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    Warum Christopher Nolan mit "Tenet" scheitert, wo er sonst triumphiert

    Ich mag Christopher Nolans Filme vor allem, weil ich sie immer wieder sehen und dabei neue Elemente entdecken kann, um seine filmischen Puzzle nach und nach zusammenzusetzen. "Tenet" kann ich diese Entdeckungslust leider nicht entgegenbringen.

    Warner Bros.

    Eines vorneweg: Ich schätze Christopher Nolans Art, Filme zu machen. Wenn ein neuer Nolan-Film rauskommt, führt kein Weg vorbei an einem Kinobesuch – da brauche ich nicht mal einen Trailer zu sehen.

    Diesen Status genießen bei mir die wenigsten Filmemacher, aber den hat sich der Brite in den vergangenen 20 Jahren eben auch redlich verdient. Und auch „Tenet“ ist nicht nur groß gedachtes Kino, sondern als echtes Original auch der perfekte Film, um uns gerade in diesen Zeiten daran zu erinnern, wie sehr wir das Kino doch brauchen. Meine erwartete Begeisterung für „Tenet“ blieb dennoch aus.

    Ein guter Freund von mir pflegt zu sagen: „Nolan kommt gut an, weil er den Zuschauern das Gefühl gibt, klug zu sein.“ Das mag zwar zynisch und etwas arg über einen Kamm geschert sein, doch je länger ich darüber nachdenke, desto eher komme ich zum Schluss, dass darin auch ein Fünkchen Wahrheit liegt.

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    Ich selbst muss mir jedenfalls insgeheim eingestehen, dass das sicherlich dazu beiträgt, dass ich Nolans Werken einiges abgewinnen kann. Denn es gehört auch was dazu, komplexe Sachverhalte so zu erklären (und das tut Christopher Nolan ja auch liebend gerne – erklären), dass das alles auch in den Köpfen jener ankommt, die zwar noch lang nicht dumm sind, aber einfach nicht so tief in der Materie stecken wie der Regisseur selbst.

    Das ist die große Stärke Nolans, die sich immer durch seine Filme zieht – außer eben in „Tenet“. Zu sagen, „Tenet“ gibt mir das Gefühl, dumm zu sein, wäre aber zu einfach. Denn es sind verschiedene Gefühle, die der Film in mir auslöst. Gefühle, die mein Filmvergnügen mindern.

    2020 Warner Bros. Entertainment, Inc. All Rights Reserved. / Melinda Sue Gordon

    Da hilft nicht mal mehr der Erklärbär

    Verwirrung, Frust, Ärger – mit „Tenet“ hat Christopher Nolan bei mir vieles ausgelöst, auf das ich lieber verzichtet hätte. Faszination und Begeisterung hingegen bringe ich höchstens vereinzelten Momenten entgegen.

    Verwirrung, weil ich trotz der stark inszenierten Einstiegssequenz (Ludwig Göranssons tosender Score geht durch Mark und Bein!) nicht wirklich weiß, was hier gerade warum passiert. Und das ist erstmal auch nicht weiter schlimm – die Antworten werden schon noch kommen.

    Wenn sich die Unklarheiten allerdings derart häufen, dass ich gar nicht mehr nachkomme, mir über die eine Frage Gedanken zu machen, während mir schon die nächste um die Ohren fliegt, wird mir das Rätselraten irgendwann nicht nur zu blöd, sondern vor allem auch ziemlich egal, was dabei rauskommt.

    Was ist gerade das Ziel unseres Protagonisten (John David Washington) und seines Partners (Robert Pattinson)? Warum führen sie die Mission so durch, wie sie sie durchführen? Und was hat es mit dem fiesen Gegenspieler Sator (Kenneth Branagh) auf sich?

    "Tenet": Was genau ist jetzt eigentlich eine Inversion?

    Ich habe grundsätzlich ja durchaus eine Schwäche für verschachtelte Filme, die sich nicht an die gängigen Konventionen des Erzählkinos halten – etwa von David Lynch oder Luis Buñuel.

    Spannend ist das aber eben nur dann, wenn einem der Film dabei Handlungsstränge, Figuren oder sonst etwas bietet, das einen neugierig macht und dem Zuschauer gleichzeitig genügend Brotkrumen hingeworfen werden, um am Ball bleiben zu wollen – unabhängig davon, ob er nun wirklich alle Details erkannt und verstanden hat. Während das bei surrealistischen Filmen meist funktioniert, klappt es beim an die Logik appellierenden „Tenet“ nicht.

