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    Lindenberg! Mach dein Ding!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Lindenberg! Mach dein Ding!

    Alles klar auf der Andrea Doria!

    Von Jörg Brandes

    Sonnenbrille, Hut tief im Gesicht, rauchige Stimme – so kennt man Udo Lindenberg seit einer gefühlten Ewigkeit. Mit knapp 80 Singles, 50 Alben und circa 20 Millionen verkauften Tonträgern ist der heute 73-Jährige längst zu einer Musik-Ikone geworden. Zwar gab es schon vor ihm deutschsprachigen Rock, etwa von den Bands „Ihre Kinder“ oder „Ton Steine Scherben“ mit Rio Reiser. Aber es war dann doch der 1946 im westfälischen Gronau geborene Klempnersohn, der dem Deutsch-Rock zum Durchbruch verhalf und damit späteren Kollegen wie Marius Müller-Westernhagen und Herbert Grönemeyer den Weg ebnete.

    Nun mag man zu seiner Musik stehen, wie man will. Aber den Respekt vor dem Erreichten kann man ihm gewiss nicht versagen. Die größten Erfolge bleiben in „Lindenberg! Mach dein Ding!“ allerdings ganz bewusst weitgehend außen vor: Mit gutem Gespür für den Zeitgeist der frühen 1970er Jahre sowie einem formidablen Ensemble zeichnet Regisseurin Hermine Huntgeburth („Die weiße Massai“) stattdessen die ersten Karriereschritte des Musikers bis zu seinem ersten Hit-Album „Alles klar auf der Andrea Doria“ und seinem ersten großen Auftritt 1973 in Hamburg nach.

    Eine echte Entdeckung: Theaterschauspieler Jan Bülow als junger Udo Lindenberg!

    „Wir Lindenbergs werden Klempner. Und sonst nix!“, schreibt der zum Kummer seiner Frau Hermine (Julia Jentsch) oft betrunkene Vater Gustav (Charly Hübner) seinem Sohn Udo (Claude Heinrich) ins Stammbuch. Aber der 13-jährige Junge, eines von vier Geschwistern, macht dann doch lieber sein eigenes Ding. Eine Kellnerlehre in Düsseldorf soll für Udo (nun gespielt von Jan Bülow) zum Sprungbrett in die große weite Welt werden. Gleichzeit möchte er es als Schlagzeuger weiterbringen. 1963/64 verschlägt es ihn als trommelndes Mitglied einer Combo zur US-Truppenunterhaltung nach Libyen – ein Engagement, das für ihn wenig glücklich verläuft. Schließlich zieht es ihn nach Hamburg, wo er sich mit seinem getreuen Kumpan Steffi Stephan (Max von der Groeben) in der Kiez-Szene von St. Pauli herumtreibt und dort an seiner Musiker-Karriere statt an Abflussrohren schraubt…

    Bei einem Biopic gilt es stets auszuwählen: Was ist wichtig, was ist weniger wichtig? So taucht in „Lindenberg! Mach dein Ding!“ längst nicht jeder auf, mit dem der spätere Star herummusizierte, bevor er selbst groß herauskam. Sein Schlagzeug-Mitwirken bei der Einspielung der „Tatort“-Erkennungsmelodie von Jazzer Klaus Doldinger wird aber zumindest kurz gestreift. Eine andere Frage ist die, ob chronologisch erzählt werden soll? Regisseurin Huntgeburth und ihr Autoren-Trio Alexander RümelinChristian Lyra und Sebastian Wehlings haben sich entschieden, den Hauptteil der Story in den früher Siebzigern spielen zu lassen und von dort aus auf Lindenbergs Kindheit und Jugend samt Kellnerlehre und das sichtlich traumatische Libyen-Engagement zurückzublicken.

    Die Herkunft der nackten Paula

    Dabei werden oft Bezüge zwischen früherem und späterem (Karriere-)Leben hergestellt. Das ist bisweilen arg offensichtlich geraten, etwa bei dem ständige Verweis darauf, dass Lindenberg mal seine eigene Band gründen will und die wiederholte Betonung dessen, dass sich die deutsche Sprache musikalisch allenfalls für Schlager aber gewiss nicht für Rock eignet. Auch das Finden der Songzeile „Paula aus St. Pauli, die sich immer auszieht“, die im späteren „Andrea Doria“-Text auftaucht, wird etwas plump in Szene gesetzt.

