrittel vollkommen die Bodenhaftung verliert und die Beschwerdehotline der ARD garantiert zum Glühen bringen wird.

    Mitten in der Nacht nähert sich der Seniorenheimbewohner Otto Schlien (Axel Werner) dem Haus von Hauptkommissar Paul Brix (Wolfram Koch) und seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris). Er will es mit Benzin in Brand stecken – erleidet aber plötzlich einen Schwächeanfall und droht zu ersticken. Dem zu Hilfe geeilten Brix erzählt Schlien kryptische Dinge und starrt dabei in Richtung eines Dachfensters. Grund genug für Brix, sich auf dem Dachboden umzuschauen, und dort macht er prompt eine grausige Entdeckung: Unter den Dielen lagert ein Kinderskelett, das offenbar schon seit Jahrzehnten untentdeckt dort liegt. Während Schlien ins Krankenhaus eingeliefert wird und sich Hauptkommisaarin Anna Janneke (Margarita Broich) um die aufgelöste Fanny kümmert, begibt sich Brix zusammen mit Schliens Enkeltochter Merle (Luise Befort) auf Spurensuche, die auch zu Schliens Ex-Frau Ursula (Gudrun Ritter) führt. Die beiden finden heraus, dass Brix und Fanny in einem früheren Waisenhaus wohnen, in dem die damalige Leiterin und ein junges Mädchen nach einem tragisch endenden Kinderstreich ums Leben kamen. Fortan passieren übernatürliche Dinge im Haus, die Fanny und Janneke das Blut in den Adern gefrieren lassen...

    Der Hessische Rundfunk ist für seine „Tatort“-Experimente berühmt (und berüchtigt) und landete damit schon einige Volltreffer: Neben dem überragenden Shakespeare-Oper-Italo-Western „Tatort: Im Schmerz geboren“ gingen zuletzt unter anderem der packende Psychothriller „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ oder die wunderbar selbstironische Film-im-Film-Konstruktion „Tatort: Wer bin ich?“ auf die Rechnung des Senders, der auch bei seiner Personalauswahl oft ein glückliches Händchen beweist. Für den enttäuschenden Frankfurter „Tatort: Land in dieser Zeit“ erntete der HR Anfang des Jahres 2017 aber dann einige Kritik, die im Vergleich zu diesem außergewöhnlichen Halloween-Beitrag allerdings nur ein laues Lüftchen gewesen sein dürfte: Mit einem „Tatort“ im eigentlichen Sinne hat der düster inszenierte Horrorfilm von Andy Fetscher („SOKO Leipzig“), der das Drehbuch gemeinsam mit Christian Mackrodt schrieb, wenig zu tun. Sein mutiger Genreausflug brachte dem Filmemacher zwar Nominierungen für Fernsehpreise auf dem Filmfest München und auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen ein, aber so löblich die Bereitschaft zum Beschreiten neuer Wege grundsätzlich ist, dieses Experiment geht auch unabhängig von den eventuell enttäuschten Erwartungen der „Tatort“-Stammzuschauer daneben.

    Wem die gewöhnliche Suspense-Dosis in öffentlich-rechtlichen Sonntagskrimis bereits genug ist, der braucht beim 1033. „Tatort“ Nerven wie Drahtseile: Schon in der Auftaktsequenz wird der verwirrte Otto Schlien hinterrücks von einem Horrorwesen aus der Dunkelheit gepackt – später sind es knarrende Schaukelstühle, mysteriöse Geräusche auf dem Dachboden oder eine schreckliche Begegnung im Badezimmerdampf, die den Zuschauer das Fürchten lehren sollen. Das funktioniert eine knappe Stunde lang durchaus passabel: Wer sich im „Tatort“ mit ausgiebigem Wildern im Haunted-House-Genre und Jump Scares im Minutentakt anfreunden kann, kommt durchaus auf seine Kosten. Wem das alles aber zu gruselig oder realitätsfern ist, dürfte schon nach Minuten umschalten. So oder so: Im Schlussdrittel des Films schießen die Filmemacher komplett übers Ziel hinaus. Während Janneke und Brix noch in der Realität geerdet sind und nicht an den faulen Zauber glauben wollen, nistet sich in Fannys Körper ein Geist (!) ein. Mit dem regelmäßigen Auftritt des übernatürlichen Wesens verliert der Horror-Krimi endgültig die Bodenhaftung und verabschiedet sich mit Volldampf in die unfreiwillige Komik.

    Mag man über den folgenreichen Verzehr eines Stücks Schwarzwälder Kirschtorte noch schmunzeln, werden schon bald genüsslich Tennissocken verspeist – das ist weder gruselig noch witzig, sondern einfach nur befremdlich. Anderswo wird billige Effekthascherei betrieben oder uninspiriert bei Genre-Vorbildern abgekupfert: Eine furchterregende Frau auf dem Schrank kennen wir aus „Conjuring“ und das Vortasten im Dunkeln mit dem Blitzlicht einer Spiegelreflexkamera zum Beispiel aus „Saw“. Bei der Visualisierung der Untoten wird auch das schmale TV-Budget im Vergleich zu einer Kino-Produktion deutlich: Wenn Geister aussehen wie aus einer Geisterbahn, sind sie vielleicht auch besser dort aufgehoben. Und dann gibt es da noch zwei Figuren, die in diesem schrägen „Tatort“ alles schuldig  bleiben: Darf der neue Vorgesetzte Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der bei seinem Debüt im Januar 2017 sang- und klanglos beim Publikum durchfiel, gerade einmal sieben Sätze sagen, beschränkt sich Merles auffällig tätowierter Vater Lutz Schlien (Marko Dyrlich) auf animalische Laute und wahnhafte Zerstörungswut – sein rätselhafter Auftritt ist das unrühmliche i-Tüpfelchen auf diesem missratenen „Tatort“.

    Fazit: Andy Fetschers Frankfurter „Tatort: Fürchte dich“ ist ein gruseliges Horror-Experiment, das in der Krimireihe seinesgleichen sucht, unter dem Strich aber kaum überzeugt.

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