    2020 Warner Bros. Entertainment, Inc. All Rights Reserved. / Melinda Sue Gordon

    Seelenlose Figuren ohne allzu viel Tiefe, eine rätselhafte Mission und ein verschachtelter, nicht immer nachvollziehbarer Weg zum Ziel können Geschichten für sich genommen freilich spannender und interessanter machen, sind mir in Kombination aber doch zu viele unbekannte Variablen in einer Gleichung, deren Ergebnis mich mit zunehmender Laufzeit immer weniger interessiert.

    Und verliert man in „Tenet“ erst einmal den Anschluss, ist es praktisch unmöglich, wieder reinzufinden. Man hat das Gefühl, etwas verpasst zu haben – ein Gefühl, das im Laufe des Films immer stärker wird, wenn die unverarbeiteten Informationen mal wieder Basis für weitere Entwicklungen sind.

    Alles besser bei der Zweitsichtung?

    Die Kollegin Esther Stroh von Moviepilot stellte in ihrem Artikel zu „Tenet“ fest, dass ein zweiter Kinobesuch bei ihr Wunder wirkte. Vieles würde sich allein schon dadurch ergeben, dass man nun eben genau wisse, was auf einen zukommt – oder zumindest mehr oder weniger.

    Und ich gucke Filme auch tatsächlich gerne mehrmals, etwa Hirnknoten-Mindfucks wie „Lost Highway“, „The Twentieth Century“, „Holy Motors“ oder auch „Inception“, die einen im ersten Moment überrollen können, dass man erst nur Bahnhof versteht und auf der Suche nach Logik fast verzweifelt.

    Doch man hat bei diesen Filmen die Wahl, ob man nun sämtliche Figuren, Handlungen, Zitate oder Kameraeinstellungen auf unterschiedlichste Weise interpretieren oder das Gezeigte einfach über sich ergehen lassen will – und hat in beiden Fällen ein aufregendes Filmerlebnis. Einmal das analytische, von dem man sich Erkenntnisse erhofft und einmal das gefühlte, bei dem man nicht hinterfragt, sondern einfach nur erlebt.

    Bei „Tenet“ habe ich jedoch wenig Lust auf ein zweites Mal. Ich schaue Filme zwar liebend gerne mehrmals, um Neues zu entdecken, allerdings auch nur dann, wenn ich auch schon beim ersten Mal meinen Spaß hatte – und den hatte ich hier eben nur in vereinzelten Momenten.

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    Wenn ich einen Film mehrmals gucken muss, um ihn genießen zu können, passt für mich irgendetwas ganz Essentielles nicht – zumindest dann, wenn mir ein Erklärbär wie Christopher Nolan am Ende auch noch vermittelt, dass es bei seinem Film eben darauf ankommt, das Gezeigte auch nachvollziehen zu können.

    Egal, wie „genial“ die Enthüllungen schlussendlich auch sein mögen, die zwei Stunden davor werden dadurch eben weder unterhaltsamer noch aufschlussreicher (zumindest nicht beim ersten Mal).

    Auch wenn am Ende ganz Nolan-typisch erklärt, erklärt, erklärt wird und ich durchaus sehe, wie viel Arbeit hier ins Drehbuch geflossen sein muss, ist es einfach nur frustrierend, wenn sich das dann nicht im Seherlebnis widerspiegelt.

    2020 Warner Bros. Entertainment, Inc. All Rights Reserved. / Melinda Sue Gordon

    Richtig ärgerlich wird’s dann aber, wenn der natürlich nichtsdestotrotz spektakulär und originell inszenierte Hollywood-Mindfuck fast vorüber ist und sich die letzten Momente des Spektakels – ich spare mir an dieser Stelle Spoiler – wie ein Mash-up aus den abgedroschensten Filmklischees anfühlen. So kreativ „Tenet“ in manchen Momenten auch ist, so unkreativ ist er leider in anderen.

    Und trotzdem: Als echtes, groß gedachtes Original ist „Tenet“ nichtsdestotrotz der perfekte Film, um das Kino in Zeiten wie diesen wiederzubeleben – allein schon deswegen, weil wohl schon lange kein Film mehr so sehr zum Mehrmals-Gucken einlud.

    „Tenet“ läuft seit dem 26. August 2020 in den deutschen Kinos.

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