    Doch überwiegend wird das bei biografischen Filmen gern benutzte Stilmittel sinnig eingesetzt. Am schönsten ist es, wenn wie ganz nebenbei auf spätere Lindenberg-Charakteristika hingewiesen wird. Zum Beispiel wenn er sich als Kellner-Azubi in einem Luxushotel erstaunt darüber zeigt, dass die elegante und auf ihn scharfe Frau Langschmidt (Jeanette Hain) schon seit zwei Jahren im Hause wohnt (eine augenzwinkernde Anspielung auf Lindenbergs Daueraufenthalt im Hamburger Hotel Atlantic). Oder wenn nach dem letztlich geglückten Auftritt – mit der Mama in einem Cadillac sitzend – mal beiläufig auf sein späteres Faible für Eierlikör hingewiesen wird.

    Wie wir ihn kennen: Detlev Buck dreht als schmieriger Talentscout wieder mächtig auf!

    Auch nicht zu verachten ist, wie Huntgeburth den Geist insbesondere der frühen 70er Jahre und die Kiez-Atmosphäre in St. Pauli heraufbeschwört. Das Sex-Milieu auf der Reeperbahn, die verrauchten Kneipen, die Kommune, in der Udo zeitweise Unterschlupf findet: Alles wirkt echt! Ebenso stimmig ist das musikalische Begleitprogramm abseits von Lindenbergs eigenem Output. So kommen etwa Shocking Blue („Venus“), T. Rex („Get It On“), Black Sabbath („Paranoid“) und die DDR-Rocker Puhdys („Wenn ein Mensch lebt“) zu Ehren. Auch die Produktionsdesign-Abteilung hat einen sehr guten Job gemacht. Das Büro des Talentscouts der Plattenfirma Teldec etwa könnte man direkt in den Raum eines Design-Museums einbauen. Als klassisches Beispiel für 70er-Jahre-Chic.

    Kein glatter Sympathieträger

    Und der Hauptdarsteller? Theatermann Jan Bülow trifft zwar nicht hundertprozentig Lindenbergs schnoddrig-nasalen Ton. Ansonsten aber bietet er eine ausgezeichnete Interpretation der Ikone in spe. Dazu gehört auch, dass er seinem Udo egomanische Anteile mitgibt und damit riskiert, nicht in jedem Augenblick sympathisch zu erscheinen. Das kriegt mitunter auch Dauerkumpel, Trinkkumpan und Mitmusiker Steffi Stephan zu spüren. In dessen Rolle zeigt der kaum wiederzuerkennende Max von der Groeben, bekannt geworden als Klassen-Proll Danger in den „Fack ju Göhte“-Filmen, im Auf und Ab einer Männerfreundschaft eine reife Leistung.

    Eine Show für sich ist Detlev Buck („Herr Lehmann“) als Teldec-Talentscout Mattheisen, der seinen Schützling wahlweise in Richtung englischen Mainstream-Rock oder deutschen Schlager drängen will. Buck verleiht dem meist großspurig auftretenden Plattenfirmen-Mann einen leicht schmierigen Charme, hart an der Grenze zur Karikatur. Die nicht zuletzt dank des Auftritts von Saskia Rosendahl („Lore“) emotionalste Episode wiederum spielt in der damaligen Hauptstadt der DDR. Die Mimin spielt eine junge Frau, in die sich Udo hoffnungslos verliebt – und schließlich zur Titelheldin seines Songs „Mädchen aus Ostberlin“ wird.

    Fazit: Schmissiges, toll gespieltes und schön ausgestattetes Lindenberg-Biopic mit nur kleinen Schönheitsfehlern. Abgerundet wird das Ganze mit einem hübschen Auftritt des wahren Udo, der stimmig in den Abspann eingewoben ist.

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